Japanische Elektronikmesse Ceatec Wenn der Roboter den Rentner ermahnt

Japan will auch bei der künstlichen Intelligenz zur führenden Techniknation werden. Auf der Elektronikmesse Ceatec zeigen die japanischen Elektronikriesen ihre ausgefallenen Ideen für die Welt von morgen.

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Drei Robohons (Roboterphone) von Sharp spielen in der Luft Musik.

Tokio Für den Tod durch Überarbeitung hat der Japaner ein Wort. „Karoschi“. Zuletzt machte der Fall einer japanischen Reporterin weltweit Schlagzeilen, die nach 159 Überstunden an einem Herzinfarkt verstarb. Die Gesundheit der Mitarbeiter ist für Firmen in Japan ein todernstes Thema, das man nun - typisch japanisch - nicht etwa mit einem neuen Arbeitsrecht, sondern mehr Technologie lösen möchte.

Auf Japans Elektronikmesse Ceatec in Tokio präsentiert der Technikkonzern Hitachi eine neue Entwicklung, die das Arbeitsleben glücklicher machen soll. Ingenieurin Satomi Tsuji zeigt, wie es geht: Vor ihrer Brust baumelte einer der vermeintlichen Helfer für Glückseligkeit im Job. Eine Art ID-Karte, vollgestopft mit Technik.

Ein Bewegungssensor misst ihre Bewegungen und Vibrationen. Die Daten werden in einem Server ausgewertet und geben nicht nur Aufschluss darüber, ob die Mitarbeiterin gerade sitzt, steht oder geht. Und er erkennt, ob sie angespannt oder gestresst ist. Infrarotsensoren werten über ein Rechenzentrum aus, mit wem sie wie lange spricht. Was in Deutschland die Betriebsräte auf die Barrikaden bringen würde, ist für den Technikkonzern auf der Messe nur der erste Schritt zum „Happiness Planet“.

Ist ein Arbeitstag mit dem Spion am Hals vorbei, erhalten Mitarbeiter ein minutiöses Protokoll, um zu sehen, was ihnen wann gut tut. Das Protokoll ist lückenlos – und es erkennt sogar Gefühle. Anonymisiert natürlich, versichert Hitachis Ingenieurin. Die individuellen Daten erhalte der Arbeitgeber nicht, nur abstrakte Beziehungsgeflechte. Was in Japan funktioniert, sorgt international für skeptische Blicke. In den USA mussten entsprechende Tests gestoppt werden.

Auch in Deutschland würde wohl kaum ein Arbeiternehmer einer derartigen Vollüberwachung zustimmen, nur um sich bei der Arbeit ein bisschen besser zu fühlen. Doch auf der Ceatec zeigt sich, dass die technikverliebten Japaner bei der Entwicklung der künstlichen Intelligenz weitaus weniger skeptisch sind. Auf der Messe der drei Verbände der japanischen Computer- und Elektronikindustrie werden keine Bedenken diskutiert, sondern die eigene Leistungsfähigkeit gefeiert. Dieses Jahr geht es um nicht weniger als die Vollvernetzung der Menschen mit den Maschinen  - eine neue künstliche Intelligenz.

Denn Japan, der Pionier der Roboterentwicklung, hat Angst, bei der Entwicklung von agilen Firmen in den USA oder China abgehängt zu werden. Internetkonzern wie Google und Apple investieren Milliarden in die Entwicklung großer, allgemeiner künstlicher Intelligenz, erklärt Kiichiro Miyata, Chief Technology Officer des Sensor- und Medizingeräteherstellers Omron, dem Handelsblatt. „Japan ist stark im Gemba.“ Mit diesem Begriff bezeichnen Japaner die Lage vor Ort am Arbeitsplatz oder im Leben.


Wenn der Autofahrer einschläft

Mit Sensoren wollen sie die Daten dort erheben, wo Menschen unteragieren, um daraus neue komplexe Maschinen und Produkte zu entwickeln. Für Miyata agiert Japan hier ähnlich wie die deutschen Firmen. Er glaubt, dass beide Länder quasi die Schnittstellen zwischen der großen künstlichen Intelligenz und der Realität werden können. „Japan und Deutschland werden sich darauf fokussieren, hochqualitative Daten vom Gemba und den Kunden zu sammeln“, glaubt Omrons Technikchef.

Denn nicht nur die Menge, auch die Qualität der Daten sei in Zukunft entscheidend. „Genaue Datenerhebung ist der Schlüssel für die nächste Entwicklungsstufe künstlicher Intelligenz“, so Miyata. „Wenn die Daten Müll sind, kann auch künstliche Intelligenz damit nichts anfangen.“

Große Technikkonzerne wie NEC, Hitachi oder Fujitsu versuchen, sich mit ihrer jahrzehntelangen Erfahrung als Hersteller von Computern als große Systemhäuser und Entwicklungspartner von Unternehmenskunden zu positionieren.

Dank ihrer Erfahrung beim Auswerten und Verwalten riesiger Datenmengen entwickeln sie auch allgemeine künstliche Intelligenz, um sie dann in Bereichen vom Management von Menschen, Fabriken, Organisation und Städten zu nutzen. Kleinere Unternehmen wie Omron stürzen sich auf lieber auf etwas, das Miyata „eingebettete“ künstliche Intelligenz nennt. Die Rechenleistung soll nicht irgendwo entfernt im Internet erfolgen, sondern lokal im Handy, im Auto, der Maschine oder dem Warenhaus.

Auf der Messe stellt Omron beispielsweise einen Blutdruckmesser vor, der wie eine Armbanduhr getragen werden kann. Herzpatienten können damit dauerhaft ihren Blutdruck messen. Zusätzlich haben die Japaner ein Mini-Elektrokardiogramm für das Handy entwickelt. Wenn sich der Patient schlecht fühlt, braucht er nur seine Finger auf kleine Metallplättchen legen. Und schon weiß das Programm im Handy oder der Doktor, ob Gefahr im Verzug ist.

Mit einem anderen Produkt will Omron den großen Einstieg in die Lieferkette deutscher Autobauer schaffen. Die Ingenieure haben ihrem Gesichtserkennungsprogramm Okao Vision beigebracht, den Wach- und Konzentrationszustand eines Autofahrers während der Fahrt zu erkennen.

Selbst wenn der Mann oder die Frau hinter dem Steuer Sonnenbrille und Mundschutz tragen, kann das System erkennen, wohin sie gucken oder einzuschlafen drohen. Damit sollen selbstfahrende Autos wissen, wie rasch es den Menschen das Steuer wirklich übergeben kann, wenn das Auto nicht alleine weiter weiß. Schläft der Fahrer, hält das Auto sicherheitshalber an.


Pelzige Kissen, die mit dem Schwanz wedeln

Aber auch das Verspielte darf auf einer Messe in Japan nie fehlen. Omron fährt wieder seinen Tischtennisroboter auf, der nun in seiner vierten Generation schon langsame Schmetterbälle blocken kann. Hitachi stellt stellt eine kleine Glaskugel vor, auf der ein abstraktes Gesicht zu schweben scheint. Es soll ein Kommunikationsroboter für Senioren sein. Der Roboter redet mit den Alten und fordert sie auf, doch bitte pünktlich ihre Medizin zu schlucken.

Junge Ingenieure von Panasonic durften derweil als Motivationsübung ein Gerät entwickeln, dass anhand von reflektiertem speziellem Licht den Kaloriengehalt von Kuchen, Spaghetti oder anderen Lebensmitteln messen können soll. Zusätzlich präsentieren hunderte kleiner Unternehmen Ideen, von denen einige durchaus Nachfrage finden könnten.

Yukai Engineering hofft, nach Jahren viel gefilmter, aber wenig gekaufter Kleinroboter mit dem Konzept Qoobo endlich den kommerziellen Durchbruch zu schaffen. Dabei handelt es sich um ein rundes, pelziges Kissen, das mit einem Schwanz wedelt, wenn man es streichelt. Der simple Seelentröster soll ab Sommer 2018 für rund 75 Euro verkauft werden, sagt eine der Entwicklerinnen.

Die Höhepunkte der Vergangenheit wie neueste Konsumelektronik und Haushaltsgeräte sucht man hingegen vergebens. Nur der nun zum taiwanesischen Auftragsfertiger Foxconn zählende Elektronikkonzern Sharp zeigt Smartphones und einen Kühlschrank, die mit künstlicher Intelligenz arbeiten sollen.

Die Frage bleibt allerdings, ob dieses Konzept einer Meta-Messe statt fokussierter Industrieshow den langjährigen Niedergang der Ceatec stoppen kann. Das Experiment ist noch zu jung. Erst 2016 erfand sich die Ceatec neu und erhöhte damit die Zahl der Aussteller um mehr als 20 Prozent. Dieses Jahr ist Zahl der Aussteller nur schwach um 2,8 Prozent auf 667 Firmen und Organisationen gestiegen. Und dies vor allem Dank einem Schwung indischer Aussteller sowie Verbänden und Lokalregierungen.

Doch allein die Menge der Ideen zeigt, dass die Japaner ihrem Ruf als große Technologienation auch in den nächsten Jahren gerecht werden wollen. 

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