Internet der Dinge Mit Software aus Göppingen wird die Welt gesteuert

30 Milliarden Geräte werden bis 2020 ans Internet angeschlossen. Und niemand baut für die Verbindung zwischen weltweit verstreuten Geräten so gute Software wie TeamViewer. Entwickelt in der schwäbischen Provinz.

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TeamViewer-Chef Andreas König in Göppingen. Quelle: dpa Picture-Alliance

Seit Kurzem brauchen die Astronauten in der Raumstation ISS keinen Arzt mehr. Erledigt werden ihre medizinischen Untersuchungen von Paris aus, rund 400 Kilometer weit vom Patienten entfernt. „Wir können nun ein Ultraschallgerät in der Raumstation von der Erde aus steuern und bekommen medizinische Informationen zurück – das ist total einfach“, sagt Philippe Arbeille, Professor für Biophysik an der Universität Tours. Die Astronauten bräuchten „nur noch das Ultraschallgerät an ein bestimmtes Organ zu halten“.

Arbeille setzt bei der virtuellen Visite im Weltall auf die Software von TeamViewer. Spezialisten längst ein Begriff, ist das Unternehmen das, was man gemeinhin als Perle der Provinz bezeichnet. Entstanden im beschaulichen Göppingen, einer 55.000-Einwohner-Stadt im Vorland der Schwäbischen Alb, ist das Unternehmen gerade dabei, die Softwarewelt bis ganz hinaus in den Weltall zu erobern.

Denn TeamViewers Programmierer schreiben Code, mit dem sich Computer aller Art aus der Ferne steuern lassen. Und weil Computer inzwischen auch in Schneekanonen und Mähdreschern, in Waschmaschinen und Solaranlagen stecken, ist diese Software gefragter denn je. TeamViewer macht das Internet der Dinge, Neudeutsch Internet of Things (IoT) genannt, überhaupt erst möglich.

Und das Internet der Dinge, das von PCs und Smartphones über Autos bis hin zu Gebäuden und Maschinen alles Mögliche verbindet, ist eines der größten Versprechen überhaupt. Laut Prognose des IT-Analysehauses IDC sollen sich die so weltweit verbundenen Geräte von 12,1 Milliarden im Jahr 2015 bis zum Jahr 2020 auf 30,3 Milliarden mehr als verdoppeln. Dies könnte auch dem Wirtschaftswachstum dank Effizienzgewinnen einen kräftigen Schub verleihen, weshalb die Zukunft, von Göppingen aus betrachtet, besonders rosig aussieht.

In einem ehemaligen Sparkassengebäude, direkt gegenüber dem Bahnhof, sitzt dort etwas versteckt TeamViewer-Chef Andreas König in seinem Büro. Und sagt Sätze wie diesen: „Wir sind nur ein Mittelständler unter vielen anderen.“ Das ist ziemlich tief gestapelt, zugleich aber ist diese Haltung einer der Gründe für den Erfolg des Unternehmens.

Kein Hype, keine Hybris, sondern deutsche Tugenden wie Sparsamkeit und Spezialisierung auf eine lukrative Nische: TeamViewer ist der glatte Gegenentwurf zur Berliner Start-up-Szene. Das Unternehmen hat mit seiner schlauen Software sogar das geschafft, was in der Metropole Gründern und Risikokapitalgebern noch immer so schwerfällt: Innerhalb weniger Jahre hat TeamViewer einen Wert jenseits der magischen Marke von einer Milliarde Dollar erreicht. Finanzinvestor Permira griff schon vor zweieinhalb Jahren für 870 Millionen Euro (also gut eine Milliarde Dollar) zu.

TeamViewer ist damit aufgestiegen in den Kreis von megabewerteten Start-ups wie dem US-Fahrdienst Uber. Ein deutsches Mitglied im Club der Einhörner, wie solch erfolgreiche Start-ups heißen. Hierzulande gibt es davon neben dem börsennotierten Modeversender Zalando bestenfalls eine Handvoll.

Reibungslos und sicher

Das Versprechen vom Internet der Dinge und seinen Wohlstandssprüngen lässt sich schließlich nur einlösen, wenn jemand alle Geräte reibungslos und sicher übers Internet miteinander verbindet. Und das macht TeamViewer derzeit so gut wie niemand sonst: Die Kommunikation zwischen den angeschlossenen Geräten ist verschlüsselt. Sie läuft über ein eigenes Netzwerk von weltweit 900 Routern. „Dadurch verfügen wir über eine hochsichere Infrastruktur“, sagt König.

Die Göppinger haben bereits verschiedenste Geräte verbunden, als noch niemand vom Internet der Dinge sprach. TeamViewer kommt aus der Fernwartung – und ist auf dem Feld bereits so etwas wie der weltweite Standard geworden. So wie in vielen Büros das Office-Paket von Microsoft genutzt wird, verwenden die meisten IT-Abteilungen TeamViewer, um auf andere Computer aus der Ferne zuzugreifen. „TeamViewer ist schon heute in Sachen Kundenzahl, Image und Funktionalität vorne – und bei vielen professionellen IT-Nutzern gesetzt“, sagt Axel Oppermann, Chef des IT-Analysehauses Avispador aus Kassel.

Angefangen beim Ein- und Ausschalten von Schneekanonen in den Alpen über die Überwachung der Temperatur in Fischfarmen in Afrika bis hin zur Fernsteuerung von Fotovoltaikanlagen in Südkorea – all dies erledigt die Software made in Göppingen bereits. Und wenn die Propheten des Internets der Dinge, die seit Langem predigen, dass alles, was digitalisiert werden kann, auch wirklich digitalisiert wird, recht behalten, dann steht TeamViewer eine noch bessere Zukunft bevor.

Prognose Internet of Things

Gegründet hat das Unternehmen 2005 der Softwareunternehmer Tilo Rossmanith, weil der – so geht die Legende – es leid war, zur Wartung seiner eigenen Computerprogramme ständig raus zu den Kunden fahren zu müssen. Der Schwabe in ihm wollte wohl nicht zuletzt einfach nur Kosten sparen.

Mit einer Mischung aus Knauserigkeit und Tüftlergeist haben es bereits viele analoge Unternehmen auf der Schwäbischen Alb zu wertvollen Weltmarktführern gebracht. Und auch der Digitalo Rossmanith ist nicht nur sparsam, sondern technisch versiert: Seine Software läuft über das Internet. Heute ist das als Cloud Computing weit verbreitet. Vor mehr als zehn Jahren aber, als Rossmanith loslegte, war das eine Ausnahme.

TeamViewer ist also nicht nur ein Mittelständler unter vielen anderen. Die Art, wie das Unternehmen seine Software gestaltet und verbreitet, erinnert eher an das Erfolgsrezept von Apple oder Google: Rossmanith macht es den Menschen einfach, seine Software zu nutzen. Weil sie übers Internet läuft, läuft sie auch auf allen möglichen Geräten – auf Computern mit dem Uralt-Betriebssystem Windows XP ebenso wie auf den neusten Android-Smartphones oder iPad-Rechenflundern von Apple. Niemand muss sich Gedanken machen, ob es eine TeamViewer-Version auch für sein Gerät gibt. Und nicht darüber, ob sein Gerät über genug Rechenpower verfügt. Denn auch die kommt aus dem Internet.

Kostenlos fürs heimische Wohnzimmer

Wer die Software lediglich für private Zwecke nutzen will, kann sie sogar kostenlos herunterladen: So kann der Sohn mit einem Klick auf den Rechner seiner 100 Kilometer entfernt wohnenden Mutter zugreifen und helfen, wenn’s im Office-Paket mal klemmt. Der Gedanke dahinter: Ein Manager, der im eigenen Wohnzimmer erlebt hat, wie praktisch die Software ist, wird auch seine IT-Abteilung überzeugen, dass man das im Unternehmen braucht. Spätestens seit dem Siegeszug der iPhones, die die Blackberrys aus den Büros verdrängt haben, wissen auch IT-Anbieter, dass man Kunden mit einfacher Bedienbarkeit begeistern muss, statt sie zu beschwatzen.

Wie gut das TeamViewer gelingt, kann man im Foyer der Zentrale ablesen. Dort hängt ein Laufband mit den tagesaktuellen Zahlen: Ende April sind fast 37 Millionen Geräte gleichzeitig im TeamViewer-Netzwerk eingeloggt. Wer über die Flure läuft, der hört Brasilianisch oder Koreanisch. Die Fernwartungssoftware aus Göppingen ist inzwischen in 30 Sprachen verfügbar, wird von Kunden in mehr als 200 Ländern genutzt.

Und nun also auch im Weltraum. Doch je verrückter die Einsatzorte für die Software auch werden: Dem Wunsch des mittlerweile ausgestiegenen Gründers nach möglichst einfacher Bedienbarkeit fühlt sich das Unternehmen weiter verpflichtet. Deshalb will es im September ein neues IoT-Produkt auf den Markt bringen. Bisher müssen die Kunden noch selber Hand anlegen, um Anlagen wie etwa Solarparks anzuschließen. In Zukunft soll die Software auch das weitgehend automatisiert erledigen. Dazu soll sie Sensoren und beliebige andere Geräte in Echtzeit überwachen und sich bei Bedarf darauf aufschalten.

Derzeit wird das firmeneigene Router-Netzwerk erweitert, damit es auch mit einer weitaus größeren Zahl an gleichzeitig verbundenen Geräten klarkommt. Im ersten Schritt sollen es 200 Millionen sein, in einigen Jahren Milliarden. „Wer TeamViewer nutzt, soll die Software nur ein Mal installieren müssen und keine weitere Beratung benötigen“, verspricht König, der den Chefposten vor etwa zwei Jahren übernahm. „Denn wenn ein IoT-Projekt erst mal 100.000 Euro oder mehr kostet, wird es für Mittelständler unattraktiv.“

Mehr als 1,4 Milliarden Mal wurde TeamViewer heruntergeladen und auf Geräten installiert. „Täglich kommt im Schnitt eine Million hinzu, sodass wir im August bei anderthalb Milliarden ankommen dürften“, sagt König. Auch darin unterscheidet sich das Unternehmen von all den anderen, den analogen Mittelständlern: Teure Fabriken muss TeamViewer nicht bauen, teures Material nicht kaufen. Software wird einmal geschrieben – und dann millionenfach verkauft. „TeamViewer war von Anfang an auf Profitabilität ausgerichtet“, sagt König. „Das ist unsere typisch mittelständische Mentalität.“

Das Unternehmen schreibt im Unterschied zu vielen deutschen Start-ups gute Gewinne. 2015 setzten die Göppinger laut Handelsregister 153 Millionen Euro um, ein Plus gegenüber 2014 um 18 Prozent. Vor Steuern und Abschreibungen lag der Gewinn bei 97 Millionen Dollar – TeamViewer ist also eine regelrechte Gewinnmaschine.

Gelingt es dem Unternehmer, die Weltmarktführerschaft von der Fernwartung auf das Internet of Things auszudehnen, könnte das sowohl das operative Geschäft als auch die Bewertung auf ein Vielfaches katapultieren. Andererseits steigt auch das Risiko, weil TeamViewer jetzt mit IT-Größen wie IBM oder Microsoft konkurriert, die ihrerseits das IoT erobern wollen – mit einer ungleich größeren Marketingmaschinerie.

Dennoch gilt TeamViewer als einer der aussichtsreichsten Kandidaten für einen großen Techbörsengang made in Germany. König wiegelt ab: „Es gibt kein konkretes Szenario. Meine Vorgabe lautet: Baue ein solides Unternehmen mit jedwedem Exit als Möglichkeit.“ Betont bodenständig eben.

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