Seit Jahren blickt das digitale Deutschland neidvoll ins Ausland. Während bei uns das mobile Surfen vielerorts nur über kostenpflichtige (und nicht immer schnelle) Mobilfunkverbindungen möglich ist, gehen unsere europäischen Nachbarn wie selbstverständlich per WLAN ins Netz. Und das meist sogar kostenlos.
Die Gründe für die digitale Schieflage sind schnell erläutert. Im Kern geht es um die sogenannte Störerhaftung, die in Deutschland alle Betreiber von Hotspots – ausgenommen Provider – für Urheberrechtsverletzungen durch ihre Nutzer haftbar macht.
Von dem Haftungskonstrukt lebt eine ganze Abmahnindustrie, die Schadensersatzforderungen gehen schnell in die Tausende. Ein Risiko, das nur wenige bewusst in Kauf nehmen – und das sich in konkreten Zahlen niederschlägt. So kamen laut einer Studie des Verbandes der deutschen Internetwirtschaft (Eco) Ende 2014 in Deutschland gerade einmal 1,87 Hotspots auf 10.000 Einwohner. In Großbritannien, Europas Spitzenreiter, waren es mit 28,67 Hotspots immerhin gut 15-mal so viele.
Dieser digitale Status Quo ist jedoch in Gefahr. Denn während sich in Deutschland endlich etwas tut, sich mittlerweile sogar der Bundestag mit einem konkreten Gesetzentwurf zur Neuregelung der Störerhaftung befasst, gerät die digitale Welt zumindest im Nachbarland Frankreich gehörig ins Wanken.
Digitaler Gegenschlag
Bereits im Mai dieses Jahres hat die französische Nationalversammlung unter dem Eindruck der Anschläge auf das Satire-Magazin Charlie Hebdo und einen jüdischen Supermarkt in Paris die Überwachungsbefugnisse der Geheimdienste deutlich ausgeweitet. Das Argument: wirksamere Terrorismusbekämpfung. Die Nebenwirkung: Eine deutliche Einschränkung der bürgerlichen Freiheitsrechte.
So dürfen heute wie selbstverständlich die Metadaten aller Internetnutzer in Frankreich ohne Gerichtsbeschluss gespeichert und mit Hilfe von Algorithmen auf verdächtige Muster durchsucht werden. Und hätte der Verfassungsrat nicht interveniert, wäre es noch schlimmer gekommen. So hatte die Regierung geplant, den Geheimdiensten zu erlauben, gezielte Ausspähmaßnahmen auch ohne Genehmigung des Premierministers durchzuführen und Kommunikation aus dem Ausland abzuhören. Die NSA lässt grüßen.
Grundrecht auf Privatsphäre ist in Gefahr
Vor wenigen Tagen dann, und als Folge der neuerlichen Terroranschläge in Paris im November, wurde ein Arbeitspapier aus dem Innenministerium bekannt, das deutliche Einschränkungen in Bezug auf die Nutzung des Internets vorsieht. Laut einem Bericht in Le Monde sieht das Papier neben einem generellen Verbot des TOR-Netzwerks in Frankreich, über das Internet-Nutzer anonym surfen und kommunizieren können, und dem Ruf nach Hintertüren für VoIP-Dienste auch vor, dass offene WLAN-Netze im Fall eines Ausnahmezustands geschlossen werden müssen. Ähnliche Forderungen kennt man bislang nur aus China.
Frankreichs Premier Manuel Valls erteilte den Forderungen der französischen Sicherheitsbehörden im Rahmen eines Fernseh-Interviews zwar postwendend eine Absage, doch die Debatte dürfte damit nicht beendet sein.
Falsche Signale
Für das digitale Deutschland kommt diese Diskussion zur Unzeit. Gerade hatten sich auch Innen- und Sicherheitspolitiker einigermaßen mit den Plänen für offene Netze arrangiert – diese hatten stets befürchtet, flächendeckende Hotspots würden zu einem Anstieg der Kriminalität führen und den Terrorismus befördern – denkt der erste unserer beneideten Nachbarn über eine veritable Rolle rückwärts nach.
Dabei müssen sowohl die Wirksamkeit, als auch die Durchsetzbarkeit und die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen massiv angezweifelt werden. Oder glauben wir ernsthaft, Terroristen planten im Starbucks Hotspot ihre Anschläge? Und wie würde Frankreich ein Verbot des TOR-Netzwerkes technisch realisieren? Experten halten das für ein extrem komplexes Unterfangen.
Allein die offenbar ebenfalls angedachten Hintertüren für die verschlüsselte VoIP-Kommunikation könnten einen realen Erkenntnisgewinn bringen. Aber sie bergen eben auch große Risiken für die Wirtschaft und gefährden das Grundrecht auf Privatsphäre von Millionen von Bürgern. Spätestens der Europäische Gerichtshof dürfte hier begründete Bedenken haben.
Bleibt zu hoffen, dass sich die deutsche Politik von den Diskussionen jenseits der Grenzen nicht beirren und von ihrem Weg abbringen lässt. Das wäre ein herber Dämpfer für all jene, die sich seit Jahren dafür einsetzen, dass der deutsche Sonderweg in Sachen öffentlicher und freier WLAN-Zugänge endlich ein Ende hat. Und ein herber Dämpfer für diejenigen, die auf Basis dieser breitbandigen Drahtlosnetze neue, innovative Geschäftsmodelle realisieren möchten.
Ein schneller, mobiler Internet-Zugang ist ein fester Teil des modernen Lebens. Den sollten wir uns durch reflexartigen Anti-Terror-Aktionismus nicht nehmen lassen.