Maschinelles Lernen Cisco will Netzwerken Intelligenz einhauchen

Der „Klempner des Internets“ führt eine Software ein, mit der sich Netzwerke selbst organisieren können. Noch funktioniert das allerdings nur mit Cisco-Hardware.

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Chuck Robbins Quelle: Matthias Hohensee

Eigentlich sollte Cisco-Chef Chuck Robbins am Montag mit Wirtschaftsprominenz wie Tim Cook von Apple und Jeff Bezos von Amazon US-Präsident Donald Trump die Belange der US-Hightech-Industrie vortragen. Doch Robbins sagte kurzfristig ab. Warum, das wurde am Dienstag klar. Da präsentierte der 51-Jährige in San Francisco sein wichtigstes Produkt, seit er im Juli vor zwei Jahren den größten Netzwerkausrüster der Welt übernahm – auch als "Klempner des Internets" bekannt. Eine Software, die Netzwerke mit Hilfe maschineller Intelligenz einfacher verwalten, gleichzeitig sicherer machen und Cisco stärker ins Geschäft mit Abo-Dienstleistungen bringen soll.

„Das erforderte volle Konzentration, da wollte ich keinen Übernachtflug von der Ostküste zurück in den Knochen haben“, sagte Robbins der WirtschaftsWoche. Schließlich geht es um nichts weniger als sein Vermächtnis und die große Frage, ob er Cisco, während der Dot.com-Blase mal das wertvollste Unternehmen der Welt, wieder zu Wachstum zurückführen kann.

Gelingen soll das mit einer Technologie, „die Netzwerke für die nächsten dreißig Jahre definieren wird“, schwärmt Robbins. Hehre Worte in einer Zeit, wo die meisten Unternehmensführer wegen der rasanten technologischen Veränderungen noch nicht mal drei Jahre in die Zukunft schauen können oder sich zumindest nicht auf langfristige Prognosen festnageln lassen wollen. Doch Robbins, ein Mathematiker, der sich bei Cisco innerhalb von 18 Jahren vom Kundenbetreuer bis zum Konzernchef hochdiente, ist nicht für Übertreibungen bekannt.

Unangenehme Überraschung für die Anleger: Der Umsatz bei Cisco geht zurück - und das Unternehmen rechnet damit, dass sich dieser Trend noch steigert. Zudem kommt eine Sonderbelastung auf den Netzwerkausrüster zu.

Das Netzwerk organisiert sich selbst

Er setzt seine Hoffnung auf ein neues Managementsystem, mit dem sich Netzwerke mit Hilfe von maschinellem Lernen leichter, besser und am Ende sogar selbst organisieren können. So zumindest das Versprechen.

Herzstück ist eine Architektur, die über alle Endpunkte in einem Netzwerk und deren ursächliche Aufgabe, sei es ein Datenspeicher, Drucker oder ein schnöder Sensor, ständig informiert ist. Das gelingt, indem die zentrale Verwaltungsinstanz nicht nur Befehle von oben nach unten weitergibt, sondern auch stetig Informationen über das Verhalten der Endgeräte im Netzwerk erhält und analysiert.

Darauf basierend lernt es, wie sich Geräte, beispielsweise ein Drucker, ein Smartphone, eine Überwachungskamera oder ein Rauchmelder verhalten sollten, wozu sie befugt sind und was sie tatsächlich tun. Entsprechend werden die Weichen beim Datenverkehr, den sogenannten Switches, automatisch geregelt. Leitet ein Drucker plötzlich die empfangenen Informationen an einen anderen Rechner weiter, selbst wenn der im eigenen Unternehmensnetz eingeloggt ist, wird dies blockiert.

Die Idee ist, dass ein Gerät künftig nur ins Netzwerk eingeklinkt werden muss und sich dann selbst organisieren kann, wenn gewünscht. „Wir verstehen, was unsere Kunden tun wollen“, sagt Robbins. Mit dem Boom des Internets, so der Cisco-Chef, seien Netzwerke in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr mit Geräten erweitert, damit unübersichtlich, schwerer steuerbar und damit Opfer von Hacker-Attacken geworden. Woran Cisco, wegen seiner Dominanz bei Netzwerken auch als Switchzilla verspottet, nicht ganz unschuldig ist.

Der Haken am Angebot


Mike Giresi, Chief Information Officer bei Royal Caribbean Cruises, hat die neue Cisco-Software in den vergangenen Monaten getestet. Das Kreuzfahrtunternehmen, das täglich 140.000 Passagiere über die Weltmeere schippert, hat das Problem, dass immer mehr seiner Gäste nicht mehr nur E-Mails abrufen wollen, sondern auch Bilder und Videos verschicken und empfangen wollen. Nicht nur über den Tag verteilt, sondern viele gleichzeitig.

Zu Silvester wurde die Belastbarkeit des eigenen Datennetzes auf eine harte Probe gestellt, als der Nachrichtensender CNN live von einem der Schiffe übertrug. „Früher hätten wir Wochen im voraus planen müssen, um die erforderliche Bandbreite bereit zu stellen“ sagt Giresi. „Jetzt können wir das quasi augenblicklich tun.“

„Das Netzwerk in eine intelligente Plattform umzubauen, ist innovativ“, meint Technologieanalyst Rob Enderle. Was IBM beim Auswerten von Daten mit Watson tue oder Google mit maschinellem Lernen bei der Suche, wende Cisco nun bei Netzwerken an. „Sie haben das nötige Gewicht im Markt, um dies durchzusetzen.“

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Das Ganze hat, wie sollte es anders sein, allerdings einen Haken. Die neue Technologie funktioniert derzeit nur, wenn die entsprechenden Router und Switches von Cisco kommen. „Wir wollen das im Rahmen offener Standards auch für andere Hardware-Anbieter öffnen“, sagt Robbins. Beeilen wird er sich damit wahrscheinlich nicht, denn zwischen Cisco und konkurrierenden Herstellern wie Juniper Networks herrscht offener Schlagabtausch. Cisco erwirtschaftete mit seinen Switches im Geschäftsjahr 2016 rund 14,7 Milliarden Dollar, 30 Prozent seines 49 Milliarden Dollar Umsatzes. Doch der Umsatz stagniert, weil Konkurrenten mit günstigeren Angeboten Cisco Marktanteile abnehmen könnten.

Ein Grund, warum Cisco Hardware weiterhin geschützt wird. Eine besonders interessante Funktion, die Schadsoftware identifizieren kann, selbst wenn diese verschlüsselt ist, steht nur Kunden zur Verfügung, die sich Ciscos allerneusten Switch namens Catalyst 9000 anschaffen. „Das hat mit der nötigen Rechenkraft zu tun“, begründet Cisco-Manager David Goeckeler, der für das neue Produkt verantwortlich ist.

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Trotzdem: Ganz so schnell will Cisco seine ehemals wichtigste Einnahmequelle – teure Hardware – nicht aufgeben. Langfristig will Robbins Cisco zu einem Softwareunternehmen umbauen, das seine Umsätze mit Abogebühren für seine Dienste erwirtschaftet.

Der neue Konzernchef kommt zunehmend unter Druck. Trotz teurer Akquisitionen ist der Cisco-Umsatz in den vergangenen sechs Quartalen gefallen. Was allerdings nicht nur mit dem attackierten Switch-Geschäft zu tun hat, sondern auch mit dem stärkeren Fokus auf Software. Deren Einnahmen werden wie bei Hardware nicht auf einen Schlag verbucht, sondern fallen über den jeweiligen Nutzungszeitraum an. Trotzdem kann Robbins einen Katalysator bei seinen Umsätzen gut gebrauchen. Das neue Managementsystem, so meint Enderle, könnte diesen liefern. Dafür lohnt es sich schon, ein Treffen mit Donald Trump abzusagen.

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