DLD München 2018 Gabriel appelliert an Europas digitalen Pioniergeist

Auf dem Digitalkongress DLD in München fordert Sigmar Gabriel einen digitalen Binnenmarkt für Europa. Wir sollten nicht dem Silicon Valley oder China nacheifern, sondern gemeinsam einen eigenen Ansatz finden.

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Außenminister Sigmar Gabriel fordert Europa auf, im globalen Technologie-Wettstreit das Feld nicht den USA und China zu überlassen. Quelle: dpa

München Als Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) die Bühne des diesjährigen Digitalkongresses DLD in München betritt, wirkt er professionell entspannt. Dabei dürfte er mit seinen Gedanken schon längst in Bonn und damit beim Sonderparteitag seiner Genossen sein. Diese entscheiden am Sonntag, ob mit der Union eine neue Große Koalition ausgehandelt werden soll. Sicher ist das keineswegs, zuletzt waren die Sozialdemokraten gespalten.

Anmerken lässt sich das der Politprofi nicht. Das hat auch mit der Veranstaltung zu tun. Schließlich geht es auf dem DLD (Digital Life Design) nicht um politische Streitpunkte zwischen Union und SPD wie etwa Bürgerversicherung oder Familiennachzug für Flüchtlinge. Der Kongress der Hubert Burda Mediengruppe sieht sich als interdisziplinäre Plattform für Digitalisierung, Philosophie, Kunst, Politik und Wirtschaft. Da kann auch ein SPD-Minister mal für ein paar Minuten die schwierige Regierungsbildung hintenanstellen.

So ganz ausklammern lässt sich das Thema aber nicht: Vor Gabriel spricht Ilse Aigner. Bayerns Wirtschaftsministerin preist die digitalen Vorzüge des Freistaates und wirbt für die guten Zwischenlösungen in puncto Digitalisierung und Start-ups, die man bei den Sondierungsverhandlungen gefunden habe. Mit denen könnten wohl auch die Sozialdemokraten leben, meint Aigner: „Ich denke wir erfahren gleich mehr von Sigmar Gabriel.“

Auf der Bühne angekommen spricht Gabriel über Europa, dessen Weiterentwicklung als zentrales Projekt einer Großen Koalition gilt. Und er spricht natürlich über die digitale Zukunft. Zuerst wagt er aber einen Blick zurück – sehr weit zurück, genauer gesagt in das frühe 15. Jahrhundert: zu europäischen Erkundungsfahrten, um neue Seewege zu erobern. Während Europa sein Glück im Erforschen von unbekannten Gebieten gesucht hätte, habe sich China vor allem auf das eigene Land konzentriert, erzählt Gabriel. Er plädiert dafür, auch heute die Grenzen zu überschreiten und sich in das „digitale terra incognita“ zu wagen.

Die DLD hat sich in diesem Jahr das Motto „Reconquer“ gegeben: Wiedererobern. Das Motto stünde für den optimistischen Blick auf die Chancen des digital getriebenen Wandels, der viele neue wirtschaftliche und gesellschaftliche Perspektiven eröffnet habe, sagt Steffi Czerny, Mitbegründerin der DLD. Aber: Um den damit einhergehenden Herausforderungen begegnen zu können, dürfe der Blick nicht immer nur nach vorne gerichtet sein, erklärt Czerny: „Mit dem Motto Reconquer rufen wir bei der DLD dazu auf, Neues zu gestalten, ohne dabei alles, was uns lieb und teuer ist, über Bord zu werfen.“

Gabriel indes findet, man müsse in diesen unsicheren Zeiten versuchen, soweit wie möglich nach vorne zu schauen. In einer Zeit, in der technologischer Fortschritt durch Künstliche Intelligenz und Super-Computer entscheidend sei, skizziert er den Wettbewerb zwischen zwei Gesellschaftsmodellen: Das Modell des Silicon Valleys mit seiner Freiheitsliebe und den „Big Five“, also Google, Amazon, Facebook, Apple und Microsoft. Und das chinesische Modell mit Tech-Giganten wie Alibaba, Tencent und Baidu, die von kontrollierten Märkten und Regulierung profitieren und hinter einer schützenden chinesischen Mauer wachsen.

Die Europäer, und die Deutschen im Speziellen, kritisierten oft die US-Tech-Konzerne, vor allem deren Kontrolle über die Daten weltweit, so Gabriel. Aber man müsse auch auf China schauen. China habe angekündigt, zehn globale Tech-Führer bis 2025 aufbauen zu wollen. „Das ist morgen, das ist nur um die Ecke“, warnt Gabriel. Und merkt an: Die digitale Revolution ermögliche auch autoritären Regimen noch autoritärer zu werden. „Big Brother trifft Big Data.“ Ein Beispiel sei das soziale Bewertungssystem, das die chinesische Regierung gerade mithilfe des Tech-Sektors aufbauen würde, um das Verhalten der Bürger zu kontrollieren.

Welche Rolle wird Europa im digitalen Zeitalter einnehmen, fragt Gabriel. Wird es zu einem Schlachtfeld der beiden Modelle – Silicon Valley oder China – oder kann Europa eigene, bessere Antworten geben, ein eigener Player werden? Europa sei eine fragmentierte Union mit Millionen verschiedener Stimmen, inklusive derer, die Digitalisierung nur als befristeten Trend sehen würden: „Wir müssen gemeinsame Werte, einen gemeinsamen Ansatz finden“, fordert der Außenminister.

Europa brauche einen digitalen Binnenmarkt, fordert Gabriel. Das sei die Basis für Wachstum und Innovation. Und mahnt zum Schluss: „Ohne eine Vision von Europa als globaler Champion bei Tech-Innovation, können wir keine Balance finden zwischen Privatsphäre und Regulierung, Liberalismus und Sicherheitsbedenken, Dogma und Pragmatik.“

Bonn und der SPD-Sonderparteitag wirken nach Gabriels Rede weit weg, so scheint es. Nach einer halben Stunde verlässt er die Bühne. Er müsse ein wichtiges Telefonat führen, verrät einer der Organisatoren dem Publikum – es habe sicher mit dem morgigen Treffen der Genossen zu tun. „Nein“, sagt Gabriel. „Es ist ein internationales Gespräch.“

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