Medienmarkt Indien Wo Zeitungen noch boomen

In Indien gibt es mittlerweile rund 100.000 registrierte Zeitungen und Zeitschriften. Anders als in Europa oder den USA boomt der Markt – und ein Ende ist nicht in Sicht, solange das Internet nicht billiger wird.

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In Indien verzeichnen die Verlage steile Wachstumsrate. Quelle: ap

Neu Delhi Der Inder Sanjay Gupta sitzt zufrieden hinter dem Schreibtisch, eine Ausgabe der Hindi-Zeitung „Dainik Jagran“ vor sich. Gupta ist Generaldirektor der Gruppe Jagran Prakashan Limited und Herausgeber der Zeitung - und hat damit allen Grund zur guten Laune: Seit Jahrzehnten ist „Dainik Jagran“ eine der größten Zeitungen Indiens. Nach eigenen Angaben hat sie 55 Millionen Leser - damit könnte sie sogar die weltweit am meisten gelesene Zeitung sein. Und die Auflage steigt und steigt.

„In den nächsten zehn Jahren ändert sich daran auch nichts“, ist sich Gupta sicher. Sowohl Datenpakete für das Internet auch als Smartphones seien für die meisten Menschen in Indien nach wie vor unerschwinglich. Wer es sich leisten könne, nutze die wenigen Bytes lieber für Nachrichten, soziale Medien und Entertainment. „Sogar in meinen Büros ist der Internetzugang eingeschränkt. Das gilt für die meisten Firmen hier, denn Surfen ist nicht umsonst, das ist teuer.“

Analysten etwa von Pricewaterhouse Coopers geben Gupta recht. Während die Auflangen vor allen in westlichen Ländern fielen und noch weiter fallen würden, verbuchten die Schwellenländer Indien und China hohe Wachstumsraten, heißt es im jüngsten Bericht. Im Jahr 2014 sei etwa jede zweite Zeitung in einem der beiden asiatischen Länder gelesen worden; 2019 steige der Anteil wohl auf 57 Prozent.

In Indien wachse nicht nur die Bevölkerung insgesamt - auf insgesamt nun 1,25 Milliarden -, sondern auch der Anteil der Menschen, die lesen und schreiben können, bemerkt Ronojoy Sen, der mehr als ein Jahrzehnt bei führenden indischen Zeitungen gearbeitet hat und jetzt am Institut für Südasienstudien der Nationaluniversität Singapurs forscht. Von 2001 bis 2011 stieg ihr Anteil laut Zensus von 65 auf 74 Prozent. „Zweitens sind indische Zeitungen extrem günstig, sie kosten zehn Cent oder weniger“, sagt er.

Das funktioniert, weil der Werbung wahnsinnig viel Platz eingeräumt wird - oft sogar die ganze Titelseite. „Es gibt vor allem deswegen einen Zeitungs-Boom, weil die Zahl der Ausgaben wächst, bis hinunter ins Hyper-Lokale“, sagt Vibodh Parthasarathi, Medienforscher an der Universität Jamia Millia Islamia in Neu Delhi. Die Blätter suchten sich die örtlichen Anzeigenkunden, die den „Bauch des indischen Wirtschaftswachstums“ ausmachten. „Die Auflagenrekorde werden von den Anzeigen getrieben, nicht von den Abonnementen“, meint er.


18 Prozent nutzen das Internet

Im vergangenen Jahr habe der Umsatz der indischen Printmedien bei 3,6 Milliarden Euro gelegen, errechnete das Beratungsunternehmen KPMG. Dabei werde das Wachstum von mittelgroßen Städten getrieben, nicht von den Metropolen. Außerdem würden vermehrt Titel in Regionalsprachen gedruckt, nicht in Englisch. „Dainik Jagran“-Herausgeber Gupta erklärt das so: Obwohl viele Inder in der Schule Englisch als Unterrichtssprache hätten, fühlen sich nur fünf bis sechs Prozent sicher genug, um darin Zeitung zu lesen.

Doch auch in Indien gehen immer mehr Menschen online. Im gerade vorgestellten Bericht der UN-Breitbandkommission heißt es, dass 18 Prozent der Inder das Internet nutzen. Und zwar zumeist nicht mit dem Computer. „Wir springen direkt von Nichts zum Smartphone, wie wir schon von Nichts zum Handy gegangen sind, ohne Festnetz“, sagt der Kommunikationsspezialist Dilip Cherian, der sich „Bilder-Guru“ nennt.

Der Smartphone-Markt explodiert förmlich in Indien, 2017 könnte er der größte der Welt sein. Getrieben wird er von extrem günstigen Geräten, oft produziert von indischen Herstellern oder dem chinesischen Senkrechtstarter Xiaomi. Die Geräte gibt es ohne Vertrag für weit unter 100 Euro. Bald schon, prognostiziert Cherian, würden die Menschen darauf bestehen, überall im Land Empfang zu haben.

Indiens Premierminister Narendra Modi treibt tatsächlich eine „Digital India“-Kampagne voran. Derzeit ist er auf einer USA-Reise, und trifft dort nicht nur den Medienmogul Rupert Murdoch, sondern auch Facebook-Gründer Mark Zuckerberg.

„Es gab in Indien eine riesige Kampagne gegen Zuckerbergs Initiative Internet.org“, erinnert Professor Parthasarathi. Dabei sollte der Internetzugang zwar kostenlos sein, aber die Nutzer konnten nur einzelne Online-Dienste wie etwa Facebook nutzen. „Facebook hätte sicher gerne andere politische Rahmenbedingungen“, meinte Parthasarathi, und warnt vor den Folgen, wenn die Netzneutralität aufgegeben werde: „Das könnte einen großen Einfluss auf die Medienvielfalt haben.“

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