eSports Das Silicon Valley spielt verrückt

In den boomenden Markt für eSports wird dieses Jahr so viel Risikokapital fließen wie nie zuvor. Das hat Gründe. Selbst in Deutschland sitzt das Geld locker, und in den USA wird die TV-Industrie frontal angegriffen.

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Sie werden gefeiert wie echte Stars: Professionelle Computerspieler. Quelle: picture alliance

Los Angeles Die vier Jungs vom Team „Splyce“ haben alles gegeben. Aber am Ende hatten sie keine Chance. Das US-Team „EnVyUS“ griff sich den Weltmeistertitel von „Call of Duty XP“ und damit das Preisgeld von 800.000 Dollar. Doch auch für die jungen Briten haben sich die 30 Minuten Videospiel gelohnt: 250.000 Dollar nahmen sie aus Los Angeles mit nach Hause.

„Die Zeiten haben sich geändert“, lacht Jay Puryear vom Ausrichter Activision, einem der größten Videospiele-Verleger der Welt. „Vor ein paar Jahren haben wir noch mit einer Handvoll Enthusiasten gespielt, und zugeschaut hat keiner“, erklärt er im Gespräch am Rande des Turniers. „Es gab ein paar hundert Dollar auf die Hand, das war's.“ Am ersten Septemberwochenende kamen dagegen nicht nur über 10.000 Fans in das „The Forum“-Stadion, wo schon die Rolling Stones, Michael Jackson oder Rod Steward gespielt haben. Zusätzlich verfolgten Millionen Fans die Endkämpfe am Monitor, Fernseher oder auf dem Smartphone.

Call of Duty ist eine Geldmaschine: Gestartet 2003 für PC, entwickelte sich der Ego-Shooter „CoD“ zu einer der größten Marken der digitalen Entertainment-Industrie. 2015 setzte die Version „Call of Duty – Black Ops 3“ alleine an den ersten drei Verkaufstagen 550 Millionen Dollar um. In den 13 Jahren Lebenszeit hat die Serie laut Activision über zehn Milliarden Dollar eingespielt. Und jetzt soll es erst richtig losgehen.

Video- und Computerspiele: Früher verspottet und verhasst bei Eltern und Erziehern, sind zum kulturellen Phänomen wie Rap-Musik oder Skateboarden avanciert. Und wer das „Daddeln“ zum Beruf gemacht hat, der betreibt „eSports“. Er tritt in Turnieren oder Ligen an, wie im Profi-Fußball. So wie der 22-jährige Damon „Karma“ Barlow. Der schüchterne Kanadier ist Star des Teams Optic Gaming. Die Jungs verehren ihn, für die Mädchen ist er der Justin Bieber des eSports. Seine Eltern waren anfangs nicht begeistert über seine Berufswahl, räumt er im Gespräch ein, aber das legte sich in dem Maße, in dem die Preisgelder stiegen. „Ein paar Jahre werde ich das noch machen“, ist er sicher. Denn wie für andere Sportler auch gibt es ein Verfallsdatum für Videospieler, die von blitzschnellen Reaktionen und einem scharfen Auge leben. Und danach? Vielleicht Trainer, Teammanager, wer weiß. Es geht ja gerade erst los mit eSports.

Was beim Fußball die Klubs sind, sind im eSport die Clans oder Teams, so wie „Optic Gaming“. So ist in Deutschland die ESL, die „Electronic Sports League“, so was wie die Bundesliga. Wer richtig gut ist, tritt um Preisgelder an, die die Millionen-Dollar-Grenze locker erreichen oder überschreiten. So wie 2015 die fünf Jungs des aus Südkorea angereisten Teams „SK Telecom T1“, die beim Weltfinale von „League of Legends“ im Mercedes Benz-Stadion in Berlin 1.000.000 Dollar in Empfang nehmen konnten. Das Endspiel hatten weltweit 36 Millionen Fans an den Bildschirmen verfolgt – mehr Zuschauer als das Finale der berühmten NBA-Basketballserie in den USA verzeichnen konnte.

Wie bei Profifußballern oder Golfern winken eSportlern Werbe- und Sponsoringverträge. Mitmachen kann praktisch jeder mit PC oder Spielekonsole und Internet: „League of Legends“ oder „Call of Duty“ spielen jeden Tag bis zu 27 Millionen Menschen. Die meisten zum Vergnügen, wie Fußball im Hinterhof. Andere als Profisportler. Die Teams haben Trainer und manche Stars sind so jung, dass sie auf der Siegesparty keinen Alkohol trinken dürfen.

Call of Duty ist ein sogenannter Ego-Shooter. Der Spieler sieht das Kampffeld auf dem Bildschirm sozusagen durch die eigenen Augen, schaut nicht wie aus der Vogelperspektive auf das Spielfeld. Jeweils zwei Gruppen mit je vier Spielern, bepackt mit futuristischen Superwaffen, jagen sich durch post-apokalyptische Ruinenstädte.

Eine Spielrunde dauert bis zu fünf Minuten, je nachdem, was gespielt wird. Es gibt vier „Sportarten“. Mal wird etwa die gegnerische Flagge gestohlen. Mal versucht ein Spieler einen Ball in einen Korb zu befördern, der Rest der Truppe muss sicherstellen, dass er nicht zuvor eliminiert wird. Bei „Search and Destroy“, suchen und zerstören, muss eine Bombe scharf geschaltet werden, was die Verteidiger verhindern müssen. Moderne Videospiele sind speziell für eSports optimiert, so Activison-Manager Puryear. Da gibt es einen eigenen „Kino-Modus“ für Großleinwände, so wie im Actionfilm. Eine „Röntgenfunktion“ zeigt den Zuschauern, aber nicht den Spielern, wer hinter der nächsten Ecke oder hinter der Wand lauert. All das nur, um den Spaß für die Millionen an den Bildschirmen zu optimieren.

Längst sind die TV-Sender aufmerksam geworden. Wie groß das Potenzial ist, zeigt Twitch.tv. Der Internet-Kanal für Live-Streaming von Games und insbesondere eSports wurde 2014 von niemand anderem als Amazon für eine Milliarde Dollar gekauft. Seit Anfang Oktober bekommen Kunden des Dienstes „Amazon Prime“ nun kostenfrei Twitch.tv ohne Werbeeinblendungen, dazu besondere Rabatte auf alle Videospiele, die sie auf Amazon kaufen. PC-Spieler bekommen monatlich eine wechselnde Auswahl von Spielen kostenfrei.


Amazon mit Milliarden-Deal beteiligt

Seit Juli 2016 sendet mit ESPN2 einer der größten Sportsender der Welt eSports wie das digitale Kampfsport-Spektakel „Street Fighter“ live aus der Boxerstadt Las Vegas. Direkt bei der ersten Übertragung schalteten sich über 200.000 Zuschauer ein. Der Pay-TV-Sender, der zum Walt Disney-Konzern gehört, kämpft mit sinkenden Abonnentenzahlen. Der Einstieg in eSports zielt auf die jungen Nachwuchskunden, die mit Football, aber auch mit „Halo“ oder CoD aufgewachsen sind. TBS, Turner Broadcast Systems, ein anderer der großen Kabel-TV-Anbieter in den USA, hat eine eigene „E-LEAGUE“ genannte Veranstaltungsreihe gegründet, die in ihrer ersten Saison schon 800 Millionen Minuten Video per Internet und TV-Kabel gesendet hat.

Das Ziel der eSports-Promotoren wie Activision ist es, die neuen Ligen so bekannt zu machen wie Formel 1 oder FIFA. Die Werbe-Milliarden, die in die großen Sportligen fließen, wollen sie auf eSports umlenken. Der Grund: Hier tummelt sich die Zielgruppe der jungen Männer, die die Werbeindustrie sonst kaum noch erreicht. Rund 85 Prozent der eSports-Anhänger sind männlich und fast die Hälfte zwischen 18 und 25 Jahre alt.

Noch fließt vergleichsweise wenig Geld in eSports. SuperData Research aus New York schätzt, dass der weltweite Umsatz der eSports-Industrie von heute 892 Millionen Dollar innerhalb von zwei Jahren auf 1,1 Milliarden anschwellen wird. Doch das ist vergleichsweise noch wenig. Die Unternehmensberatung Price Waterhouse Coopers (PwC) beziffert allein die Werbeausgaben im US-Fernsehen auf insgesamt 70 Milliarden Dollar pro Jahr. Viel davon fließt in Sport-Events und davon will die Branche ihren Teil abhaben. Merke: Der Vater fiebert mit der Bundesliga, der Junior mit einer eSports-Liga der Fußballsimulation Fifa 2017 von Electronic Arts.

In Los Angeles wollen am Sonntagnachmittag die „USA, USA“-Sprechchöre gar nicht mehr verstummen. Konfetti und Luftschlangen regnen von der Hallendecke, als das Siegerteam Trophäe und Scheck entgegennimmt. Für den Abend ist ein Abschlusskonzert der Gangsta-Rapper-Legende Snoop Dogg angesetzt. Musik, Videospiele, Hollywood: Die Unterhaltungsindustrie steigt gerade in die letzte Phase ihrer digitalen Transformation ein. Activision-Blizzard aus Santa Monica, der Mutterkonzern, hat bereits die Activision Blizzard Studios gegründet und 2018 könnte er da sein, im Kino an der Ecke: der Call of Duty-Hollywood-Movie zur Liga.

Wo Geld winkt, ist das Silicon Valley nicht weit. Seit 2011, so die Risikokapital-Datenbank CBInsights, flossen 714 Millionen Dollar in über 100 eSports-Deals. Und das ist erst der Anfang. Waren es im gesamten Kalenderjahr 2015 allein rund 320 Millionen Dollar, sind es zur Jahreshälfte 2016 bereits 172 Millionen Dollar.

Und während in Deutschland neue Trends häufig verspätet einschlagen, kann davon beim eSports nicht die Rede sein. Der eSports-Sender Azubu.TV aus Berlin, praktisch ein Twitch-Herausforderer, hat im Dezember 2015 weitere 55 Millionen Euro Risikokapital erhalten, damit stehen ihm jetzt 94 Millionen zur Verfügung. Das sind schon markante Summen in der deutschen Start-up-Szene. Und Dojo Madness, ebenfalls aus Berlin, hat im Mai 2016 rund 4,5 Millionen Euro frisches Kapital bekommen. Deren LOLSUMO ist eine Trainings-App, mit der League-of-Legends-Teams ihre Fähigkeiten trainieren und analysieren sowie die Gegner auswerten können. Hunderttausende Downloads verzeichnet die werbefinanzierte App bereits. Wer will denn bei Preisgeldern von einer Million Dollar schon auf professionelles Training verzichten?

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