Heißer Ritt

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Sinnbild für große Hoffnungen: Welches Start-up erfüllt die Erwartungen? Quelle: dpa

Mary Jo White beschäftigt sich normalerweise nicht mit Übernatürlichem. Die Chefin der US-Wertpapieraufsicht (SEC) mag es eher bodenständig. Als sie aber vergangene Woche nach Kalifornien reiste, sah sie sich gezwungen, über Fabelwesen zu reden: „Unicorns“, zu Deutsch „Einhörner“. Diese nämlich treiben derzeit ihr Unwesen, besonders im Silicon Valley. „Unsere Sorge ist, dass das Prestige einer hohen Bewertung dazu führt, dass Unternehmen wertvoller erscheinen, als sie eigentlich sind“, sagte die SEC-Chefin bei einem Vortrag an der Eliteuniversität Stanford.

Einhörner, das sollte man zum besseren Verständnis wissen, sind in der Start-up-Terminologie nichts Böses oder Ungewöhnliches. Mit dem Begriff „Unicorn“ werden vielmehr all jene jungen Unternehmungen beschrieben, die sich im weitesten Sinne mit Technologie beschäftigen, noch nicht an der Börse notiert sind und dennoch bereits Kapital in Milliardenhöhe von Investoren eingesammelt haben.

Eben darin sieht White die Gefahr. Die SEC-Chefin warnte vor einem neuerlichen heißen Ritt an den Finanzmärkten, einer Bewertungsblase bei den Einhörnern. 150 solcher Firmen gebe es weltweit derzeit, allein in den letzten drei Quartalen 2015 seien 52 dazugekommen. Von April 2014 bis April 2015 waren es erst 37.

Whites Sorge wegen einer Überhitzung gilt den privaten Anlegern. Für diese ist es zusehends komfortabler, Geld über neue, internetbasierte Finanzierungsplattformen zu investieren. Crowdfunding heißt dieses Prinzip, das den Bankberater umgeht – und damit womöglich die Grundlage bietet für einen Rausch, der den realen Wert vieler Firmen vernebelt.

Institutionelle Investoren sind da weiter – beziehungsweise zurückhaltender. Seit Monaten setzen sie regelmäßig die Buchwerte von „Unicorns“ herab: Der Internet-Cloudanbieter Dropbox etwa verlor bei der US-Fondsgesellschaft T. Rowe Price im letzten Quartal 2015 die Hälfte seines Werts. Auch die Vermögensverwaltung Fidelity hat 20 Prozent abgeschrieben. Konkurrent Cloudera wurde mit 37 Prozent geringer eingebucht. Abschreibungen auch bei Nutanix, Delphix, Cloudflare und Snapchat.

Doch während sich in den USA kritische Stimmen mehren, scheint die Start-up-Euphorie in Deutschland ungebremst: Ob Bayer, Siemens oder die Deutsche Bank – so gut wie alle Dax-Konzerne haben mittlerweile Start-ups im Portfolio. Selbst Mittelständler wie Stahlhändler Klöckner, das Familienunternehmen Vorwerk oder der Außenwerber Ströer sind längst auf dem digitalen Einkaufstrip. Der Autozulieferer Bosch etwa, so erfuhr das Handelsblatt, legt dieser Tage bereits den dritten Fonds auf. Mehr als 150 Millionen Euro wollen die Stuttgarter investieren, die schon heute über eine Beteiligungsgesellschaft weltweit Anteile an 30 Start-ups halten und ein Vermögen von insgesamt 420 Millionen Euro verwalten.

Die deutsche Wirtschaft investiert strategisch. Es geht um den Wandel zur Industrie 4.0. Investor Klaus Hommels, der mit seinem Fonds unter anderem bei Facebook, Airbnb, Skype, Spotify und Xing investiert ist, warnt deshalb auch vor zu viel Hysterie angesichts der US-Diskussion. Man habe schon andere Blasen platzen sehen. „Die Schwachen sterben, und die Guten gehen gestärkt daraus hervor.“ Zur Digitalisierung der deutschen Wirtschaft gebe es weiter keine Alternative.

Die Warnungen vor einer Blase im Unicorn-Sektor sind nicht ganz neu. Dass sie aber nun auch von der Spitze der amerikanischen Wertpapieraufsicht SEC kommen, sollte aufhorchen lassen. Tatsächlich stehen Tech-Unternehmen seit einigen Monaten unter Druck, nachdem zuvor jahrelang Milliarden an Anlegergeld in den Sektor geflossen sind. So sagte etwa Microsoft-Chef Satya Nadella im vergangenen Oktober: „Das Schöne an einem Überfluss von Finanzmitteln ist, dass dadurch eine Menge Ideen gedeihen. Aber irgendwann wird es eine Korrektur geben, dann wird das platzen.“ Allenfalls zehn Prozent der Einhörner, glaubt Nadella, seien langfristig wirklich erfolgreich.

Die Auswirkungen dieser neuen Skepsis zeigen sich inzwischen. Im Februar warnte Mark Hantho, Chef des Eigenkapitalgeschäfts der Deutschen Bank, im Handelsblatt, es dürfte für Firmen im Silicon Valley „schwieriger werden, im selben Maße Kapital einzuwerben“. Investor Bill Gurley wurde drastischer. Er sehe „dieses Jahr tote Unicorns herumliegen“. Früher sind auch schon hochgejubelte Firmen verschwunden: 2010 etwa Terralliance, 2011 dann Solyndra – beides Start-ups im Energiebereich. Heute steht bei Dropbox, einem weitaus bekannteren Unternehmen, das Geschäftsmodell unter Druck.

So bestätigt die US-Fondsgesellschaft T. Rowe Price auf Anfrage, die Bewertung von Dropbox bereits im letzten Quartal 2015 halbiert zu haben. Der Wert der Softwarefirma Apptio wurde um ein Viertel herabgesetzt.

Auch die Vermögensverwaltung Fidelity hat Dropbox neu bewertet und im Februar satte 20 Prozent abgeschrieben. Konkurrent Cloudera wurde mit 37 Prozent geringer eingebucht. Abschreibungen gab es dort auch auf Anteile an den Software-Unternehmen Nutanix, Delphix und Cloudflare. Den Messaging-Dienst Snapchat hat Fidelity zuletzt wieder etwas angehoben – nach einer deutlichen Abwertung zuvor.

Allein im vergangenen Jahr zählte der Informationsdienst CB Insights in seinem „Downround-Tracker“ 59 Runden, in denen Bewertungen von Einhorn-Start-ups gesenkt werden mussten. Dies seien die „verwundeten Unternehmen der Einhorn-Ära“, schreiben die Experten. Bei diesen Finanzierungsrunden kaufen Investoren Anteile der Unternehmen, woraus dann die Bewertungen hochgerechnet werden. CB Insights hat im letzten Quartal 2015 einen Rückgang der Investitionen bei Start-ups um 30 Prozent festgestellt. Außerdem brauchen nach ihrer Einschätzung rund 60 Prozent der Firmen bis zum Herbst frisches Geld.

Maßgeblich getrieben wird diese Entwicklung von drei Phänomenen: Seit Mitte 2015 ist die US-Börse deutlich instabiler als zuvor. Auch wenn sie sich zuletzt wieder mit dünnen Umsätzen erholen konnte, ist die Grundtendenz doch weiter negativ. Kaum ein Unternehmen wagt derzeit einen Tanz auf dem Parkett.

Zugleich haben etliche institutionelle Investoren begonnen, ihre Portfolios aufzuräumen. Allen voran Google. Mit Alphabet wurde die Konzernstruktur gestrafft, das Unternehmen begann, sich von unrentablen Beteiligungen zu trennen. Jüngst wurde so etwa der Robotikhersteller Boston Dynamics zum Verkauf gestellt.

Und schließlich spielt es auch eine Rolle, dass hochgejubelte Geschäftsmodelle ihre vollmundigen Versprechen einfach nicht erfüllen. Der Online-Speicherdienst Dropbox etwa musste jüngst zugeben, dass zwei zentrale neue Produkte bei den Kunden nicht ankommen. Auch bei Twitter ist die Luft raus, der Kurs der Aktie ist stark gesunken, was Einfluss auf andere Bewertungen hat.

Sind damit die Zeiten des unendlichen Wagniskapitals also vorbei?

Nein. Denn es gibt auch gute Nachrichten für Gründer: Am Freitag gab das Tech-Unternehmen Slack bekannt, 200 Millionen Dollar von Kapitalgebern eingesammelt zu haben. Rechnerisch hat die Firma also einen Wert von 3,8 Milliarden Dollar – das reicht für fast vier Hörner.


Was wird aus Dropbox, Snapchat und Twitter?

Dropbox

Keine zahlende Kundschaft

Das Bereitstellen von Cloud-Dienstleistungen und digitalen Datenspeichern ist heute, wo Serverleistungen immer günstiger werden, kein Nischengeschäft mehr, sondern ein hart umkämpfter Markt für Tech-Riesen. Allen voran dominiert Amazon die Wachstumssparte. Die Webservices des Versandhändlers haben laut Schätzungen des Finanzinstituts RBC einen Wert von bis zu 160 Milliarden Dollar. Es folgen Microsoft, IBM und, ein wenig abgeschlagen, Suchmaschinenanbieter Google.

Kein Zweifel: Die Großen drängen aggressiv in den Markt. Für kleine Firmen wird es schwieriger. Cloudera etwa, ein Big-Data-Analyst aus San Francisco, hat den für Ende des Jahres geplanten Börsengang vorerst verschoben. Besonders drastisch zeigt sich die Entwicklung bei Dropbox. Das Unternehmen hatte seine Dienste Privatkunden größtenteils kostenlos überlassen. Gründer Drew Houston hatte zuletzt versucht, ins Firmenkundensegment zu expandieren. Im Dezember aber musste das Start-up zugeben, dass zwei der zentralen neuen Produkte, die Foto-App Carousel und ein eigener E-Mail-Dienst, bei den Nutzern auf wenig Begeisterung stoßen. Inzwischen ist gar fraglich, ob weitere Features kommen.

Das US-amerikanische Unternehmen Fidelity Investment hat deshalb seine Erwartungen für beide ehemaligen Hoffnungsträger nun nach unten korrigiert. Es schraubte die Anteile an Dropbox um 20 Prozent herunter, an Cloudera gar um 38 Prozent.

Snapchat

Bewertung im Realitätscheck

Die Firma wurde bekannt mit ihren Bildern, die verschickt werden und sich gleich wieder selber löschen. Was sich eher wie ein Gag anhört, brachte dem Unternehmen vor rund einem Jahr eine kalkulatorische Bewertung von rund 16 Milliarden Dollar ein – die inzwischen aber eingebrochen ist. Snapchat ist ein Beispiel für eine Firma, deren Bewertungen in keinem vernünftigen Verhältnis zur Realität standen, sondern übers Ziel hinausgeschossen waren – und deswegen wieder zurückgenommen werden mussten.

Basis des Snapchat-Geschäftsmodells sind hohe Nutzerzahlen vor allem bei jungen Leuten bis zum Alter von 34 Jahren, die als besonders ausgabenfreudig gelten. Das Unternehmen gibt die Zahl der Nutzer mit rund 100 Millionen an. Kein Wunder, dass Facebook-Gründer Mark Zuckerberg die Firma in einer frühen Phase übernehmen wollte, er hatte ja bereits bei Instagram und WhatsApp zugeschlagen. Bei Snapchat aber kam er nicht zum Zuge.

Das Start-up hat sich inzwischen als eigener Kommunikationskanal neben anderen wie Facebook und Instagram etabliert und wird in den USA so zum Teil auch von den Medien bedient. Das Geschäftsmodell beruht – wie fast überall bei derlei Firmen – auf Werbung.

Die Ernüchterung kam im vergangenen Herbst, als bekannt wurde, dass Fidelity seine Beteiligung an Snapchat um ein Viertel abgeschrieben hat. Zwar wurde der Wert inzwischen wieder leicht nach oben korrigiert. Aber das Signal war da und hat den gesamten Markt beeinflusst: Auch ein erfolgreiches Unternehmen kann es erwischen, das Einhorn wurde ein wenig kürzer.

Twitter

Anlegers Liebling auf Talfahrt

Der Kurznachrichtendienst Twitter war vor seinem Börsengang 2013 das Paradebeispiel eines Einhorns. Die Firma war der Liebling des Silicon Valley. Jetzt aber befindet sich der Kurs der Firma auf Talfahrt und trübt damit auch die Stimmung der Investoren ein, die Start-ups finanzieren. Der Wert der Aktie liegt inzwischen bei unter 20 Dollar – weit unter dem Ausgabepreis.

Das gehört zum bitteren Realitäts-Check, den die Firma gerade durchläuft. In der öffentlichen Wahrnehmung war die Plattform stets größer als in Wirklichkeit. Inzwischen stagniert die Fanbasis bei 320 Millionen. Konkurrent Facebook hingegen wächst stetig und freut sich inzwischen über 1,6 Milliarden Mitglieder.

Twitters Umsatz stieg im letzten Quartal zwar um 48 Prozent, doch die Verluste, die das Netzwerk schreibt, sind mit 90,2 Millionen Dollar nach wie vor hoch.

Einerseits leidet Gründer Jack Dorsey darunter, dass Twitter immer mit den Großen der Branche verglichen wird. Andererseits ist die Krise selbst verschuldet. Das Netzwerk hat sich viel zu lange Zeit gelassen, ein tragfähiges Geschäft mit Werbung zu entwickeln und sich für den Nutzer unverzichtbar zu machen. Für den Mainstream ist der Dienst immer noch zu kompliziert, er ist von der Vielfalt der Informationen überfordert, weil Twitter nicht gut genug auswählt, was er zu sehen bekommt. Das Management versucht nun gegenzusteuern, mit einem Algorithmus, der Tweets besser an die Nutzerinteressen anpasst, und neuen Werbeformaten.

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