Netz-Monopole „Die Internetkonzerne sind der Politik bis zu 20 Jahre voraus“

OECD-Generalsekretär Angel Gurria fordert neue Konzepte für den Wettbewerb im Netz und weniger Gesetze aber härtere Strafen bei der Regulierung der Digitalkonzerne.

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Der OECD-Generalsekretär Angel Gurría im Interview. Quelle: dpa

WirtschaftsWoche: Herr Gurria, vom Steuerrecht bis zum Verbraucherschutz - fast alle Gesetze stammen aus Zeiten, die dominiert waren vom Handel mit realen Gütern. Nun aber ersetzen immer häufiger virtuelle Waren die traditionellen. Brauchen wir neue Regulierung für die Digital-Wirtschaft?
Angel Gurria: Absolut. Die Frage ist nur noch, wie die aussehen soll in einem globalen Wirtschaftsraum „Internet“. Müssen das klassische Rechtsnomen sein? Wer soll die verabschieden? Wie lassen sie sich durchsetzen, wenn sie in unterschiedlichsten Staaten und Rechtsräumen gültig sein sollen? All das müssen wir neu denken. Ich glaube nicht, dass wir alles über Gesetze regeln können, sondern verstärkt auf Selbstverpflichtungen der Tech-Konzerne setzen sollten.

Können Sie das konkretisieren?
Wir wären schon weiter, wenn etwa Onlinehändler Kunden global ein Umtauschrecht garantierten, oder die Option zum Rücktritt vom Vertrag. Wenn sich soziale Netzwerke auf den Schutz der Privatsphäre verpflichteten. Oder wenn sich Unternehmen in Branchen ohne große Konkurrenz eine strenge Selbstkontrolle bei der Sicherung des Wettbewerbs auferlegten. Das muss nicht ins kleinste Detail geregelt sein. Trotzdem wären allen Beteiligten die Leitlinien des Handelns klar – und ebenso, wann wer die Grenzen überschreitet.

von Matthias Hohensee, Henryk Hielscher, Silke Wettach

Wäre das nicht eine Bankrotterklärung nationaler Wirtschaftspolitiken, weil sich deren traditionelle Sanktionsmöglichkeiten als wirkungslos herausgestellt haben?
Natürlich braucht es auch weiterhin die Möglichkeit, dass Staaten für sich definieren, was sie für rechtens halten, und was nicht. Aber das muss ja nicht für jeden Aspekt des digitalen Handelns gelten. In vielen Fällen können Selbstverpflichtungen der Digitalbranche einfach schneller, zeitgemäßer und wirksamer sein. Zumal die Zahl der Anbieter zumindest bei vielen erfolgreichen Online-Angeboten ohnehin sinkt.

Weil wenige Internetriesen mit ihren Apps und Angeboten immer machtvollere Monopole aufbauen – Google bei der Suche, Facebook bei sozialen Netzen, Amazon beim globalen Handel oder bei Cloud-Diensten …
… geht der Trend tatsächlich in diese Richtung. In vielen Fällen geht das digitale Geschäft, beschleunigt durch den Netzwerkeffekt, zu einem „The Winner takes it all“-Modell hin. Da muss man sich schon fragen, wo der Wettbewerb bleibt. Klar, man kann sich als Kunde entscheiden, Facebook nicht zu nutzen oder WhatsApp und Instagram nicht. Aber die Realität sieht doch so aus, dass die Menschen genau das nicht tun. Sie haben ja auch keine wirkliche Wahl. Es gibt eben nur ein Facebook, wo sie alle ihre Freunde finden.

... das auch deshalb so erfolgreich ist, weil es offenbar für ihre Nutzer attraktive Angebote macht.
Genau. Und das wirtschaftstheoretische Problem ist, dass diese Internetmonopole – jedenfalls aus Konsumentensicht – gar nicht so schädlich sind, wie wir das aus den Konzernmonopolen des Industriezeitalters kennen. Die führten zu überteuerten, schlechten Produkten und einer suboptimalen Versorgung. Im Digitalzeitalter gibt es all die tollen Online-Services praktisch geschenkt. Wir zahlen mit unseren Daten, aber diese Dienste werden immer ausgefeilter, attraktiver und sie kosten trotzdem nichts.

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