Glasfaserausbau Wer schnelles Netz will, muss zahlen

Der Wohlstand des Landes hängt auch vom Ausbau des Glasfasernetzes für ein schnelles Internet ab. Ob es bald kommt, darüber entscheiden auch die Bürger. Sie müssen es wollen - und zahlen. Ein Ortsbesuch in der Provinz.

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Glasfaser Netzausbau in ländlicher Region. Quelle: Thorsten Firlus für WirtschaftsWoche

An diesem Wochenende können die Bewohner Lüttingens über die Zukunft entscheiden. Dutzende Plakate an Laternenpfählen und Straßenschildern dominieren das Straßenbild. Auf Ihnen werden die Bürger aufgefordert, sich zu entscheiden. Ein Kreis verweist auf den Stichtag. Es ist der 25. September. Bis einen Tag nach der Bundestagswahl haben die Anwohner Gelegenheit ihre Stimme abzugeben.

Abgestimmt wird nicht über Politiker oder Parteien, sondern über einen Vertrag der Deutschen Glasfaser GmbH. Wer durch den Stadtteil Xantens am Niederrhein fährt, muss angesichts der zahlenmäßigen Überlegenheit der hellblauen Plakate gegenüber den roten und gelben der politischen Parteien, den Eindruck gewinnen, dass diese Stimmabgabe wichtiger sei als die zur Wahl der Bundestags am 24. September.

Und glaubt man den Stimmen von Politikern und Unternehmern, dann ist das auch so. Der Ausbau der digitalen Netze, der Weg zur "Giga-Bit-Gesellschaft" ist eine der wichtigsten Forderungen von Bürgermeistern, Verbänden und dem zuständigen Minister Alexander Dobrindt. Im Wahlkampf nehmen Ministerpräsidenten symbolisch Spaten in die Hand, um die Wichtigkeit des Glasfaseraufbaus zu betonen. Die erste Etappe ist das ausgerufene Ziel, bis 2018 allen Haushalten eine Leitung mit 50 Megabit je Sekunde zu ermöglichen. Dabei ist dieser Standard, wenn er erreicht wird, technische eigentlich schon veraltet. Das weiß auch die Kanzlerin.

Upload ins Gigabit-Zeitalter

Den Lüttinger Anwohnern würde das derzeit vielleicht noch reichen, um bequem ein wenig Musik zu streamen, auf Facebook zu schauen oder Mails zu versenden. Doch schon wenige Jahre später könnte in den Familien im Streit um die mangelnde Bandbreite der Hausfrieden gefährdet sein – wenn die Tochter hochauflösende Spiele über ihre Virtual-Brille spielen will, während die Eltern bei Netflix die neuesten Serien schauen wollen. Der Schritt zur digitalen Nation - den müssen die Bürger auch selber gehen, indem sie die Bandbreitenleistung als Grundversorgung verstehen wie Wasser und Strom und entsprechend in der Haushaltsplanung berücksichtigen.

Haushalte benötigen mehr Bandbreite

Einer Studie aus dem Dezember 2016 zufolge sind es im Jahr 2025 gerade mal rund 15 Prozent der Haushalte und Unternehmen, die sich mit einer Leitung von bis zu 100 Megabit je Sekunde begnügen – was schon doppelt so viel ist, wie das Ziel der Bundesregierung im Sinn hat. Die weitaus größere Gruppe wird mit intelligenten vernetzten Haushaltsgeräten oder Medienkonsum einen Bedarf von mindestens 100 Megabit haben.

Aber eher zehn mal so viel. Gut 30 Prozent aller Haushalte und Unternehmen werden 2025 laut der Studie Leitungen mit 1 Gigabit, also 1000 Megabit je Sekunde benötigen. Das Wissenschaftliche Institut für Infrastruktur und Kommunikationsdienste (WIK) hat 1000 wahlberechtigte Bürger gefragt, 800 davon sagten, das Internet sei ein öffentliches Gut, so wie das Stromnetz oder die Abwasserleitungen und Teil der öffentlichen Daseinsfürsorge.

Was ist wichtiger - Glasfaserausbau oder die Bundestagswahl? In Lüttingen scheint im Wahlkampf die Antwort zu sein: Schnelles Netz. Quelle: Thorsten Firlus für WirtschaftsWoche

Alle wollen also das schnelle Internet haben. Die Bürger im Wohnzimmer, die Unternehmer in ihren Büros, die Bürgermeister in ihren Gewerbegebieten und an den Schulen und Bildungseinrichtungen. "Wir als Kommune haben ein großes Interesse daran, dass in den Wohn- und Gewerbegebieten zügig der Ausbau des Glasfasernetzes vorangeht, um als Standort attraktiv zu bleiben", sagt Thomas Rynders, der im Rathaus in Xanten für die Breitbandkoordination zuständig ist.

Anders als bei der Grundversorgung mit Telefonie erfolge die Entscheidung zum Ausbau des Breitbandnetzes vor allem unter wirtschaftlichen Aspekten. Die Verantwortung wird, wie so oft, gerne hin und hergeschoben. Die Politik fordert es, die Anbieter verweisen auf die Kosten. Es herrscht im Grundsatz immerhin Einigkeit, dass der Ausbau privatwirtschaftlich geregelt werden soll.

Rynders hält das für richtig. "Der Wettbewerb hat hier die Sache in Schwung gebracht", sagt Rynders. Er hofft, dass dieses Thema für Xanten dann in einigen Jahren erledigt ist. Auch Dank der derzeitigen Fördermöglichkeiten. Damit werden Infrastrukturprojekte möglich, die die weißen Flecken in Landkarte der Breitbandversorgung verkleinern oder gar abschaffen.

Breitbandausbau

Für Städte wie Xanten bedeutet das, dass sie Bewohner wie Unternehmen dazu veranlassen kann, sich in der schönen, aber strukturschwachen Region niederzulassen, oder - fast noch schlimmer - die bereits ansässigen nicht von hier abwandern.

Aber wer bezahlt den Ausbau, insbesondere abseits der Ballungsräume im ländlichen Raum, wenn es nötig ist, Kabel über Kilometer zu einem einzigen Hof hinauszulegen? Oder im Falle der Dr.-Cornelius-Scholten-Str. oder des Wegs "Op de Melter" und "Am blauen Stein" in Lüttingen einfach nur ins Haus? Xanten kann es nicht allein stemmen, wenngleich mit Förderprojekten versucht wird, den Ausbau zu beschleunigen. Die Verbraucher?

Unter den 18- bis 29-Jährigen sind es laut WIK-Umfrage, immer 64 Prozent, die bereit wären, mehr zu bezahlen. In der Gesamtheit sind es nur noch 53 Prozent, bei der Generation Briefpost mag die Einsicht in die Notwendigkeit geringer sein - wer viele davon in seiner Nachbarschaft hat, mag als datenhungriger Nutzer in die Röhre schauen, wenn es ein ganzer Stadtteil ist, der entscheiden muss, ob dort ein Privatunternehmen schnelles Glasfaserkabel verlegt. Teil der Wahrheit ist auch - jeder einzelne Haushalt ist mitverantwortlich dafür, dass das schnelle Internet auch wirklich überall hinkommt.

Neue Rohre braucht das Land

Lüttingens Anwohner, wie tausende in ganz Deutschland in Neubaugebieten oder abgelegenen Regionen lebenden Menschen, konnten deswegen in der heißen Phase der Werbung um ihren Antrag bei dem Plakataufsteller Deutsche Glasfaser eine Menge lernen über Deutschlands Infrastruktur, sperrige Kürzel wie FFTH und TFFC, oder Begriffe wie 5G oder Vectoring. Stellt man sich eine Breitbandleitung wie ein Abwasserohr vor, dann ist es zwar schön, wenn durchs Dorf unterirdisch ein breites Rohr verläuft, aber nutzlos, wenn vom Haus bis dorthin nur ein Strohhalm liegt. Das digitale Nadelöhr befindet sich unter dem eigenen Vorgarten. Es dort aufzubohren ist dann auch Privatsache.

Die Engstelle besteht derzeit aus Kupfer. Dieses seit Jahrzehnten bewährte Material für die Telefonverbindungen hat seine Grenzen. Und die endet bei ziemlich genau 100 Megabit pro Sekunde. Die Telekom als größter deutscher Netzanbieter hat ein Verfahren entwickelt, das sogenannte Vectoring. Das können Lüttingens Bürger bereits heute haben. Sie können, wie alle Bürger Deutschlands auch, auf der Webseite der Telekom in einer interaktiven Grafik schauen, ob sich auf absehbare Angebot des Konzerns daran etwas ändert.

Die Kombination aus Glasfaserkabel bis zum grauen Verteilerkasten und anschließend aufgemotzter Kupferleitung wird mit FTTC abgekürzt. Daumen runter tönte es da Anfang September in Berlin beim Symposium Breitbandpolitik, einzig allein Leitungen mit der technischen Voraussetzung für 1 Gigabit pro Sekunde seien ausreichend.

Wer auf der Telekom-Karte alle Standorte sehen will, die die Telekom mit Glasfaser-Leitungen versorgt hat, die Geschwindigkeiten von bis zu 200 Megabit pro Sekunde erlaubt, muss tief hineinzoomen. Stade ist unter anderem dabei, einige Stadtteile Hannovers, Mettmann im Rheinland (nicht alle Straßen, wohlgemerkt) oder Waltershausen bei Gotha.

Wer die Gesamtansicht für Deutschland wählt sieht im Prinzip einen großen weißen Fleck. Wann immer ein Unternehmen für die großen Datenmengen in Design oder Produktion ein Glasfaserkabel verwendet, ist die Chance groß, dass es das letzte Stück aus eigener Kasse bezahlt hat, um gewappnet zu sein.

Die Telekom, so Kritiker aus der Politik, sei ein Rosinenpicker, der nur in Ballungsräumen ausbaue und die ländlichen Regionen vernachlässige. Obwohl dort mit staatlicher Förderung auch wirtschaftlich nicht darstellbare Vernetzungen möglich sind.

Glasfaser Netzausbau in ländlicher Region. Quelle: Thorsten Firlus für WirtschaftsWoche

"Rosinen zu picken gehört zum Wesen der Marktwirtschaft", sagt Christof Sommerberg, Sprecher der Deutschen Glasfaser. Das 2011 in Borken gegründete Unternehmen nutzt die Chance, jene ländlichen Räume mit Glasfaserangeboten zu beackern, in denen die Telekom derzeit auf die aufgerüsteten Kupferkabel-Bandbreiten setzt. In Lüttingen wirbt die Deutsche Glasfaser mit ihren blauen Plakaten für "echte Glasfaser". Als ob es gefälschte gäbe. Bürger müssen sich an Infoabenden oder im Internet erkundigen, was genau eigentlich dahintersteckt. Eine weitere unbequeme Wahrheit - aus Internetnutzern müssen ein wenig Infrastrukturexperten werden, wenn es rasch voran gehen soll.

In 20 Jahren wirkt ein Terabit langsam

Das Unternehmen ist einer jener der wenigen Privatanbieter, die die Straßen aufbuddeln und Rohre verlegen bis in die Häuser der am schnellen Internet interessierten Bewohner. Wenn sich genug Haushalte bereit finden, einen Vertrag mit dem jungen Unternehmen abzuschließen, das Pakete wie basic100 bis giga1000 für die ganz Datenhungrigen im Programm hat und zwischen 50 und 160 Euro kosten. 40 Prozent der Haushalte müssen mindestens zustimmen. "Dank unserer effizienten Strukturen können wir in diesem Markt auch Regionen bedienen, die für andere schlechter wirtschaftlich zu betreiben sind", sagt Sommerberg.

Es ginge jedoch um mehr als einmalig eine Leitung, sondern die Schaffung einer zukunftssicheren Infrastruktur. Wenn in 20 Jahren eine Leitung mit 1000 Gigabit (ein Terabit) pro Sekunde so langsam wirken sollte wie heute eine ISDN-Leitung beim runterladen eines Spielfilms, dann könnten die Rohre verbleiben und leistungsstärkere Fasern eingezogen werden, verspricht Sommerberg.

In Lüttingen, wie in anderen Orten, werben Lokalpolitiker und Vereine für diese Angebote der Wettbewerber der Telekom. Denn der Haken an dem Angebot der Deutschen Glasfaser: Entscheiden sich nicht genug, lohnt sich die Verlegung von Rohren nicht für das Unternehmen und es zieht tatenlos mitsamt seinen Plakaten wieder ab. Das wäre auf den ersten Blick für manchen Anwohner vielleicht kein Drama. Tatsächlich aber verschlechtert sich die Infrastruktur und damit die technische Grundlage für digitales Leben für alle - auch die, die eigentlich wollen. In den Lüttingens des Landes stimmen die Hausbesitzer nicht nur über ihren Medienkonsum, sondern ein Stück über die Zukunftsfähigkeit des Landes ab.

In Lüttingen ist niemand gegen den Ausbau. Es gibt keinen Widerstand, wegen Sorge um die Umwelt oder Baulärm. Im Gegenteil, die Lokalpresse berichtet in ganz Deutschland immer wieder von Aktion von Vereinen und Bürgern, die dafür werben, dass die Anwohner den Schritt machen, und sich eine Glasfaserleitung ins Haus legen lassen. Aber schieres Desinteresse reicht, um den technischen Fortschritt auszubremsen - es braucht gar keinen Protest.

Die Plakate, die das Straßenbild dominieren, sind deswegen nötig, so die Deutsche Glasfaser. Denn mangelndes Interesse ist in diesem Falle das gleiche wie Ablehnung mit den gleichen Folgen für die Infrastruktur in dem Stadtteil. Vereinzelt bekennen sich Hausbesitzer zu ihrer Meinung und hängen ein wetterfestes "Ich bin dabei"-Plakat an ihr Abwasserrohr.

Der digitale Ausbau, die wirtschaftliche Basis für den weltweiten Wettbewerb in Deutschland - sein Verlauf, das wird in dem ruhigen Flecken in der idyllischen Niederrheinischen Provinz sichtbar, wird auch bestimmt von Menschen, die von den Dimensionen und Zusammenhängen nichts verstehen müssen. Die aber, mit ihrem Wunsch nach häuslichem Frieden dank ausreichend Bandbreite, dazu beitragen, dass der Weg in die Gigabit-Gesellschaft zügig vorangeht.

Lüttingen darf sich entscheiden. Für welche Zukunft sich die Bewohner entscheiden, erfahren sie aber erst, wenn das Ergebnis der Bundestagswahl schon fest steht.

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