Google arbeitet an neuer Video-Brille Die Rückkehr der „Glassholes“

Die Video-Brille war vielen Menschen nicht geheuer, ihre Träger wurden als „Glassholes“ verschrien: Deshalb beerdigte Google sein Projekt Google Glass im Jahr 2015. Doch nun wagt der IT-Riese einen neuen Versuch.

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Google-Glass-Träger bei der Google-Entwicklerkonferenz: Die Brille, die Videos drehen kann, war vielen Verbrauchern nicht geheuer. Jetzt arbeitet Google an einem Comeback. Quelle: Reuters

San Francisco Die Front im Kampf um eines der ehrgeizigsten Projekte von Google-Gründer Sergey Brin verlief durch eine düstere Kneipe in Lower Haight, San Francisco. Hier, in der Punk-Absteige namens „Molotov“, wo der Billard-Tisch nach billigem Vodka riecht und auch nach Sperrstunde ausgeschenkt wird, wurde 2014 eine Tech-Reporterin verbal attackiert, weil sie mitten im Party-Ambiente ein Nerd-Accessoire trug, das so gar nichts in die Szenerie passte: Google Glass. Mit der in der Datenbrille eingebauten Kamera kann der Träger sein Gegenüber filmen, was den Rockern gar nicht gefiel.

In der Folge verboten Kneipen in Silicon Valley die Brille, Träger wurden als „Glassholes“ beschimpft und bezogen sogar Prügel. Die Verkaufszahlen blieben gering. Vor knapp zweieinhalb Jahren dann beerdigte Google kleinlaut sein Produkt, das es im Frühjahr 2012 vorgestellt hatte, eine Computerbrille mit Kamera, Internet-Verbindung sowie einem kleinen Bildschirm über dem Auge, die auf das Kommando “Ok, Google” hörte und Informationen ins Sichtfeld des Nutzers blendet. Entwickelt wurde das Produkt in Alphabets Geheimlabor X. 

Wie sich nun herausstellt, arbeitete der Konzern jedoch in den letzten zwei Jahren parallel an einem Plan B. Jay Kothari, der zuständige Manager des Projekts, teilte am Dienstag in einem Medium-Post mit, im Hintergrund sei in dieser Zeit ein Pilotprogramm für den Einsatz in der Industrie gelaufen.

Eine “Enterprise Edition” des Produkts wurde demnach von 50 Unternehmen getestet, darunter Volkswagen, DHL, Boeing, aber auch bei Flugzeug-Triebwerkehersteller GE Aviation, wo Google Glass Mitarbeitern beispielsweise Erklärvideos für Technologien vorgespielt habe. Der amerikanische Agrarmaschinenbauer AGCO hat derzeit über 100 Glass-Brillen im Betrieb und wolle in den kommenden 18 Monaten 500 bis 1000 weitere bestellen. Der Preis liege bei 1300 bis 1500 Dollar pro Gerät. Der Paketdienst DHL plane, die Brille an 2000 Standorten in verschiedenen Ländern einzusetzen. 

Nachdem „positiven Feedback”, dass er von diesen Kunden erhalten habe, so Google-Manager Kothari, solle die Enterprise-Version von Google Glass nun einem breiteren Publikum zur Verfügung gestellt werden. Das Gerät soll Mitarbeiter mit Informationen versorgen, egal, wo diese sich gerade befinden oder per Video live übertragen, was die Angestellten gerade sehen.

Google will die Qualität der Datenbrille entscheidend verbessert haben, darunter Design, Prozessor und Batterielaufzeit. Um die Privatsphäre-Bedenken zu zerstreuen, leuchtet an der Google Glass nun ein grünes Licht auf, wenn eine Aufnahme beginnt. Der Preis des Produkts liegt bei 1500 Dollar. 

Schon früher vermarktete Google die Glass stärker als Werkzeug für spezialisierte Aufgaben am Arbeitsplatz - in den vergangenen zweieinhalb Jahren war es aber seht still um das Gerät geworden. Unterdessen preschten diverse Anbieter mit Spezialbrillen in den Markt vor, die sogenannte „erweiterte Realität“ (AR, Augmented Reality) bieten. Dabei werden digitale Informationen für den Betrachter in die reale Umgebung eingeblendet. Das kann zum Beispiel bei Montagearbeiten oder Reparaturen von Nutzen sein - während die Hände frei bleiben.

„Als wir Glass ursprünglich entwickelt hatten, war die Arbeit an der technologischen Front sehr solide und der Explorer-Programm war der richtige Weg, um zu erfahren, wie Menschen das Produkt nutzen“, zitiert „Wired“ den Chef des Innovationslabors X unter dem Dach der Google-Mutter Alphabet, Astro Teller. „Wir sind aber vom Weg abgekommen beim Versuch, zu Verbraucher-Anwendungen zu springen.“

Die Unternehmens-Version kann nun unter anderem mit Sicherheitsbrillen kombiniert werden und habe einen schnelleren Prozessor, eine bessere Internet-Anbindung sowie eine längere Batterielaufzeit. Die Kamera sei von fünf auf acht Megapixel hochgestuft worden.

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