Russia Today Der Propaganda-Sender des Kremls in Deutschland

Der russische Sender Russia Today hat seinen deutschen Ableger gestartet. Das Programm bietet einen obskuren Mix aus konfrontativer Kreml-Propaganda und Weltverschwörung. Ein Ortsbesuch.

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Sogar in Deutschland aktiv: Der deutschen Ableger von Russia Today. Quelle: Screenshot

Berlin Am vergangenen Wochenende sollen die Lügen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens wieder besonders dreist gewesen sein. Die Fernsehbilder vom G20-Gipfel im australischen Brisbane zeigten den Kreml-Chef Wladimir Putin beim Essen. Ohne Tischnachbarn saß er allein an dem großen, runden Tisch. Wenige Sekunden dauerte die Einstellung der ARD-Nachrichten, die Putins internationale Isolation verdeutlichen sollte.

Eine harmlose Szene, könnte man meinen. Der gerade gestartete Online-Ableger des russischen Auslandssenders RT, früher Russia Today, aber zeigte die „Wahrheit hinter den Bildern“. Laut RT Deutschland wäre das Videomaterial in manipulatorischer Absicht zusammengeschnitten worden: Denn gegenüber von Putin saß die brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff. Das verdeckte in der Kameraeinstellung der ARD allerdings ein Kellner.

Man kann über die Szene des ARD-Videos kontrovers diskutieren. Auch der bekannte Medienjournalist Stefan Niggemeier übte Kritik an der Kameraeinstellung. Für RT Deutschland ist der umstrittene Einzelfall aber ein klarer Beweis für das korrupte System des Westens. Und diese Einzelfälle liefert der Nachrichtenstrom von RT in schnellem Takt: „MH17: Spiegel als Handlanger von BND und Bundesregierung“, „Weil er Russe ist – Stardirigent Gergiev unerwünscht auf Saar-Festival“ .  

Nun ist Russia Today aber kein Nischenkanal für Weltverschwörer. Seit 2005 strahlt der russische Auslandssender sein Programm aus und erreicht damit weltweit 700 Millionen Zuseher. Auf der Videoplattform Youtube hat RT als erster Nachrichtenkanal die Grenze von einer Milliarde Klicks geknackt. In Großbritannien schauen mittlerweile mehr Menschen RT als Euronews.

Mitte November hat der deutsche Ableger von RT den Betrieb aufgenommen. Am Potsdamer Platz in Berlin findet sich der Newsroom des Internetkanals rtdeutsch.com. Obwohl die Namensschilder an den Büros noch nicht beschriftet sind, ist der Sender auch hierzulande kein unbeschriebenes Blatt mehr.  Der „Medienrusse“ titelte etwa der Tagesspiegel über den Chefredakteur und vielfachen Talkshow-Gast Iwan Rodionow.

Wie das Gros der deutschen Journalisten RT einschätzt, hat die Online-Ausgabe der „Zeit“ in einer Headline zusammengefasst: „Das hat uns gerade noch gefehlt.“ Grund für die einhellige Ablehnung durch professionelle Journalisten ist die Berichterstattung von RT, die im Stil einer Gegenaufklärungs-Propaganda praktisch ungefiltert die Ansichten des Kreml transportiert, Agitation gegen Amerika und den Westen inklusive.


„Wir sind die Kreml-Marionetten“

„Wir von RT Deutsch, wir sind die Putin-Versteherinnen, die Kreml-Marionetten, die Verschwörungstheoretikerinnen“, moderiert eine der jungen Reporterinnen ihren Beitrag an. Was ironisch und witzig wirken soll, erscheint bei näherem Betrachten der Inhalte hingegen bizarr. Die Moderatorin  Jasmin Kosubek stellt ihren Gästen fast durchwegs Suggestivfragen. Dem ORF-Korrespondenten Christian Wehrschütz wurde das in einem Live-Interview am Mittwoch zu viel: „Suggestivfragen sind im Journalismus an sich verboten“, ließ er die Moderatorin wissen.

Professor Martin Emmer, Direktor des Publizistikinstituts der FU Berlin, hat sich bereits vor zwei Jahren mit seinen Studenten dem Sender RT wissenschaftlich genähert. Im Gegensatz zu öffentlich-rechtlichen Auslandssendern wie etwa dem deutschen Kanal „Deutsche Welle“ sieht er in RT „eindeutig einen Kommunikationskanal der russischen Regierung“. Emmer sagt: „RT funktioniert nach den Regeln politischer PR.“

Das Grundmuster von RT bildet laut Emmer nicht die Lüge, sondern die extreme Selektion der Nachrichten.  „Einzelfälle werden als Beleg für ein angeblich insgesamt korruptes System des Westens präsentiert“, sagt Emmer. Was der Wissenschaftler ebenfalls beobachtet, ist ein Wandel des Programmschemas: „RT geht von einer reinen Positiv-PR für Russland hin zu einer zunehmend konfrontativen Berichterstattung, eingebettet in die offizielle Doktrin des Kreml.“

Dass der Sender im Sinne Russlands agitiert, daraus macht der Muttersender RT kein Geheimnis. Margarita Simonjan, die Chefredakteurin von RT, sagte dem „Spiegel“, dass RT die Stimmung in westlichen Ländern nicht kurzfristig beeinflussen wolle. Vielmehr ginge es darum, eine alternative Öffentlichkeit zu schaffen. Das Budget für den Aufbau des RT-Netzwerks liegt derzeit bei rund 220 Millionen Euro. 2015 soll es um ein Drittel aufgestockt werden.


Mitarbeiter verleugnen Redaktionssitz

In der deutschen Zentrale am Potsdamer Platz gibt man sich gegenüber anderen Journalisten reserviert. Anfragen zu Interviews mit dem Chefredakteur werden tagelang nicht beantwortet. Auf Nachfrage ist nur zu erfahren, dass RT Deutschland aufgrund der zahlreichen Medien-Anfragen keine Interviews oder Auskünfte geben könne.

Über drei Stockwerke erstrecken sich die Büros und die Schneide- und Aufnahmeräume im RT-Deutschland-Büro am Potsdamer Platz. Was schon auf den ersten Blick auffällt, ist das Alter der Mitarbeiter, das im Schnitt knapp über 20 Jahre liegen dürfte. Sonst unterscheidet sich die kleine Redaktion nicht wesentlich von anderen Medienhäusern: Die Mitarbeiter sprechen deutsch miteinander, viele tragen Röhrenjeans und Dreitagesbart und laufen eilig durch die Gänge.

Welche Räume zu RT Deutschland und welche zur – ebenfalls vom Kreml gesponserten – Nachrichtenagentur Ruptly gehören, blieb bei dem Augenschein vor Ort jedoch unklar.  „RT Deutschland hat hier nicht seinen Sitz“, sagte eine der Mitarbeiterinnen just vor jenem Aufnahmeraum, in dem die Moderatorin Jasmin Kosubek das allabendliche Format „Der fehlende Part“ moderiert. Später erklärte eine Mitarbeiterin von RT Deutschland zu dieser Verleugnung: „Wir wollen momentan eben keine Journalisten im Haus haben.“

Die Propaganda-Arbeit von RT Deutschland ist dabei durchweg professionell – selbst wenn die Moderationen oft pannenhaft sind und die Moderatorin Jasmin Kosubek mit ihrer Naivität manchen Gesprächspartner überfordert. Die internetaffine Zielgruppe mag diese Art der Authentizität durchaus schätzen. Auch die Social-Media-Kanäle werden professionell bespielt.

Unterm Strich verbreitet RT Deutschland mehr Unwahrheiten, Verkürzungen und Verfälschungen, als es diese – wie die Moderatoren ständig versprechen - aufklären würde. Zumindest für eine Zielgruppe dürfte RT Deutschland aber interessant sein: „Für Kreml-Astrologen ist der Sender sicher lohnend. Man erkennt dort relativ schnell Änderungen in der offiziellen Linie Russlands“, sagt Professor Martin Emmer.

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