Nein, eine Nummer kleiner geht es nie, wenn Marc Benioff involviert ist: „Einstein“ – ganz bescheiden nennt er die künstliche Intelligenz, mit der er die Vertriebsorganisationen der Unternehmen der Welt revolutionieren will. Mit dessen Entwicklung begann die Stanford-Absolventin Shubha Nabar vor zwei Jahren „in einem kleinen Keller mit fünf Leuten“, wie sie sagt. Jetzt steht die Direktorin Data Science von Salesforce vor tausenden Business-Spezialisten auf der Bühne des Moscone Centers und präsentiert die Zukunft der Verkaufsorganisation.
Einstein, ein integrierter Bestandteil der neuen Cloud-Plattform für das Management von Kundenbeziehungen, durchsucht die gesammelten Daten eines Unternehmens aus allen Quellen. Das können die Adressbücher und Vertriebsberichte sein, die Kundendatenbank, Social-Media-Plattformen oder die Wettervorhersagen. Es muss nur sinnvoll sein.
Ausgefeilte und selbstlernende Algorithmen analysieren, was sie vorfinden. Und bewerten am Ende jeden Kontakt mit einem „Score“. Da kann dann zum Beispiel aus dem Nichts eine Vertriebsmanagerin eines Unternehmens auftauchen, die auf einer Social-Media-Plattform eine Konkurrenzfirma erwähnt und eine Woche zuvor die Produktpräsentation des eigenen Unternehmens angeschaut hat. Erste Kontaktdetails liefert das Social-Web, weitergehende wertvolle Daten über das Verkaufsziel gibt es dann zum Beispiel von Linked-In, der weltgrößten Datenbank für Geschäftsleute, Wissenschaftler oder Studenten.
Heftige Vertriebsschlachten
Doch darin liegt ein Problem. Linked-In, mit 450 Millionen Kontaktkarten von Geschäftsleuten weltweit das Rückgrat jeder modernen Vertriebsorganisation, wird gerade von Microsoft gekauft. Der Konzern aus Redmond in Washington ist das größte Softwareunternehmen der Welt, mit Azure ein Top-Player im Cloud-Markt hinter Amazons AWS und mit Office und all seinen Businessprogrammen führender Lieferant von Unternehmenssoftware. Microsofts Dynamic CRM ist neben Oracle der gefährlichste Konkurrent für Salesforce. Sollten dessen Kunden in Zukunft von Linked-In abgeschnitten werden, wäre der Effekt verheerend.
Zahlen und Fakten zu Twitter
Twitter war zunächst nicht mehr als ein Nebenprodukt der Firma Odeo, die eine (allerdings wenig erfolgreiche) Podcasting-Plattform entwickelte. Die Macher suchten 2006 nach Alternativen – und entwickelten den Dienst mit seinen 140 Zeichen kurzen Texthäppchen. In den ersten Monaten gewann er zwar kaum Nutzer, doch nach einem erfolgreichen Auftritt auf der Technologiekonferenz SXSW hob Twitter ab.
Anfangs standen vier Freunde hinter Twitter: Evan Williams, der dank des Verkaufs seiner Plattform Blogger.com an Google auch Geldgeber war; außerdem Jack Dorsey, Biz Stone sowie Noah Glass. Letzterer wurde allerdings wegen seiner schwierigen Art schon bald aus der Firma gedrängt.
Die kurze Geschichte der Firma ist geprägt von Machtkämpfen zwischen den einstigen Freunden. Der erste Chef Jack Dorsey musste auf Veranlassung des Mitgründers Evan Williams sowie des Verwaltungsrates seinen Posten verlassen. Williams selbst hielt sich auch nicht dauerhaft an der Spitze – bei seiner Entmachtung im Oktober 2010 hatte Dorsey seine Finger im Spiel. Seitdem lenkte Dick Costolo, zuvor bei Google tätig, die Firma. Nach der Warnung des Unternehmens im ersten Quartal 2015, dass die angepeilten Umsätze nicht erreicht würden, und die Aktie weit unter den Ausgabekurs rutschte, war die Luft für ihn dünn geworden. Nach Monaten der Kritik von der Wall Street, Anteilseignern, Mitarbeitern und Kunden wurde Costolo am 1. Juli 2015 durch Twitter-Mitgründer Jack Dorsey ersetzt.
Twitter hat noch nie Gewinn gemacht. Im zweiten Quartal 2015 lag der Verlust bei unterm Strich 137 Millionen Dollar - immerhin 8 Millionen weniger als im Vorjahr. Vor allem Vergütungen für Mitarbeiter in Form von Aktienpaketen und Optionen machen sich bemerkbar.
Twitter hatte bis vor drei Jahren noch kein Werbegeschäft. Die Gründer verzichteten in der Anfangszeit bewusst auf Anzeigen, um die Nutzer nicht zu verschrecken. Im Frühjahr 2010 starteten erste Versuche mit Werbung zwischen den Tweets. Inzwischen ist das Geschäft beträchtlich angewachsen. Im zweiten Quartal 2015 stammten von den 502 Millionen Dollar Umsatz fast 90 Prozent aus dem Geschäft mit mobilen Anzeigen auf Smartphones oder Tablets. Die Werbeeinnahmen nahmen im vergleich zum Vorjahr um 63 Prozent auf 452 Millionen Dollar zu.
Twitter ist für die mobile Ära gerüstet. Ein Großteil der Werbeerlöse wird auf Smartphones und Tablet-Computern erwirtschaftet. Insgesamt hat Twitter mehr als 316 Millionen Nutzer pro Monat.
Twitter versucht nicht, den Einfluss der Gründer durch eine Aktienstruktur mit zwei Klassen zu sichern. Andere Internet-Unternehmen wie Google oder Facebook haben bei ihren Börsengängen den Investoren Papiere angeboten, die weniger Stimmrechte haben als die Aktien von Gründern und Spitzen-Managern. Bei Twitter sind alle Anteilseigner gleich, die Ausgabe von Vorzugsaktien ist nur als Möglichkeit für die Zukunft vorgesehen.
Microsoft verneint solche Pläne zwar, aber Benioff bleibt skeptisch. Und das zu recht. Für jedes Unternehmen im Business-to-Business-Vertrieb wäre ein Verlust dieser Datenquelle ein schwerer Schlag. Der Salesforce-Chef hat deshalb bereits öffentlich gegen die 26 Milliarden Dollar schwere Übernahme protestiert. Doch damit wird er wohl maximal erreichen, dass die Kartellbehörden den Windows-Hersteller verpflichten, einen diskriminierungsfreien Zugang zu dem Netzwerk zu garantieren. Noch nie hat Microsoft so viel Geld auf einmal ausgegeben.
Die Spannungen in der Welt der Unternehmenssoftware sind dieser Tage mit Händen zu greifen. Oracle, Microsoft, Amazon, Oracle und SAP befinden sich in heftigen Vertriebsschlachten mit Newcomern wie Salesforce oder Workday. Oracle alleine hat gerade erst über neun Milliarden Dollar in eine Cloud-Firma investiert, um schneller aufzuholen.
Dabei geht es um den Umzug der Unternehmenstechnologie in die Internet-Cloud, ein Markt im Wert von einer Billion Dollar. Aber das ist nur der erste Schritt. Der zweite ist die fundamentale Neugestaltung der Prozesse und Business-Praktiken. Konservative Unternehmen digitalisieren einfach nur alte Prozesse und machen sie schneller. Innovative Unternehmen überdenken ihre Prozesse von Grund auf, so wie mit der Einführung von selbstlernenden Maschinen und künstlicher Intelligenz wie Einstein.