Infineon Wie Ploss den Fernen Osten erobern will

Der Vorstand von Infineon befindet sich im Umbau. Das verschafft Konzernchef Reinhard Ploss Luft, um sich auf den Ausbau des Asiengeschäfts zu konzentrieren. Malaysia soll der größte Fertigungsstandort werden.

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Infineon-Chef Ploss will noch mehr Umsatz aus Asien Quelle: dpa Picture-Alliance

Am Tag vor der großen Sause herrscht auf dem Infineon-Campus im malaysischen Kulim konzentrierte Anspannung. Auf der Rückseite einer der Werkshallen proben Tänzerinnen in bunten Kostümen ihren Auftritt. Drinnen, hinter den Fabrikmauern, feudeln Arbeiter, eingehüllt in blaue Ganzkörperanzüge, durch die Flure des neuen Reinraums zur sterilen Chipproduktion, den die Münchner mit viel Pomp eröffnen wollen.

Vor zehn Jahren hatte Infineon hier, in einem Industriepark im nördlichen Malaysia, ein Werk zur Fertigung von Halbleitern eingeweiht und sich schon damals ein Grundstück für eine mögliche Erweiterung gesichert. Die aber würde angesichts der großen Kapazitäten auf dem Halbleitermarkt wohl nie nötig werden, spotteten Kritiker damals. Doch sie lagen falsch. Mit dem neuen Halbleiterwerk wird der Münchner Konzern seine Kapazitäten in Kulim in den kommenden Jahren nahezu verdoppeln.
Rund 1,1 Milliarden Euro hat Infineon bisher in seine Aktivitäten in der Stadt nahe der thailändischen Grenze investiert.

Infineon-Fabrikeröffnung in Malaysia
Malaysische Tänzerinnen Quelle: Infineon
Infineon Quelle: Infineon
Eröffnungszeremonie Quelle: Infineon
Mustapa Mohamed (3. v. l.), Reinhard Ploss (4. v. l.), Tan Soo Hee (5. v. l.) Quelle: Infineon
Infineon-Management und Malaysias Politprominenz Quelle: Infineon
Infineon-Werk in Kulim. Quelle: Infineon
Reinhard Ploss. Quelle: Infineon

In den nächsten Jahren, wenn sich die Reinräume des neuen Werks füllen, sollen noch einmal knapp 900 Millionen Euro hinzukommen.
Der Ausbau der Malaysia-Aktivitäten ist ein zentraler Teil der Strategie von Konzernchef Reinhard Ploss. Mehr als die Hälfte des Umsatzes von zuletzt 5,8 Milliarden Euro erwirtschaftet Infineon bereits in Asien. Kein anderer der 30 Dax-Konzerne kommt auch nur annähernd auf eine ähnlich hohe Quote. Und geht es nach Ploss, soll der Anteil, den das Fernostgeschäft zum Umsatz der Münchner beisteuert, weiter steigen. In fünf Jahren könnte der Konzern so die Marke von 60 Prozent knacken. „Der Ausbau der Elektromobilität insbesondere in China bietet riesige Chancen für uns“, sagt Ploss. In einem Elektro- oder Hybrid-Pkw seien schließlich Halbleiter für gut 700 Dollar verbaut.
Damit der Vorstandschef sich künftig noch stärker auf die Umsetzung der Strategie konzentrieren kann, will Infineon den Vorstand zum 1. Juli von drei auf vier Posten erweitern.

Jochen Hanebeck, der bislang das Chipgeschäft mit der Autoindustrie leitete, wird dann das neu geschaffene Ressort Operations übernehmen.
„Seit Anfang des Jahrzehnts hat sich der Umsatz von Infineon nahezu verdoppelt“, begründet Aufsichtratschef Wolfgang Mayrhuber den Schritt. Auch für das laufende Jahr erwartet der Konzern einen Umsatzschub von rund zwölf Prozent. Damit die Arbeit „angesichts der gewachsenen Komplexität mit gleicher Dynamik fortgeführt“ werden könne, sagt Mayrhuber, erweitere man nun den Vorstand.
Am Morgen der feierlichen Werkseröffnung in Kulim nimmt der Infineon-Chef in einem weißen Ledersessel Platz. Ein mächtiges Zelt überspannt die rot dekorierte Bühne am Rande des Werksgeländes. Wenige Hundert Meter dahinter beginnt der Dschungel. Infineon-Mitarbeiter schwenken Fahnen; schmissige Rhythmen und ein Imagefilmchen sollen das Publikum bei Laune halten.

Malaysia wird der größte Fertigungsstandort sein

„Ich will ehrlich sein“, sagt Ploss, als er schließlich auf der Bühne steht. „Wir sind zunächst wegen der niedrigen Löhne nach Malaysia gekommen.“ Das war 1973, als die Deutschen in Malakka, im Süden des Landes ihre erste Fabrik bauten. Damals war der heutige Infineon-Konzern noch die Halbleitersparte von Siemens.
Ploss spricht auf Englisch ohne Manuskript. Inzwischen sei der Standort Malaysia integraler Bestandteil der globalen Aktivitäten des Konzerns mit seinen weltweit gut 35.000 Mitarbeitern. Mehr als 17.000 davon arbeiten in Fernost, etwa 10.000 Menschen beschäftigen die Münchner allein in Malaysia.

Zu den 2000 Infineon-Mitarbeitern in Kulim sollen, wenn die zweite Fabrik in den kommenden Jahren hochgefahren wird, noch einmal 1000 hinzukommen. Malaysia wird dann der größte Fertigungsstandort von Infineon sein.
Den Grundstein des heutigen Erfolgs hatte Ploss’ Vorgänger Peter Bauer gelegt. Bauer, der vor knapp vier Jahren abtrat, hatte aus dem kriselnden Massenhersteller einen hoch profitablen und innovativen Spezialanbieter gemacht. So liefern die Münchner seit Kurzem für Google die Hardware zur Gestenerkennung bei Mobiltelefonen.
Sein Geld verdient Infineon heute aber vor allem mit Leistungshalbleitern für die Autoindustrie, für industrielle Steuerungen und für Anlagen zur Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien. „Das Unternehmen ist sehr gut diversifiziert“, sagt denn auch Wolfgang Donie, Aktienanalyst der Nord/LB.
Am Morgen nach der feierlichen Eröffnung des neuen Werks sitzt Ploss in einer der oberen Etagen des ehrwürdigen Eastern & Oriental Hotel nahe Kulim. Die Luft draußen ist schwül, der Blick geht über den Indischen Ozean.
Sicher, sagt Ploss mit Blick auf seinen Vorgänger Bauer, seien sie „vom Typ her unterschiedlich“. Ploss, der in München Verfahrenstechnik studierte, wirkt auf den ersten Blick blass und hölzern. „Spröde ist gar kein Ausdruck“, sagt einer, der lange mit ihm zusammengearbeitet hat.

Welche Technologien uns besser leben lassen
Berührungslos greifen:Ein Chip erfasst Nervenreize. Denkt ein Proband „Greifen“, kann er eine Prothese fernsteuern. Quelle: ap
Magnetismus spüren:Werden kleine Magnete unter die Haut der Fingerkuppen implantiert (200 Euro ), können Menschen elektromagnetische Felder wahrnehmen. Quelle: dpa
Besser hören:Ein Mikrochip im Innenohr (38.000 Euro ) lässt Taube wieder hören. Quelle: dpa/picture alliance
Stimmung steuern:Hirnschrittmacher (ab 31.000 Euro ) senden elektrische Impulse ins Gehirn, um epileptische Anfälle, das Zittern von Parkinson-Kranken und Depressionen zu heilen. Quelle: dpa
Lähmung überwinden:Mit einer vollelektronischen Orthese (60.000 Euro ) können Menschen gelähmte Gliedmaßen wieder benutzen. Quelle: dpa
Natürlich gehen:Mikroelektronik in modernen Prothesen wie der des deutschen Athleten Markus Rehm (30.000 bis 40.000 Euro ) kontrolliert und steuert innerhalb von Millisekunden die Position des Kunstbeins beim Gehen, Rennen oder Treppensteigen. Quelle: dpa
Schneller rennen:Mit superleichten Karbonfedern (8.000 Euro ) spurten Sportler besser als mit normalen Fußprothesen. Quelle: dpa

Der charismatische Bauer konnte dagegen auch den großen, mitreißenden Auftritt. „Ich komme sehr stark aus der Technologie“, sagt Ploss. Seit drei Jahrzehnten arbeitet der 60-jährige Franke bereits bei Infineon. Begonnen hatte Ploss 1986 in der Münchner Chipfertigung des Siemens-Konzerns. Zwischenzeitlich leitete er das Automobil- und das Industriegeschäft. Im Jahr 2007 rückte Ploss in den Vorstand auf.
Doch auch wenn Bauer mit der Abkehr vom Massengeschäft vor acht Jahren wichtige Weichen richtig gestellt hat: Der jetzige Vorstandschef profitiert davon, dass er im Konzern tief verwurzelt ist. Inzwischen hat er dem Unternehmen seinen Stempel aufgedrückt. So bewies Ploss mit der Übernahme des amerikanischen Rivalen International Rectifier (IR) vor bald zwei Jahren einen guten Riecher.

Infineon erzielt ein viertel seines Umsatzes in China

Kurz nach dem Drei-Milliarden-Dollar-Deal der Bayern begann in der Chipbranche eine Übernahmewelle. Ploss hat frühzeitig gehandelt und wurde dadurch nicht in eine teure Bieterschlacht hineingezogen. Hinzu kommt: Infineon hat das US-Unternehmen völlig geräuschlos und schneller als geplant integriert.
Im Unternehmen sprechen sie von einem Kulturwandel, der mit Ploss Einzug gehalten habe. Der Ingenieur gilt als unprätentiös, authentisch und bodenständig. Mit den Insignien der Macht, wie sie andere Dax-Chefs vor sich hertragen, kann er so wenig anfangen wie mit großen Entouragen und Kofferträgern. Ploss reist auch mal, die Aktentasche unter dem Arm, allein um die Welt.
Ein langjähriger und ranghoher Infineon-Manager spricht von einem langen Prozess, der vom früheren Infineon-Chef Ulrich Schumacher über die Nachfolger Wolfgang Ziebart und Peter Bauer bis zu Reinhard Ploss geführt habe: am einen Ende des Spektrums der ruppige und bisweilen großspurige Schumacher, der zum Börsengang im Rennwagen an der Wall Street vorfuhr.

Am anderen Ende der stille Tüftler und Technikfreak Ploss, von dem man sich nicht vorstellen kann, dass er auch mal laut wird. „Heute hat zumindest keiner mehr Angst, auch mal einen Fehler zuzugeben“, sagt der ranghohe Infineon-Manager. Die Hierarchien seien flacher geworden.
Das ist Ploss wichtig. Denn wie, fragt er, können Innovationen entstehen, wenn die Mitarbeiter nicht auch mal etwas wagen. Andererseits warnt er vor unkalkulierbaren Risiken, die es um jeden Preis zu vermeiden gelte. Bei einem autonom fahrenden Auto etwa, betont Ploss, dürfe nicht ein einziger Speicherchip auch nur den kleinsten Fehler aufweisen.
Dem Franken liegt nicht unbedingt der mitreißende Auftritt, der den Massen eine Gänsehaut über den Rücken jagt. Ploss, der am Wochenende gern an Modellfliegern bastelt, blüht auf, wenn es gilt, technische Details zu analysieren.

Die fünf großen Gefahren für Chinas Wirtschaftswachstum

In internen Workshops kann es den sonst so ruhigen Konzernchef schon mal vor Ungeduld zerreißen, wenn der Vortragende die Zusammenhänge seiner Meinung nach nicht treffend genug darstellt. Dann nimmt Ploss ihm die Schaubilder aus der Hand und erklärt den Zuhörern, von wo nach wo die Atome bei einer bestimmten physikalischen Reaktion wirklich wandern.
Bei seiner Strategie zur Eroberung des Fernen Ostens blickt Ploss inzwischen weit über Malaysia hinaus. Vor allem beim Thema China, wo Infineon ein Viertel seines Umsatzes erzielt und in Wuxi bei Shanghai eine Chipfabrik betreibt, gerät Ploss ins Schwärmen.

Die Auto-Abhängigkeit ist manchem zu hoch

„China hat gesehen, dass es den Westen beim Verbrennungsmotor kaum einholen wird und steigt deshalb direkt in die Elektromobilität ein“, sagt Ploss. Allein in diesem Jahr will Peking 700 000 Elektroautos auf die Straße bringen. Sollte es in den kommenden Jahren in dem Tempo weitergehen, böte der chinesische Markt den Münchnern gewaltige Chancen. Denn nicht nur in den vielen neuen E-Autos, sondern auch in den von der Regierung geplanten Tausenden von Ladestationen sind riesige Mengen Halbleiter verbaut.
Das Automobilgeschäft ist die mit Abstand wichtigste Säule bei Infineon. Weltweit erzielt das Unternehmen mit der Sparte 40 Prozent seines Umsatzes, was auch erklärt, warum es für Infineon, anders als bei Rivalen wie Intel, gut läuft.
Dennoch ist manchem Experten die Auto-Abhängigkeit zu hoch.

Das sind die wettbewerbsfähigsten Länder der Welt

„Wenn die Nachfrage in den USA nachlässt, kann sich das sehr schnell in der Bilanz niederschlagen“, warnt etwa Nord/LB-Analyst Donie.
Ploss gibt sich davon unbeeindruckt. Auch die Aktivitäten der Münchner in China richten sich derzeit vor allem auf die Automobilindustrie. Potenzial sieht Ploss aber auch bei chinesischen Herstellern von Windkraft- und Fotovoltaikanlagen.
Auch das zuletzt schwächere Wirtschaftswachstum in China beunruhigt Ploss kaum. Mehr als sechs Prozent Wachstum, findet er, seien immer noch ordentlich. Größere Sorgen macht ihm der Reformstau im Land. „China versucht auch in Krisen, Reformen voranzubringen.

Das Land steht gleichzeitig unter großem Druck, dem Volk Perspektiven zu bieten und für Beschäftigung zu sorgen“, sagt Ploss. Vor allem der Umbau und die Modernisierung der Altindustrien wie Stahl, Zement oder Glas kämen nicht immer schnell genug und nachhaltig voran.
Die Feierlaune des Konzernchefs bei der Werkseröffnung in Malaysia können solche Gedanken indes nicht trüben. Am Abend nach der Zeremonie treffen sich Ploss und Mitarbeiter im Garten des altehrwürdigen Suffolk House in Georgetown nahe Kulim zur großen Party. Als die Rockband der Belegschaft eine Pause macht, betritt der Chef die Bühne, in der Tasche seiner Jeans ein halb volles Bierglas. „Work hard, party hard“, schmettert er ins Publikum. Da, seht her, so die Botschaft: Auch spröde Typen können es krachen lassen.

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