MWC Auf der Suche nach dem „Next Big Thing“

Grund zur Euphorie gibt es beim Mobile World Congress nur auf den ersten Blick. Trotz guter Zahlen hat die Handybranche ein entscheidendes Problem.

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Die spannendsten Gerüchte zum MWC
Samsung Galaxy S6 Quelle: AP
G5 von LGLG wird sein neues Premiummodell vorstellen: Das etwa fünf Zoll große G5 (Bild: G4S). Insider erwarten auch einen kleineren Ableger, das LG5 Lite. Im Gegensatz zu Samsung hat LG Electronics schon im Vorfeld des MWC offiziell bestätigt, dass das neue Geräte mit einem Always-on-Display ausgestattet sein wird. Der südkoreanische Herrsteller will eine dazu passende Hülle mit Touch-Funktion präsentieren. In Sachen Kamera-Auflösung sind bislang noch keine konkreten Zahlen durchgesickert. Klar scheint allerdings zu sein, dass in das Gerät zwei Kameras mit Weitwinkellinsen integriert sein werden. Spannend: Über einen Magic-Slot soll der Nutzer das G5 durch eine Action-Cam, Tastatur und Audioverstärker ergänzen können. Das G5 soll zwischen 600 und 700 Euro kosten.
Lumia650 von Microsoft Quelle: Presse
Tone Platinum Bluetooth-Kopfhörer von LG Quelle: Presse
360-Grad-Kamera von SamsungNeben dem Samsung Galaxy S7 soll der koreanische Gerätehersteller auch die Kamera Gear 360 in Spanien vorstellen. Seit Längerem arbeitet Samsung an einer Virtual-Reality-Kamera. Die Brille soll mit zwei 360-Grad-Fischaugen-Objektiven Rundum-Filme aufnehmen können. Den Stream können Verbraucher laut Insider auf einem Smartphone sehen – ob er auch übertragen werden kann, sei noch unklar. Quelle: REUTERS
Mi4 Quelle: REUTERS
Sony Xperia Z4 Tablet Quelle: AP

Eigentlich müssten die kommenden fünf Tage in Barcelona eine einzige große Mobilfunkparty werden, mit einer Branche im Siegesrausch. Die Vorzeichen, unter denen sich die Handybranche bis Donnerstag zum Mobile World Congress (MWC) trifft, sind sensationell. Jedenfalls auf den ersten Blick.
Erstmals gab es im vergangenen Jahr so viele Mobilfunkanschlüsse wie Menschen auf der Erde. Knapp die Hälfte davon nutzt ein Smartphone, hat der schwedische Mobilfunkkonzern Ericsson in seinem aktuellen Mobility Report berechnet.

Allein in Deutschland wurden 2015 mehr als 26 Millionen Smartphones verkauft, so der Branchenverband Bitkom. Der Umsatz, den Handyproduzenten und Netzbetreiber verbuchten, lag mit 10,3 Milliarden Euro zum ersten Mal über der symbolischen Zehn-Milliarden-Grenze. Der Zuwachs: sagenhafte 22 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Doch so gut die Zahlen scheinen, und so sehr Aussteller und Geschäftskunden die positive Stimmung kultivieren. Wahre Euphorie wird beim Branchentreffen an der spanischen Mittelmeerküste kaum aufkommen. Die globale Mobilfunkindustrie steht vor dem Umbruch - und großen einem Problem.


Wo bleibt die echte Innovation?

Eine Sensation, die dem Geschäft neue Impulse verleihen könnte, ist nicht in Sicht. Hersteller wie Samsung und LG werden mit ihren Top-Smartphones S7 und G5 Marksteine setzen. Sie werden besser auflösende Displays, intelligentere Sensorik, smartere Verknüpfungen von Handy und vernetzter Alltagstechnik präsentieren.
Doch, „bei aller Ingenieurskunst und Fertigungsbrillanz ist nichts auch nur ansatzweise so Faszinierendes an Produktinnovation zu sehen, dass erkennbar wäre, was die Nachfrage der Konsumenten so kometenhaft weiter treiben könnte, wie bisher“, urteilt Julie Ask, Mobilfunkexpertin beim Marktforscher Forrester.

Die Themen des MWC

Wenn es so etwas wie den Seismographen für den Faszinationsgrad der Handywelt gibt, ist es die Frequenz mit der Gerüchte über die jeweils nächste Generation von Apples iPhone durchs Netz rasen. Nun bleibt der kalifornische Technikkonzern dem MWC seit Jahren fern, um sich nicht mit der Konkurrenz die Aufmerksamkeit bei der Präsentation der Neuheiten teilen zu müssen. Gebrodelt hat die Gerüchteküche trotzdem. Alle neuen Messegadgets mussten sich unmittelbar dem Coolness-Check mit den angeblich bevorstehenden Apple-Innovationen stellen.


Wenig Raum für Enthusiasmus

Ganz anders in diesem Jahr. Nicht bloß, dass der Buschfunk rund um Apple vor der Messe ausnehmend still war. Auch die Leaks und Sensationsmeldungen vor den Unpacked-Events der etablierten MWC-Riesen ließen auffällig wenig Raum für Vor-Messe-Enthusiasmus.
Dass Samsungs Galaxy S7 womöglich wasserabweisend sei, oder das G5 von LG vielleicht wieder einen Wechselakku bekommt, sind interessante Gerüchte. Sie reichen aber kaum, bei den potenziellen Kunden einen massiven Wechseldruck zu erzeugen.
Das scheint auch die Mobilfunkbranche selbst zu ahnen. Zwar gab sich Vodafone-Deutschlandchef Hannes Amtesreiter, Mitte vergangener Woche vor Journalisten betont zuversichtlich. „Der Smartphone-Boom ist ungebrochen“, sagte Ametsreiter, der auch Mitglied des Bitkom-Präsidiums ist.
Doch weil die Hersteller mit sinkenden Durchschnittspreisen von 395 auf 370 Euro für ihre Geräte rechnen – traditionell ein Indikator für fehlende Innovationen, mit denen sich höhere Preise beim Kunden durchsetzen ließen – dürfte der Umsatz der Branche in diesem Jahr günstigstenfalls stagnieren. Zur Erinnerung: Von 2014 auf 2015 wuchs das Geschäft um 22 Prozent!

Da hilft es der Industrie auch nicht viel, dass speziell in den Entwicklungs- und Schwellenländern deutlich mehr Nachrüstbedarf beim Umstieg von herkömmlichen Handys auf Smartphones besteht. Denn dort greifen die Kunden zu billigeren Geräten als in den wohlhabenden Märkten der Industriestaaten.
Das Geschäft in den Wachstumsländern machen aggressive, chinesischen Billiganbieter wie Xiaomi oder die Discountableger von Handygiganten wie Huawei, ZTE oder Lenovo. Dass Samsung an der Börse gegenüber dem 52-Wochen-Höchststand rund 20 Prozent eingebüßt hat, ist – auch – darauf zurückzuführen. Der Apple-Absturz um 30 Prozent erst recht.

Woher soll das Wachstum kommen?


Was der Handybranche widerfährt, ist ein Trend, der in der PC-Welt rund 30 Jahre brauchte. An die Stelle regelmäßiger, massiver Leistungssprünge und grundlegender Technikinnovationen sind immer kleinere Fortschritte getreten. Aus „Must-Have“, dem Haben-Müssen-Gefühl nach der Vorstellung der jeweils nächsten Rechner-Generation, wurde bestenfalls ein „Might-Have“. Ein Vielleicht-Brauchen.

Zahlen und Fakten zum Smartphone-Markt

Die Smartphone-Welt mit ihren dramatisch kürzeren Produktzyklen hat das Stadium der im Grunde zufrieden gestellten Nutzer in einem Drittel der Zeit geschafft, den die PC-Bauer benötigten. Knapp zehn Jahre nach Vorstellung des ersten iPhone, sind die Handstreich-Telefone aus dem vergangenen Jahr den meisten Nutzern schlicht gut genug. Sie müssen Gerät nach wenigen Jahren nicht schon wieder ersetzen. Woher also soll künftiges Wachstum kommen? Was weckt wieder neue Faszination beim Käufer? Was wird das „Next Big Thing“ der Mobilfunkwelt?


Wenn jeder mit jedem funkt

Die eine, grandiose Innovation, das Killer-Produkt, wird auf keinem der Messestände in Barcelona zu sehen sein. Der bedeutenste Treiber im Endkundengeschäft wird vielmehr die Verbindung unterschiedlichster Geräte im Alltagsumfeld sein: smarte Uhren mit den Steuerungsmodulen für das intelligente Haus beispielsweise. Oder die Verknüpfung der eigenen Virtual-Reality-Brille mit der 3-D-Kamera im Handy eines Freundes im Urlaub. Alles wird im digitalen Alltag mit allem kommunizieren.

Das schafft einen Wachstumsmarkt, für jede Menge Gadgets, keine Frage. Die bittere Wahrheit für die Smartphonebauer aber lautet: Für die meisten der Anwendungen wird man bestenfalls hin und wieder ein neues Smartphone brauchen, wenn das alte aufs Display gefallen ist. Als Fernsteuerung für den vernetzten Alltag reicht fast immer auch die Handy-Generation aus dem Vorjahr.
Aus dem Umbruch im Mobilfunkgeschäft werden aber auch einige Gewinner hervorgehen. Die Menge der durch die Netze pulsierenden Daten wird weiter exponentiell ansteigen. Denn ob Uhr oder Brille, ob vernetzte Parkuhr oder Stromzähler an der Windfarm: Was künftig an Bits und Bytes zwischen beliebigen Geräten zirkuliert, wird die Transportkapazitäten der bestehenden Netz rasch an Ihre Grenzen treiben.
Das Wachstum beim Datenverkehr rechnet Ericssons Mobility Report für die nächsten fünf Jahre alleine auf 1600 Exabyte hoch. Das ist die unvorstellbare Menge von 1,6 Billionen Gigabyte, und dreizehn Mal mehr als in den vergangenen fünf Jahren.


Funken im Internet der Dinge

Wichtigster Trend der nächsten Dekade und eines der Hauptthemen der Messe, wird deshalb die Technik sein, die die Netze für den Datenboom im Internet der Dinge fit macht. Das Kürzel, das die Kommunikationswelt elektrisiert heißt 5G. Es steht für die kommende, die fünfte Generation des Mobilfunks.
„5G wird weltweit nicht bloß Hunderte von Millionen Menschen vernetzen“, sagt Frank Fitzek, Leiter des Lehrstuhls für Kommunikationsnetze an der Technischen Universität Dresden. „Künftig geht es darum, global Hunderte von Milliarden Maschinen zu verbinden.“

Von denen wird sich keine Einzige für eine höchstauflösende Handykamera begeistern oder für ein abgerundetes Gorilla-Glas-Display. Aber jede Einzelne braucht Sendemasten, Antennen, Bodenstationen, Vermittlungstechnik und jede Menge Software, um den Datenstrom zu verarbeiten.
Das wird ein gigantisches Geschäft für die nächsten Jahre. Bei den Herstellern dieser Netztechnik, bei den Nokias, Ericssons und Huaweis, ist in der MWC-Messewoche tatsächlich Party angesagt – und zwar jede Menge.

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