WirtschaftsWoche Online: Als ersten Deutschen hat Google, Tochter der Alphabet Holding, Sie für ein Buchprojekt hinter die Kulissen blicken lassen. Auf 336 Seiten beschreiben Sie, "Was Google wirklich will". Was ist das im Wesentlichen?
Thomas Schulz: Google will zwei Dinge. Einerseits wollen sie das erfolgreichste Unternehmen der Welt sein und zwar nicht nur für die nächsten zwei sondern für die nächsten 50 oder 100 Jahre. Zum zweiten wollen sie Ihre wirtschaftlichen mit gesellschaftlichen Zielen verbinden. Bei Google will man also nicht nur Profit machen, sondern auch die Welt verändern, die Zivilisation voranbringen.
Die Google-Gründer Larry Page und Sergey Brin wollten anfangs die Informationsflut im Internet erfassen. Das zeigt auch die Namenswahl. Google leitet sich von Googol ab, einem Begriff aus der Mathematik, der für eine 1 mit 100 Nullen steht, also riesige Mengen ausdrückt. Jetzt möchten sie auch noch die Welt retten. Warum?
Larry Page und Sergey Brin sehen sich nicht nur als Unternehmer sondern auch als Universalgenies, die in die Geschichtsbücher wollen. Sie möchten gesellschaftliche Veränderungen als Wirtschaftsführer anstoßen. Sie glauben, dass sie mit Produkten, die Milliarden Menschen erreichen, schneller vorankommen, als die Politik.
Zur Person
Thomas Schulz hat in Frankfurt Politikwissenschaften und als Fulbright-Stipendiat Kommunikationswissenschaften in Miami studiert. An der Harvard University forschte er als Gastwissenschaftler. Seit 2001 schreibt Schulz für den Spiegel, seit 2008 ist er Wirtschaftskorrespondent in den USA. Dort berichtete er aus New York über die Finanzkrise, bevor er 2012 nach San Francisco wechselte und dort die Spiegel-Redaktionsvertretung im Silicon Valley aufbaute. Schulz schreibt regelmäßig zu Wirtschafts- und Internetthemen, er ist ausgezeichnet mit dem Henri-Nannen-Preis, dem Holtzbrinck-Preis für Wirtschaftspublizistik sowie als Reporter des Jahres.
Thomas Schulz: "Was Google wirklich will - Wie der einflussreichste Konzern der Welt unsere Zukunft verändert": 336 Seiten, ISBN 978-3-421-04710-6, Deutsche Verlags-Anstalt, Ladenpreis 19,99 Euro, erschienen: 12. Oktober 2015.
Sind die beiden größenwahnsinnig?
Nein. Aber sie sind wahnsinnig ehrgeizig.
Woher kommt dieser Ehrgeiz?
Den hatten sie schon als Kinder. Sie kommen aus Akademikerfamilien, sind beide auf Montessorischulen gegangen, wo sie gelernt haben, unabhängig zu denken. Für sie zählten immer nur die großen Ideen. Große Unternehmen haben demnach nur eine Daseinsberechtigung, wenn sie große Visionen haben.
Der Fortschrittsabsolutismus des Silicon Valley
Kein Unternehmen verkörpert den Fortschrittsabsolutismus des Silicon Valley so wie Google oder neu Alphabet – quasi die inkorporierte Suche nach der Weltformel. Ob Calico in der Medizintechnik, der Thermostathersteller
Nest beim Zugang in die Wohnungen, die Robotiksparte Boston Dynamics oder das selbstfahrende Auto – der Konzern verkauft, womit sich Leben und Menschheit vermessen lassen. Das rechnet sich – nicht für die Menschheit, aber für Google. Der Konzern war zur Jahresmitte mit 361 Milliarden Dollar der zweitwertvollste Unternehmen der Welt.
Verfängt diese Haltung bei den Google-Mitarbeitern?
Absolut. Ich habe noch nie ein Unternehmen erlebt, bei dem die Mitarbeiter so zufrieden wirkten und so viel Spaß an ihrer Arbeit hatten. Die Mission der Gründer motiviert sie ungemein. Sie gibt ihnen das Gefühl, etwas bewegen zu können.
Nicht nur die Google-Gründer, auch Tim Cook von Apple oder Marc Zuckerberg von Facebook haben plötzlich den Wunsch, die Welt mit digitalen Technologien zu einem besseren, sozialeren Ort zu machen. Das hat Zuckerberg kürzlich in einem öffentlichen Brief an seine neugeborene Tochter unterstrichen. Was steckt hinter den Heilsversprechen aus dem Silicon Valley - wollen sie leichter an Nutzerdaten kommen?
Ich halte deren Aussagen für authentisch. Aber klar, das sind Unternehmer. Sie wollen nicht nur die Welt verändern, sie wollen gleichzeitig auch Geld verdienen.
Das Gute mit Profit verbinden - das gilt wohl auch für Mark Zuckerberg und seine Frau Priscilla Chan, die 99 Prozent ihrer Facebook-Aktien spenden wollen. Das sind bei derzeitigem Kurs rund 45 Milliarden Dollar, die in ihre eigene Stiftung fließen würden. Kritiker sagen, dass sie damit vor allem Steuern sparen möchten.
Das glaube ich nicht. Da gäbe es andere Wege. Eher wollen sie ihr Image aufhübschen. Und: sie wollen etwas bewegen, auch weil sie einen Platz in der Geschichte für sich beanspruchen. Klar kann man einwerfen, es gehe ihnen vor allem ums Ego.
In den USA scheinen sie damit besser anzukommen, als in Europa.
Richtig. In den USA betätigt sich der Staat viel weniger als Wohltäter. Das machen eher Privatpersonen. Wenn dann einer so viel abdrückt wie Mark Zuckerberg, applaudieren die Leute natürlich. Zu Recht. Welche große deutsche Unternehmerfamilie würde mal eben ein paar Milliarden Euro auf den Tisch legen?
Marktmacht der Internetriesen
Ist es gefährlich, wenn mächtige Firmen traditionelle Staatsaufgaben übernehmen und sich etwa in der öffentlichen Daseinsvorsorge engagieren?
Man muss das im Auge behalten, weil Unternehmen den Staat nicht ablösen sollten. Aber es spricht nichts dagegen, wenn sie ihn bei manchen Aufgaben unterstützen. Natürlich nur, wenn die Staaten weiter Einfluss darauf haben, was passiert. Es kann nicht sein, dass ein paar mächtige Konzernführer entscheiden, wie die Welt aussehen soll. Das wäre wirklich gefährlich.
Nicht nur Privatpersonen, auch Politiker machen sich Sorgen, dass sich die Googles, Amazons und Facebooks wegen ihrer Marktmacht immer weniger kontrollieren lassen.
Das sind börsennotierte Unternehmen, die werden natürlich kontrolliert und reguliert. Sie machen nicht einfach, was sie wollen. Die kennen ihre Rahmenbedingungen und wissen, dass man ihre Macht beschneiden kann.
Trotzdem ist in Europa die Skepsis gegenüber Google gerade beim Thema Datenschutz groß.
Die hat auch ihre Berechtigung. Allerdings hat die Diskussion dazu geführt, dass man bei Google den Umgang mit Nutzerdaten überdenkt. Der Konzern hat einen neuen Datenschutzchef eingestellt, einen Österreicher. Das zeigt, dass man auf die europäischen Bedenken durchaus reagiert.
Was hat Sie an Larry Page, mit dem Sie viele Interviews geführt haben, am meisten überrascht?
Er ist das komplette Gegenteil dessen, was wir uns unter einem Konzernführer vorstellen. Die sind meist extrovertiert, sehr laut. Page hingegen ist schüchtern, meidet die Öffentlichkeit, spricht leise.
Google-Imperium: Das ist die Alphabet-Holding
Das Dach der einzelnen Google-Einheiten bildet in Zukunft die neue Holding Alphabet. Die Unternehmensspitze besteht aus Larry Page (CEO), Sergey Brin (Präsident, Eric Schmidt (Chairman) und Ruth Porat (CFO).
Unter dem angestammten Namen des Konzerns sind die Internet-Suchmaschine, das Werbe-Geschäft sowie YouTube und Android gebündelt. Google ist damit eine Tochterfirma von Alphabet. Noch immer ist Google aber der wichtigste und wirtschaftlich stärkste Bereich.
In Googles Innovationslabor werden unter anderem selbstfahrende Autos, Drohnen und Ballons zur Internet-Versorgung entlegener Gebiete aus der Luft entwickelt.
Das Automatisierungsunternehmen Nest baut vernetzte Thermostaten, die über Apps gesteuert werden können. Auch Rauchmelder sind im Programm. Google kaufte das Unternehmen Anfang 2014 für mehr als drei Milliarden Dollar.
Die Gesundheitsfirma Calico - kurz für California Life Company - soll vor allem das Altern erforschen - um es eventuell bremsen zu können. Das Unternehmen wurde 2013 von Google gegründet.
In den USA bietet der Konzern unter diesem Namen in mehreren Städten ultra-schnelle Internet-Zugänge über Glasfaser-Anschlüsse an.
Der Spezialist Sidewalk ist auf die Infrastruktur moderner Städte fokussierte. Es geht unter anderem darum, den Verkehr effizienter zu machen, Energieverbrauch und Lebenshaltungskosten zu senken oder die Stadtverwaltung zu verbessern.
Über Google Ventures investiert der Konzern in Start-ups, unter anderem den umstrittenen Fahrdienst-Vermittler Uber.
Wie passt das mit seinen extremen Ambitionen zusammen?
Das ist tatsächlich bei Page nur schwer zu begreifen. Sergey Brin ist ein ganz anderer Typ. Er ist extrovertierter, ausgeflippter, der fährt mit Rollerblades über den Google-Campus. Er ist der Daniel Düsentrieb des Unternehmens, hat tausend Ideen. Page ist daher auch mehr mit der Führung betraut, Brin mit Erfindungen. Beide aber bauen mit unglaublicher Energie und Aufwand ein Unternehmen, das schneller, effizienter und erfindungsreicher als alle anderen sein soll. Sie fragen sich, wie sie die Hierarchien so flach halten können, dass sie sofort von null auf tausend hochschalten können. Der Leistungsdruck ist hoch, gleichzeitig ist die Atmosphäre sehr gut, weil die Mitarbeiter zufrieden sind. Es hilft natürlich, in Kalifornien unter Palmen zu arbeiten.
Google in Zahlen
Der Umsatz des Internet-Giganten lag im vierten Quartal 2014 bei 18,1 Milliarden Dollar. Den größten Teil seiner Umsätze (12,4 Milliarden Dollar) erzielte Google dabei auf den eigenen Seiten, den Rest (3,7 Milliarden Dollar) auf den Webseiten von Geschäftspartnern.
Wenn es um das Geldverdienen geht, ist Google quasi ein „One-Trick Pony“, also ein Zirkuspferd, das nur einen einzigen Trick beherrscht, nämlich Werbung. Von den 18,1 Milliarden Dollar Umsatz im vierten Quartal 2014 entfielen gut 16,1 Milliarden auf Online-Werbung.
In der Google-Bilanz wird neben Online-Werbung nur noch ein Umsatz-Segment mit dem Namen „Other“ (Anderes) aufgelistet. Hinter diesen Umsätzen von knapp zwei Milliarden Dollar, die Google nicht weiter aufschlüsselt, stehen nach Experten-Einschätzung vor allem die Gebühren aus dem Play Store, die der Internet-Riese von den Entwicklern von Android-Apps und Unterhaltungsanbietern verlangt.
Google Suche, G-Mail, Google Maps, der Online-Speicher Google Drive, das Smartphone-Betriebssystem Android mit dem App-Store Google Play: Die Liste der Google-Dienste wird von Jahr zu Jahr länger. In seinen geheimen Labs arbeitet der Konzern außerdem bereits an weiteren Produkten wie einem selbstfahrenden Auto oder Heißluft-Ballons, über die auch entlegene Gegenden mit Internet-Zugängen versorgt werden sollen.
Die digitalen Propheten aus dem Silicon Valley sind auch deshalb so mächtig, weil sie Information für die Nutzer erfolgreich kuratieren und personalisieren. Das erleichtert zwar das Leben. Es führt möglicherweise auch dazu, dass wir uns in einer für uns konstruierten Realität, einer auf unsere Interessen und Bedürfnisse abgestimmten Filterblase, bewegen.
Die Technologien verändern sich so schnell, dass wir kaum einen Überblick haben, was in den nächsten zwei Jahren passieren wird. In fünf bis zehn Jahren kann fast alles passieren, ausschließen würde ich für die Zukunft überhaupt nichts mehr.
Menschen, die sich nur noch in der eigenen Kaste bewegen. Das erinnert an Aldous Huxleys Dystopie "Schöne neue Welt". Macht Sie das beklommen?
Eigentlich bin ich eher optimistisch. Ich glaube, dass wir tatsächlich die Chance haben, das Leben vieler Menschen zu verbessern und zwar viel schneller, als in den vergangenen 20 Jahren. Der Bauer in Indien kann heute mit der digitalen Wettervorhersage oder mit Erntetipps auf dem Smartphone seinen Acker besser bewirtschaften als vorher. Außerdem hat der technologische Fortschritt in den vergangenen 200 Jahren, die industrielle Revolution, dazu geführt, dass sich die Lebensbedingungen der Menschen mehr verbessert als verschlechtert haben. Das wird auch mit der Digitalisierung so sein. Wir sind zudem ja nicht völlig machtlos. Die Politik bestimmt, in welchen gesetzlichen Rahmen sich neue Technologien wie selbstfahrende Autos entfalten. Die lässt man ja nicht einfach ohne Regeln auf die Straße.
Mag sein. Dennoch gibt es die Sorge, dass uns Algorithmen das Denken abnehmen. Dass sie sogar vorgeben, was und wie wir denken sollen.
Nicht nur das Denken - Maschinen werden Menschen komplett ersetzen, gerade in der Arbeitswelt. Dass Algorithmen zu mächtig werden, halte ich für einen wirklich gefährlichen Nebeneffekt der Digitalisierung.