Lena ruft in den Flur: „Der Paketbote kommt später, oder?“ Ihr Vater murmelt etwas Zustimmendes, sie läuft die Treppe hoch in ihr Zimmer. Dann sagt sie: „Ich erwarte heute Post, eine Firma hat mir Kosmetikprodukte versprochen, die sie mir schicken wollen.“
Die junge Frau aus dem Kreis Siegen hat die Produkte nicht gekauft, Konzerne schenken sie ihr, manchmal bezahlen sie etwas zusätzlich. Freilich nicht ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Lena soll ein Foto der Artikel auf ihren Instagram-Account stellen, als Werbung für die Firma. Dieses Foto werden bis zu 24.000 Menschen sehen, so viele „Follower“ hat sie in dem sozialen Netzwerk.
Seit knapp einem Jahr betreibt sie den Account, im Sommer 2014 lud sie ihr erstes Bild hoch, kurz nachdem sie angefangen hatte zu bloggen. Jeden Tag kommen an die 60 bis 70 neuen Follower dazu.
100 Euro für ein Foto
Ähnlich geht es Denise Bobe, 19 Jahre, aus Gelsenkirchen. Ihren Kanal „@denise_bobe“ startete sie 2013 auf Instagram, mittlerweile hat sie um die 130.000 Abonnenten. Seit 2014 arbeitet sie - ähnlich wie Lena - mit verschiedenen Firmen, diese schicken ihr Produkte, die sie dann behalten darf, manchmal wird sie zusätzlich dafür bezahlt. Wie viel, das will sie nicht sagen.
Eine andere, die aber anonym bleiben möchte und an die 100.000 Follower hat, sagt: „So ab 100 Euro geht es etwa los.“ Denise postet dann ein Foto des Produkts auf Instagram. Sie sagt: „Natürlich ist es irgendwie krass, dass man damit tatsächlich Geld verdienen kann, indem man Bilder von sich selbst und dem Produkt hochlädt. Ich gehe gern Kooperationen mit Firmen ein, aber empfehle nur Produkte, die ich auch wirklich vertreten kann.“
Die beliebtesten deutschen Unternehmen auf Instagram
dm Deutschland
Follower: 196.000
Quelle: statista/futurebiz.de
Stand: März 2015
SNIPES Official
Follower: 158.000
essie Deutschland
Follower: 125.000
Balea (dm)
Follower: 122.000
p2 cosmetics (dm)
Follower: 69,8
Wie Lena und Denise gibt es hunderte junge Frauen auf Instagram: Schülerinnen, Studentinnen, Auszubildende, die ein normales Leben führen. Doch im Netz interessieren sich zehntausende Follower für ihre Oberteile, ihre Taschen, ihren Lippenstift.
Instagram schlägt normale Werbung
Und deren Hersteller wissen das zu nutzen. Mit Product Placement betreiben die Firmen Marketing abseits von Plakatwänden und TV-Werbung. „Vitastik“, ein Startup, das E-Zigaretten herstellt, baut nahezu das gesamte Marketing darauf auf.
Im Gespräch mit WirtschaftsWoche Online erklärt Geschäftsführer Johannes Schmid: „Unser Geschäftsmodell basiert praktisch auf Instagram, ‚normale Werbung‘ in dem Sinn machen wir gar nicht. Die Plattform hat eine unglaubliche Macht und Reichweite.“ Ohne Instagram, so Schmid, gäbe es die Firma gar nicht.
Product Placement bei Instagram ist umstritten
Lena denkt trotz ihres Erfolgs nicht daran, ihre Zukunft auf Instagram aufzubauen. In zwei Jahren - nach dem Abitur - will sie im Bereich Grafikdesign arbeiten. In ihrem Ort kennt man sie, in der Schule gibt es kaum jemandem, der nicht weiß, dass das Mädchen mit den langen braunen Locken „Lenachristinb“ von Instagram ist.
Ihren Eltern erzählt Lena so gut wie gar nicht, was sie macht. Michael Beichler, ihr Vater, gibt zu: „Ich google sie regelmäßig, damit ich einen Überblick habe, welche Fotos sie online stellt.“ Wenn seine Tochter bauchfrei auf einem Bild posiert, und darunter Jungs kommentieren, dann wird ihm schon einmal anders: „Klar frage ich mich: Was wollen die alle von Lena?“
"Wo ist die Falle?"
Mit welchen Firmen ihre Tochter gerade wieder kooperiert, sehen die Eltern nur an den Absendern auf den Päckchen, die ins Haus geliefert werden. Vier bis fünf erhält Lena jede Woche. Tee, Kosmetik, Sonnenbrillen, Bikinis und Ohrringe.
Am Anfang waren die Eltern völlig irritiert: „Wir hatten die ganze Zeit Angst: Wo ist die Falle?“, sagt die Mutter. Sie erwarteten Rechnungen, Mahnungen, Anwaltsschreiben. Nichts von alledem kam. Es dauerte, bis sie glauben konnten, dass die Produkte wirklich kostenlos sind.
Doch umsonst sind sie nicht. Die Firmen pflegen zwar einen lockeren Umgang mit Mädchen wie Lena. „Die Unternehmen schreiben Mails mit Smileys, die behandeln mich wie einen Freund“, sagt sie. Doch es geht nicht um Freundschaft, sondern ums Marketing.
Lena schreibt in der Regel nicht unter die Fotos, dass ihr die Produkte geschenkt wurden. Wer sich in der Szene nicht auskennt, könnte glauben, sie kauft sich die Gegenstände selbst. „Wenn ich darunter schreibe, dass ich das Produkt geschenkt bekommen habe, ist der Effekt für die Firma ja weg“, erklärt Lena.
Ganz sauber ist das nicht. „Die Art von Werbung kann ein Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht sein“, sagt Sascha Pakroo, Rechtsanwalt mit Schwerpunkt für Internet- und Wettbewerbsrecht aus Augsburg. Konkurrenten könnten dagegen vorgehen – gegen die Mädchen, aber auch gegen die Firmen. „Da die Produkte offenbar gezielt verschickt werden, um damit zu werben, könnte das durchaus als wettbewerbswidrige Handlung gewertet werden - daher sehe ich gute Chancen für einen Unterlassungsanspruch“, so Pakroo.
Für die Firmen ist das Geschäft mit den Instagramern bislang ein gutes, wenn sie die Fallstricke kennen. Xenia Hetke, Managerin beim jungen Kostmetik-Hersteller "Missha" erklärt: „Ja, wir arbeiten gern mit Bloggern und Instagramern zusammen. Aber natürlich achten wir darauf, dass die Produkte zu den einzelnen Personen passen - eine 16-Jährige kann schlecht eine Faltencreme bewerben.“
Bei dem Versuch, durch Instagram bekannter zu werden, hat das Unternehmen auch schon schlechte Erfahrungen gemacht. Eine Testerin etwa verkaufte die geschenkten Produkte weiter, um zusätzlichen Gewinn zu machen.
Kampf um Aufmerksamkeit
Der neue Werbetrend ist nicht nur auf Deutschland beschränkt: Lisa-Marie Schiffner ist 14 Jahre alt und kommt aus Österreich, für ihren Kanal „@lisamarie_schiffner“ interessieren sich mehr als 50.000 Follower, sie bekommt Gegenstände im Wert von 20 bis 300 Euro zugeschickt.
Im Netz finden sich sogar Fan-Gruppen junger Mädchen, die sich gegenseitig im Lob für Lisa-Marie übertreffen. Angst vor dem Idol-Status hat der Teenager aber nicht: „Ich glaube, dass ich damit einen recht souveränen Umgang gefunden habe und natürlich freue ich mich, wenn ich mal in einer größeren Stadt bin und dann angesprochen werde.“
Die Instagramerinnen leben von Aufmerksamkeit und lieben diese auch. Mehr Klicks bedeuten mehr Aufmerksamkeit, mehr Aufmerksamkeit mehr Reichweite, mehr Reichweite mehr Geld und teurere Produkte von den Firmen.
Der Kampf um Klicks nimmt teils bizarre Züge an. Im Netz lassen sich Instragram-Likes kaufen: 1000 kosten 15 Euro, Diskretion wird garantiert. In Apples Appstore gibt es ein Programm, mit dem man künstlich Follower generieren kann: Indem man anderen folgt, folgen die einem zurück.
Manchmal liken auch andere große Instagramer Lenas Fotos, in der Hoffnung, sie würde diese Gefälligkeit erwidern. „Die wollen immer mehr“, sagt Lena. „Nur weil man einige Tausend Follower hat, ist man nicht etwas Besseres.“
Das Gespräch ist beendet, Lena schaut auf ihr Handy nach neuen Kommentaren und Mails. Abends wird sie noch ein neues Foto hochladen.
Zwischen sieben und neun Uhr gibt es die meisten Likes, sagt sie.