Der Chef steht vor einer fast leeren Halle. Nur ein paar Handwerker arbeiten im Hintergrund während Jason MacKenzie, verantwortlich für das USA-Geschäft HTC, spricht. Später am Abend werden bei dem vom Smartphone-Hersteller gesponserten Tidal-X-Konzert im Brooklyner Barclay Center noch Stars wie Jay Z, Usher und Beyonce auftreten. Aber erstmal: “Heute dreht sich alles um Smartphones", sagt MacKenzie. Und er hat eins im Angebot:
Am Dienstagabend hat der taiwanesische Smartphone-Hersteller sein neustes Gerät, das One A9, vorgestellt. Ein, zumindest nach den veröffentlichen technischen Details, sehr ordentliches Smartphone der oberen Mittelklasse: 5-Zoll-Display, der Achtkern-Prozessor Qualcomm Snapdragon 617, 13 Megapixel-Kamera und 16 beziehungsweise 32 GB Speicher. Der Preis in Deutschland: über 500 Euro. Ebenfalls obere Mittelklasse also.
Das neue HTC-Modell
Größe: 145 x 70 x 7 mm
Quelle: HB
Speicher: 16 GB
Gewicht: 143 Gramm
Bildschirm: Fünf Zoll Amoled, Full HD 1080 p, Corning Gorilla Glass 4
Betriebssystem: Android 6.0
Prozessor: Qualcomm Snapdragon 617
Sensoren: Fingerabdruckscanner, Näherungs- und Lichtsensor, Bewegungssensor und mehr.
Kamera: 13 Megapixel
Preis: UVP mehr als 500 Euro.
Als eines der ersten Betriebssysteme wird das A9 auf das neue Android 6.0 Marshmallow setzen, ergänzt durch die Benutzeroberfläche HTC Sense - mit einigen Besonderheiten wie dem News-Dienst Blinkfeed. Ansonsten gibt es wenig spektakuläre Neuerungen.
Bei seiner kurzen Vorstellung pries MacKenzie aber nicht nur die technischen Vorzüge, sondern auch die Freiheit, die das A9 angeblich bietet. So garantiert HTC in den USA zum Beispiel, dass die Geräte in den ersten zwölf Monaten im Schadensfall kostenlos repariert werden. Ein Angebot, dass sich Apple etwa bezahlen lassen. Es sollte nicht der einzige Seitenhieb bleiben.
“Unsere Smartphones sind besonders bei unseren Konkurrenten beliebt”, behauptet MacKenzie. Metallgehäuse, große Bildschirme, die Anpassung von Android, alles Dinge, die HTC eingeführt habe, und die dann von anderen kopiert wurden. Kauft. Kauft. Kauft, verdammt nochmal unsere Geräte, hätte der Manager in diesem Moment vermutlich schreien wollen.
Here's the HTC One A9 next to an iPhone 6s https://t.co/U0w6QqsYPa #android pic.twitter.com/LeQLSIglan
— Android Central (@androidcentral) 20. Oktober 2015
Denn MacKenzie hat ein großes Problem: Sein Unternehmen baut seit jeher wirklich gute Smartphones. In Testberichten wurden insbesondere die HTC-Oberklasse-Geräte One M7 und M8 gelobt. Schon die jüngste Neuauflage des Oberklasse-Smartphones, das M9, blieb aber weit hinter den Erwartungen zurück und in den Regalen liegen. Es sei zu viel lauwarmer Aufguss, biete zu wenig echte Neuerungen, mäkelten die Kritiker. Hatte HTC damit den Ruf erworben, sich selbst zu kopieren, scheint es nun noch doller zu kommen.
iPhone-Klon?
Das One A9 ist optisch bloß ein dreister iPhone-Klon, heißt es bereits auf den Branchenseiten im Netz. Dabei ist HTC gerade auf das Design besonders stolz - und nennt es die logische Weiterentwicklung der eigenen Designvorgaben.
Tatsächlich erinnert es aber frappierend an Apples Vorzeigegerät - mit Anleihen bei anderen aktuellen Geräten. Das Aluminium-Gehäuse mit den hellen Antennen-Streifen wirkt wie das 6s, lediglich die Kamera ist nicht an der Seite sondern mittig positioniert. Der physische Home-Button mit Fingerabdruckscanner erinnert wiederum stark an andere Android-Geräte - wie die von Samsung zum Beispiel. Das wirkt durchaus edel, aber eben auch altbekannt.
Und genau das ist HTCs großes Problem: “Auf dem Smartphone-Markt geht es längst um mehr als nur Design und Hardware”, sagt Gartner-Analysten Roberta Cozza. “Die Kunden wollen auch eine besondere Erfahrung um das Gerät herum.”
Noch 2011 galt HTC als einer der innovativsten und wichtigsten Hersteller von Smartphones mit Android-Betriebssystem überhaupt. Keine fünf Jahre später steht das einstige Vorzeige-Unternehmen im Ruf, die ärgsten Konkurrenten bloß noch nachzuahmen, um wenigstens von deren Glanz zu profitieren. Das zeigt die Misere in aller Deutlichkeit: “Zuletzt war HTC kein Innovationstreiber mehr”, sagt Cozza. “Sondern bloß noch Passagier.”
Was HTC den Niedergang brachte
Der Fall von HTC ist ein tiefer - auf mehreren Ebenen. Besonders deutlich zeigt ihn die Börsenkurve. Lag die HTC-Aktie im Frühjahr 2011 noch bei 1300 Taiwan-Dollar, notiert sie derzeit bei rund 85. Darüber kann sich der Konzern sogar freuen. Zwischenzeitlich lag der Kurs schon bei knapp über 40 und damit so niedrig, dass das gesamte Unternehmen an der Börse weniger wert war als die eigenen Bargeldreserven.
Die Entwicklung der Verkaufszahlen ist ähnlich. Von einst über zehn Prozent ist HTC auf einen weltweiten Marktanteil von zwei Prozent abgestürzt. Hatte es der Konzern 2014 zumindest noch geschafft, ein Plus zu erwirtschaften, fielen die vergangenen Quartalszahlen tiefrot aus. Allein in Juli, August und September machte das Unternehmen 122 Millionen Euro Minus. Der Umsatz brach um fast 50 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum ein.
Dass es so steil bergab ging, hat HTC natürlich auch mit zu verantworten. Das Unternehmen hat es nie geschafft, aus seinen Geräten eine attraktive Marke zu formen. “Auch das Management hat nicht genug Druck gemacht”, sagt Branchenkennerin Cozza. “Nach den ersten Erfolgen mit der One-Serie ist man bei der Innovationsentwicklung wieder nachlässig geworden.”
Für den Niedergang ist der Konzern aber trotzdem nicht allein verantwortlich. Er fällt einem Wettbewerb zum Opfer, der kleinen Herstellern kaum eine Chance lässt. Denn auf dem Smartphone-Markt ist nur wenig Platz.
Wer Highend-Geräte will, kauft häufig Apple. Bei den teuren Android-Geräten ist Samsung eindeutiger Marktführer. Mit einer ganzen Flut an Smartphones ist der Konzern aus Südkorea zudem in allen Preisklassen vertreten, und längst zum absatzstärksten Smartphone-Hersteller der Welt aufgestiegen. Zwischen Apples Kultmarke rund um das iPhone und der schieren Masse von Samsung wird HTC einfach zer- und aus dem Oberklasse-Markt gedrückt.
Andere asiatische Anbieter wie Huawei und das aufstrebende Unternehmen Xiaomi wachsen kräftig - allerdings im Niedrigpreis- und Mittelklasse-Sektor. Doch die Chance, mit einem preiswerteren Smartphone Markanteile in Schwellenländern zu erobern, in denen der Aufstieg des Smartphones erst beginnt, hat HTC verpasst. Die Einsteigermodelle der Desire-Reihe kamen spät und haben es - trotz annehmbaren Preises, aber ohne Besonderheit - nie zum großen Durchbruch gebracht.
HTCs Versuche, abseits der Smartphones ein Geschäft aufzubauen, waren bestenfalls durchwachsen. Die Actionkamera RE war zwar innovativ und besonders handlich, bedient jedoch nur einen Nischenmarkt und zieht dort im Vergleich mit der wesentlich beliebteren GoPro den Kürzeren. Die Entwicklung des Fitnesstracker Grip wurde kurz vor Markteinführung eingestellt, die eigene Smartwatch lässt genauso auf sich warten wie die Virtual-Reality-Brille Vive. Und sein derzeit einziges Tablet, das Nexus 9, baute HTC nur im Auftrag von Google.
Jetzt steht der Konzern so schwach da, dass bereits die Geier kreisen. Im Sommer wurden schon Gerüchte laut, der Computer-Hersteller Asus könnte den schwächelnden Smartphone-Bauer schlucken. HTC schmetterte ab. Noch geht das offenbar.
Auf Dauer in der Nische
Auf den Druck reagierte das Unternehmen bislang mit den Rettungsankern der Krisen-Konzerne: Auf den Austausch der Führung folgte die Ankündigung von massivem Stellenabbau und Kürzungen bei der Modellbreite. Man wolle sich nun auf das Premiumsegment konzentrieren, erklärte des Unternehmen zuletzt. Der einzig richtige Schritt, glaubt Gartner-Analystin Cozza: “Auf einen Preiskampf mit den chinesischen Anbietern braucht sich HTC gar nicht einlassen. Das Unternehmen hätte keine Chance.”
Insofern ist das A9 mit dem gehoben Preis der richtige Ansatz. In Europa, den USA und auf den aufstrebenden Smartphone-Märkten wie China könnte HTC damit bei all jenen punkten, die statt ihres Einsteiger-Smartphones ein Gerät mit mehr Leistung suchen, vor den Highend-Geräten jenseits der 700-Euro-Grenze jedoch noch zurückschrecken.
Smartphones: diese Betriebssysteme verkaufen sich am besten
Android hat sich seit 2014 mit Abstand am besten verkauft. Ging es vor zwei Jahren bereits über eine Millionen Mal über den Ladentisch, so wird es sich 2016 - Expertenschätzungen zufolge - vermutlich fast1,4 Millionen Mal verkaufen.
Auch das Betriebssystem von Apple schlägt sich gut. Von fast 192.000 Verkäufen konnte es sich 2015 auf über 209.000 steigern, Tendenz für 2016 steigend (über 221.000).
Das nach Umsatz drittgrößte Smartphone-Betriebssystem Windows hat im Jahr 2014 über 35000 Smartphones ausgestattet, 2015 bereits über 44000. 2016 werden es voraussichtlich über 58.000 sein.
2014 wurden fast 8000 Smartphones mit dem Betriebssystem von Blackberry verkauft. Die Verkaufszahlen sind allerdings rückläufig. 2015 sind es nur noch knapp über 5000, 2016 schätzungsweise nur noch unter 4000.
Auch für Firefox OS sieht es nicht gerade rosig aus. 2014 wurden gerade einmal 2256 Smartphone mit diesem Betriebssystem verkauft. Die Tendenz ist weiter abnehmend. (2016:2178).
Andere Anbieter haben insgesamt etwa 3500 Smartphones mit ihrem Betriebssystem ausgestattet. Gartner schätzt, dass 2015 nur noch knapp über 3000 Smartphones mit anderen Anbietern ausgestattet werden, 2016 sogar noch weniger (1835)
Quelle: Gartner (Juni 2015)
Zum großen Publikumserfolg wird es kaum reichen. “HTC wird sich ohnehin damit abfinden müssen, ein Nischen-Hersteller zu bleiben”, glaubt Cozza. “Seine einstige Größe wird das Unternehmen nicht wieder erreichen. Aber noch hat es die Chance, am Markt zu bestehen.”
Das aber wird sich wohl erst in den kommenden Monaten zeigen. HTCs große Chance - und vielleicht eine der letzten: der Nachfolger des Highend-Geräts M9. Das für 2016 geplante Topmodell braucht dann aber echte Neuerungen, um mindestens die Begeisterung der ersten One-Geräte zu entfachen.
Zumindest beim Namen bricht das nächste HTC-Flaggschiffmodell mit seinen Vorgängern. Es soll, so wird kolportiert, O2 heißen.