Projekt Titan Wie Apple das Geschäft mit der Künstlichen Intelligenz verpasst

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"KI passt nicht zu Apples DNA"

Apple selbst war eigentlich prädestiniert für eine Führungsrolle in der KI. Mit über 250 Milliarden Dollar Cash hat der Konzern mit Abstand am meisten Geld für Zukäufe. Vor allem aber, weil Apple eine der ersten KI-Anwendungen überhaupt auf den Markt gebracht hat: die sprachgesteuerte Assistentin Siri. Nutzer können ihr Fragen stellen. Sie sucht nach den Antworten im Internet.

2010 hatte Apple das KI-Start-up Siri aus Palo Alto gekauft. Apple-Boss Steve Jobs, erst skeptisch, war schnell begeistert, drängte seine Entwickler, Siri im iPhone einzusetzen. Doch sechs Jahre später haben Google, IBM, Baidu und Facebook Apple überflügelt, vor allem beim Analysieren und Interpretieren komplexer Echtzeitdaten – allen voran: von Sprache. Googles sprechender Digital-Assistent, der einfach Assistant heißt, ist schneller und besser als Siri.

Wie konnte das passieren? „KI passt nicht zu Apples DNA“, sagt der Risikokapitalgeber und Apple-Analyst Gene Munster. In dieser DNA steckt die Geheimnistuerei, Apples Neigung, Erfindungen unter Verschluss zu halten und sogar einfache Mitarbeiter mit Redeverbot zu belegen. „Das funktioniert in der KI-Entwicklung nicht; die Zeiten, in denen man einen KI-Service wie Siri hinter verschlossenen Türen zur Marktführerschaft entwickeln konnte, sind vorbei“, sagt Susan Athey, IT-Professorin in Stanford.

KI kommt eher Googles Ansatz entgegen, Know-how breit zu streuen und möglichst viele Programmierer von außen einzubinden. Die Anwendungen benötigen zum Beispiel derart viele Daten, um besser zu werden, dass es für einen einzelnen Konzern kaum möglich ist, alle allein zu generieren.

Weiter zurückgeworfen hat Apple ein Exodus führender KI-Experten. Johann Jungwirth etwa, den Apple 2014 mit viel Geld von Daimler abgeworben hatte, treibt nun für Volkswagen das KI-gesteuerte Auto voran. E-Auto-Pionier Tesla hat sich Apples Hardwareguru Doug Field geschnappt. Auch das Siri-Team, inklusive der beiden Gründer Adam Cheyer und Dag Kittlaus, hat Apple wieder verlassen.

Google und Facebook sind weiter

Das größte Problem: Der Vorstoß beim KI-Auto kommt erneut sehr spät. Ähnlich langsam war Apple bei den KI-gesteuerten Smart Speakern, die auf Sprachbefehl Lebensmittel bestellen oder den Arbeitsweg optimieren können: Apples Home Pod kommt im Dezember, zwei Jahre nach Amazons Echo und ein Jahr nach Google Home. Rivale Google forscht bereits seit 2009 an selbstfahrenden Autos. Unternehmensgründer Larry Page selbst engagierte den aus Solingen stammenden Stanford-Professor Sebastian Thrun, der als Vater des selbstfahrenden Autos gilt.

Und Google-Chef Sundar Pichai drückt weiter aufs Tempo. Die jüngste Entwicklerkonferenz Google I/O im Mai wurde ein wahres KI-Festival. „Alle unsere Produkte werden mithilfe von KI neu ausgerichtet“, sagte Pichai vor 7000 Entwicklern. Zum Beispiel Google Lens. Die Software analysiert den Inhalt von Bildern der Handykamera. Ist etwa der Eingang eines Sushirestaurants zu erkennen, übersetzt sie die Menükarte und gleicht sie mit Allergien des Nutzers ab.

Google ist Apple in der KI-Forschung enteilt. Auch durch Kauf von Start-ups wie Kaggle, einem Service, der weltweit Wettbewerbe für Datenforschung und KI koordiniert. Gründer Douglas Eck rang lange mit sich, ob er seine Professur an der Uni Toronto gegen einen Job bei Google eintauschen sollte. Googles offene Kultur habe den Ausschlag gegeben, sagt Eck: „Wir publizieren unsere Erkenntnisse. Nur so ist ein Konzern für KI-Wissenschaftler attraktiv.“

Google mache „erstaunliche Fortschritte in sehr kurzer Zeit“, sagt Carolina Milanesi, Analystin bei Creative Strategies, „die Lernkurve dürfte progressiv ansteigen.“ Weil die Google-Plattform durch ständige Netzsuchen enger in den Anwenderalltag eingewoben ist als Siri, dürfte sie schon bald mehr wertvolle Daten zur Verfügung haben. „Das ist eine große Gefahr für Apple“, sagt Milanesi, „es wird bald vieles im Assistant geben, was Siri nicht weiß.“

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