Soziale Netzwerke Wie Xing die US-Konkurrenz in Schach hält

Xing ist das einzige Soziale Netzwerk aus Deutschland, das sich gegen Wettbewerber aus den USA behaupten konnte. Erneut hat die Karriere-Plattform starke Zahlen vorgelegt – doch wie lang hält der Boom an? Eine Analyse.

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Das Karriere-Netzwerk legte wieder starke Zahlen vor: Rund eine Million neue Nutzer konnte das Unternehmen seit Jahresbeginn gewinnen. Quelle: dpa

Hamburg, Düsseldorf Ob Studivz, Wer-kennt-wen, oder Lokalisten: Die Liste verwaister Sozialer Netzwerke aus Deutschland ist lang. Studivz führt ein reichweitenschwaches Dasein irgendwo zwischen digitaler Nostalgie und Belanglosigkeit, Wer-kennt-wen und Lokalisten sind vom Netz genommen. Einzige Ausnahme: das Karriere-Netzwerk Xing.

Das Unternehmen hat am Montag einmal mehr starke Zahlen vorgelegt: Rund eine Million neue Nutzer konnte Xing in den ersten sechs Monaten des Jahres gewinnen – soviel wie noch nie innerhalb dieses Zeitraums. Auch der Umsatz legt um rund 22 Prozent auf 86 Millionen Euro zu. Der operative Gewinn (Ebitda) stieg um 19 Prozent auf 27,3 Millionen Euro, der Überschuss wuchs ebenfalls um 19 Prozent auf 13,1 Millionen. Die Aktie war mit einem Plus von drei Prozent größter Gewinner im TecDax.

Doch trotz der glänzenden Zahlen bleiben Fragezeichen: Xing hat mit der Microsoft-Tochter LinkedIn einen starken Konkurrenten. Zudem stellt sich die Frage, ob der deutsche Markt auf Dauer nicht zu übersichtlich, wenn sich gleichzeitig junge Absolventen und Berufsanfänger durch Auslandserfahrungen international ausrichten. Droht Xing das gleiche Schicksal wie Studivz und Co?

Xing-Chef Thomas Vollmoeller sieht das naturgemäß anders – und gibt für 2020 ein neues Ziel aus: „Wir peilen 300 Millionen Umsatz und 100 Millionen EBITDA an“, sagt er im Gespräch mit dem Handelsblatt. „Das erste Halbjahr dieses Jahres war das erfolgreichste in der Geschichte von Xing“, so Vollmoeller. Der Schlüssel für den Wachstumskurs sei die konsequente Ausrichtung an den Bedürfnissen der Mitglieder und Unternehmenskunden. Dabei sorgen nicht nur die Premium-Accounts für Zuwächse in der Bilanz, sondern auch die digitale Personalsuche, das sogenannte E-Recruiting. Die Erlöse in diesem Segment stiegen um 39 Prozent auf rund 35 Millionen Euro.

Ein Markt mit viel Potenzial, den Xing nicht nur mit dem Ausbau der Funktionalitäten auf der Plattform, sondern auch mit Zukäufen vorantreibt: Zuletzt übernahm das Hamburger Unternehmen das Wiener Start-up Prescreen für 17 Millionen Euro. Das gehört zu den am schnellsten wachsenden europäischen Anbietern von sogenannten „Applicant Tracking Systemen“ (ATS).

Das sind Managementsysteme, mit denen Unternehmen den gesamten Bewerbungs- und Einstellungsprozess auf Basis einer Software steuern können. Prescreen verbleibt als eigener Anbieter unter dem Unternehmensdach von Xing bestehen, ergänzt das Portfolio allerdings um einen wertvollen Bestandteil, denn die Systeme erfreuen sich zunehmender Beliebtheit im Personalmanagement, bestätigt Sarah Simon, Senior-Analystin bei Berenberg: „Das Angebot von Prescreen ist eines, nachdem viele Kunden gefragt haben. Xing fügt immer mehr Bestandteile im Markt des E-Recruitings hinzu und will dadurch ein Rundum-Anbieter werden.“

Xing-Chef Vollmoeller sieht im Bereich des Personalwesens massive Veränderungen auf den Arbeitsmarkt zu kommen: „Früher reichte es, 3000 Mark für eine Stellenanzeige von zwanzig Quadratzentimetern auszugeben. Heute funktioniert das Modell Post-and-Pray nicht mehr, da immer mehr Unternehmen um immer weniger Fachkräfte konkurrieren.“ Da müssten Unternehmen aktiver werden, um nicht abgehängt zu werden. Überall angekommen ist das allerdings noch nicht: Christoph Beck, Professor an der Hochschule Koblenz und Experte für Personalwesen hält E-Recruiting für einen dynamischen Markt, gibt allerdings zu bedenken: „Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Unternehmen im E-Recruiting unterschiedliche Entwicklungsstufen haben.“


Wo Xing offline wachsen will

Viele Unternehmen setzen weiter auf die klassische Stellenanzeige – Xing-Chef Vollmoeller sieht Nachholbedarf: „Das Modell ‚Anzeige‘ ist gleichgeblieben, nur, dass die jetzt online ist.“ Reichen werde das allerdings nicht, um effizient an gute Mitarbeiter zu kommen: „Da müssen wir weiter Überzeugungsarbeit leisten.“

Prescreen war nicht der einzige Zukauf der vergangenen Zeit: Mitte Juli übernahm die Burda-Tochter das internationale Netzwerk InterNations für zehn Millionen Euro. Das besitzt 2,7 Millionen Mitglieder und ist in rund 390 Städten weltweit vertreten. InterNations richtet sich an die sogenannten Expats, also Arbeitnehmer, die von ihrem Unternehmen für eine gewisse Zeit ins Ausland geschickt werden.

Für Xing ist das kein Schritt in die Internationalität, sondern ein Zukauf, von dem auch das eigene Geschäftsmodell profitieren soll, weiß Berenberg-Analystin Simon: „Der bringt Xing wertvolle Kenntnisse im Bereich Offline-Netzwerken.“ Rund 50.000 Events mit insgesamt 1,5 Millionen Teilnehmern hat das Netzwerk nach eigenen Angaben im vergangenen Jahr veranstaltet.

Das interessiert auch Xing: „Wir haben unser Augenmerk in den vergangenen Jahren vielleicht zu wenig auf unsere eigenen Offline-Aktivitäten gerichtet“, sagt Chef Vollmoeller. Mit dem Know-How von InterNations wolle man diesen Bereich wieder stärker in den Fokus nehmen: „Wir schaffen Mentalitätssynergien – Xing profitiert von der Offline-Erfahrung, InterNations von unserer Online-Erfahrung“. Man führe zum Beispiel Gespräche darüber, wie Xing Angebote vermarkten könne, in denen Unternehmen InterNations-Pakete für ihre Mitarbeiter im Ausland erwerben könnten.

Das Vernetzen abseits digitaler Sphären hält Vollmoeller für einen Erfolgsgaranten: „Xing ist auch deshalb so stark geworden, weil wir schon früh auf das Lokale gesetzt haben, auf echte Menschen vor Ort, die in der selben Umgebung leben und vor den selben Herausforderungen stehen - und eben nicht nur auf das Programmieren von virtuellen Neuerungen.“ Das Know-How von InterNations hilft auch dem eigenen Veranstaltungsgeschäft, das das Unternehmen vor allem im Bereich „Neues Arbeiten“ vorantreibt: „Wir wollen kein klassischer Veranstaltungsorganisator werden, merken aber, dass da großes Interesse besteht – bei vielen Unternehmen aber auch zum Beispiel bei Verbänden und Handelskammern“, so Vollmoeller. Man werde genau prüfen, inwieweit da neue Geschäftsmodelle möglich und nützlich seien.


Drohen Risiken für das Wachstum?

Allerdings ist das US-Karrierenetzwerk LinkedIn Xing immer auf den Fersen, wenn es um Mitgliederzahlen geht – zuletzt verkündete die Microsoft-Tochter zehn Millionen Nutzer in Deutschland. Zudem wächst eine Generation heran, die während des Studiums und in den ersten Berufsjahren auch im Ausland Erfahrung gesammelt hat und entsprechende Karrierekontakte mitbringt – droht ein Generationenproblem für den rein deutschen Anbieter Xing?

Nein, glaubt Berenberg-Analystin Simon. Der Fokus auf den deutschen Markt sei richtig: „Eine Menge hochrangiger Führungskräfte nutzen LinkedIn wegen ihrer internationalen Kontakte, aber das ist kein Massenmarkt.“ Die meisten Menschen blieben im Laufe ihrer Karriere in ihrer Heimat und wollten daher eine lokale Plattform nutzen, so Simon: „Xings Hauptzielgruppe sind nicht internationale Geschäftsführer, sondern der Massenmarkt mit Angestellten aus dem mittleren und gehobenen Management.“ Markus Silbe, Analyst bei der BHF Bank glaubt: „Der Fokus auf den deutschen Markt hat früher immer dazu geführt, dass Xing belächelt wurde. Nun zeigt sich, dass sie keine Ressourcen verschwenden, um ein globales Geschäft aufzubauen, sondern ihre Kapazitäten in die Stärkung der hiesigen Plattform stecken.“

Headhunterin Kristin van der Sande, Partnerin bei Odgers Berndtson, glaubt zudem, dass viele sowohl Xing, als auch LinkedIn nutzen: „Die Vergangenheit hat gezeigt, dass beide Plattformen auch gut nebeneinander auskommen.“ Beide Profile würden genutzt, um sich entweder international oder eben auf dem heimischen Markt zu positionieren.

Zudem hätten sich die Geschäftsmodelle der beiden Plattformen verändert, sagt Berenberg-Analystin Simon: „LinkedIn setzt stärker auf den Vertrieb als auf Karriere.“ Untätig ist man bei Xing allerdings nicht: Natürlich beobachte man das Nutzungsverhalten der sogenannten „Double-Homer“ sehr genau, erklärt Xing-Chef Vollmoeller: „Wir würden Alarmsignale bekommen, wenn sie weniger aktiv bei uns würden – aber derzeit sehen wir da überhaupt keine Anzeichen für, ganz im Gegenteil.“

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