Flüchtlings-Special Theodor-Wolff-Preis für das Handelsblatt

Spannung im Kreuzberger Umspannwerk: Eine Spezialausgabe des Handelsblattes zur Flüchtlingskrise wird mit dem Theodor-Wolff-Preis ausgezeichnet - dem renommiertesten Preis für deutsche Tageszeitungen.

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Stellvertretend für die ganze Handelsblatt-Redaktion nahmen Jens Münchrath (Vize-Ressortleiter Agenda), Nicole Bastian (Chefin des Auslandsressorts) und der stellvertretende Chefredakteur Thomas Tuma (von links) den renommierten Medienpreis entgegen.

Berlin Die Flüchtlingskrise war bereits in vollem Gang, als das Handelsblatt vor genau einem Jahr einen besonderen Entschluss fasste: Warum nicht die Neuankömmlinge, über deren Köpfe hinweg so viel debattiert wird, mal selbst zu Wort kommen lassen? Zwei Wochen lang schwärmten rund 30 Kollegen aus und produzierten eine Spezial-Ausgabe, wie es sie so noch nie gab: mit großen Interviews und Grafiken, harten Fakten und berührenden Erzählungen, die dem anonymen Elend ein Gesicht gaben. Genauer gesagt: 44 Gesichter. Denn so viele Flüchtlinge kamen in dem Special zu Wort. Aber auch die sich damals schon abzeichnenden Sorgen der Deutschen wurden abgebildet, die Schattenseiten der Flüchtlingswelle, die zu erwartenden Schwierigkeiten, auch das brutale Geschäft der Schleuserbanden.

Es war eine außergewöhnliche Team-Leistung, die am Mittwochabend in Berlin auch mit einer außergewöhnlichen Ehrung belohnt wurde: dem Theodor-Wolff-Preis, der renommiertesten Auszeichnung für deutsche Tageszeitungen. Vergeben vom Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger. Benannt nach dem einflussreichen Berliner Schriftsteller und Publizisten Theodor Wolff, der 1943 ins KZ Sachsenhausen deportiert wurde und an den Folgen der Haft schließlich starb.

Stellvertretend für die ganze Redaktion nahmen Nicole Bastian (Chefin des Auslandsressorts) und Jens Münchrath (Vize-Ressortleiter Agenda) die Auszeichnung im Kreuzberger Umspannwerk entgegen. Mit dabei unter anderem: der neue BDZV-Präsident und Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner, Ex-Spiegel- und Welt-Chefredakteur Stefan Aust (der selbst zu den Nominierten gehört hatte), der frühere ZDF-Intendant Dieter Stolte und Jörg Thadeusz, der den Abend moderierte.
Das Flüchtlings-Spezial des Handelsblattes fand auch nach seinem Erscheinen reißenden Absatz: Weil viele Schulen die Ausgabe als Unterrichtsmaterial verwenden wollten, ließ der Verlag kurzerhand etliche zehntausend Exemplare nachdrucken
Erst vergangene Woche hatte das Handelsblatt-Team noch einmal nachgesehen, was aus den vor einem Jahr Befragten geworden ist: „Die Geschichten machten durchaus Hoffnung“, so Nicole Bastian. „Noch sind viele voller Optimismus“, flankiert Kollege Münchrath.

Klar ist aber auch: Die vergangenen zwölf Monate haben nicht nur die Flüchtlinge verändert, sondern auch das Land. Die Exzesse am Kölner Hauptbahnhof in der Silvesternacht. Die Anschläge offenkundig islamistischer Flüchtlinge in Ansbach und Würzburg. Der Terror in Frankreich. Ihr "Wir schaffen das" hat Kanzlerin Angela Merkel mittlerweile politisch vereinsamen lassen. Die Folgen der Krise: eine zerstrittene EU, die Berlin nicht folgen will, miese Umfragewerte für die Große Koalition und eine erstarkende Rechte, nicht nur, aber auch hierzulande.

Und noch steht dem Land die Herkules-Aufgabe der Integration überhaupt erst bevor. Insofern wird das Thema nicht nur das Handelsblatt noch lange verfolgen - ökonomisch, politisch, gesellschaftlich.

Die Flüchtlingskrise hatte die Jury eigens als Sonderthema ausgerufen. Und das Sujet zog sich bis in die Festrede von Bundestagspräsident Norbert Lammert, der Deutschland prompt eine „manifeste Vertrauenskrise“ attestierte, „die mehr ist als ein vorübergehendes Gewitter“. Lammert erinnerte die anwesende Medienvertreter an die Grundsätze, denen sich der Wolff-Preis verpflichtet fühlt, allen voran der „demokratischen und gesellschaftspolitische Verantwortung“ journalistischer Arbeit. Und gebe es nicht durchaus Ähnlichkeiten zwischen Politik und Medien, was ihre wachsende Distanz zu ihren Wählern bzw. Lesern angeht? Fast konnte man es als Kritik an seiner Kanzlerin werten, als Lammert auch noch sagte, es falle nicht nur den Medien, sondern auch der Politik bisweilen schwer, „Kurskorrekturen einzuräumen“.

Aber nicht nur die Flüchtlingskrise war ein in jeder Hinsicht ausgezeichnetes Thema: Für ein Essay über die Bedeutung eines nun notwendigen starken Staates erhielt Heinrich Wefing von der „Zeit“ den Preis in der Kategorie „Meinung“. Die beste Reportage hatte nach Ansicht der Juroren Tobias Haberl geschrieben, der fürs SZ-Magazin den NPD-Europaabgeordneten Udo Voigt porträtierte. In der Kategorie Lokales ging der Theodor-Wolff-Preis an das Reporter-Duo Karsten Krogmann und Marco Seng, die in der Nordwest-Zeitung den Fall des Klinikmörders Niels Högel enthüllt und begleitet hatten.

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