Starker Kundenzuwachs Warum Netflix boomt und Apple nicht

Der Kurs der Netflix-Aktie ist am Montag nach Veröffentlichung der Quartalszahlen in die Höhe geschnellt. Die Gründe für die Euphorie der Anleger sollten Apple-Chef Tim Cook nachdenklich stimmen.

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Vor allem im Ausland schalten immer mehr Zuschauer ein. Quelle: Reuters

Das hatten die Analysten nicht erwartet, wohl selbst Netflix-Chef Reed Hastings nicht. Rund 5,2 Millionen neue Abonnenten meldeten sich im vergangenen Quartal beim Video-Streaming-Dienst Netflix an. Konsens unter den Analysten war ein Zuwachs um etwa drei Millionen, was Netflix selbst als Messlatte vorgab.

Die Neukunden hat Netflix vor allem im Ausland hinzugewonnen. Aber auch in Nordamerika lief es mit einer Million statt der prognostizierten 600.000 Neukunden wie geschmiert. Das ist wichtig, weil der Markt eigentlich als gesättigt gilt. Der Rest der Zuwächse kommt aus Ländern wie Großbritannien, Kanada und Deutschland, einer der größten internationalen Märkte. Die Aktie sprang nachbörslich um mehr als elf Prozent auf das Allzeithoch von rund 180 Dollar.

Der Umsatz mit 2,8 Milliarden Dollar im Quartal lag 32 Prozent über dem im Vorjahr. Der Nettogewinn mit 66 Millionen nach 44 Millionen Dollar ist ebenfalls gestiegen. Allerdings ist das nicht mehr als ein Zeichen des guten Willens des Managements. Man will keinen Verlust ausweisen, obwohl man es könnte. Denn niemand kauft das Netflix-Papier wegen der Dividende – die es bisher noch gar nicht gibt.

Die beliebtesten Serien bei Netflix

Es geht um Wachstum und das zeigt Vorstandschef Hastings: In 200 Ländern wollte er Netflix haben, versprach er vor drei Jahren, und es ist praktisch geschafft. Er nutzte die Chance und ging volles Risiko ein. Dabei wird das Massengeschäft mit angemieteten Inhalten von Studios wie Warner Brothers oder Sony Pictures angefeuert. Die kann aber jeder kaufen, auch Konkurrenten wie Amazon oder Apple.

Die wahre Quelle des Erfolgs ist der Original-Inhalt: Filme, Serien, Videos, die der ehemalige DVD-Versender selbst produziert hat und an denen er auch die Rechte hält. Allein im vergangenen Quartal starteten auf der Webseite 14 Serien-Staffeln, neun Filme, sechs Dokumentationen und sieben Staffeln von Kinderserien. Es regnet Film- und Fernsehpreise. „In diesem Jahr werden wir 40 Filme vom großen Blockbuster bis zum Independent-Film produzieren“, heißt es im Aktionärsbrief. Netflix ist sicher, das „Filmgeschäft genauso neu gestalten“ zu können wie das TV-Geschäft.

Auf der Strecke bleiben die Kinobesitzer, die darauf bestehen, Werke noch vor der Veröffentlichung auf Netflix auf ihre Leinwände zu bekommen. Sie organisierten gar einen Boykott. In Cannes auf dem Filmfestival der alten Welt wurden Netflix-Werke wie „Ojka“ und „The Meyerowitz Story“ ausgebuht. Ab 2018 Jahr werden nur noch Werke zugelassen, die auch in Frankreich im Kino gelaufen sind. Nichts könnte Reed Hoffmann weniger kümmern. „Das Establishment schließt die Reihen gegen uns“, kommentierte er. Das war‘s auch schon.

Apple hechelt hinterher

Ein paar Seiten aus dem Drehbuch von Netflix will sich Apple allerdings herausreißen. Die TV-Profis Jamie Erlicht und Zack Van Amburg, die Knüller wie „Breaking Bad“ oder „The Crown“ bei Sony Pictures Television überwacht haben, werden als Co-Chefs das weltweite Videogeschäft übernehmen und direkt an Eddy Cue berichten, einen der mächtigsten Manager neben Tim Cook. Der kündigte an, den Service-Bereich bei Apple bis 2020 auf 50 Milliarden Dollar zu verdoppeln. Der Bereich wird von Cue geleitet und beinhaltet iTunes sowie den Musik-Abodienst des Konzerns.

Doch bislang hechelt Apple nur abgeschlagen hinter Netflix oder Amazon hinterher. 2012 kontrollierte der iPhone-Hersteller noch 50 Prozent des Download-Marktes für Videos, jetzt sind es weniger als 25 Prozent. Youtube, Netflix, Amazon und Hulu drücken den Konzern aus Cupertino ins Abseits. Dabei wäre eine Basis aus attraktiven Eigenproduktionen eine wichtige Ergänzung, um Kunden von Apple-TV und iTunes bei der Stange zu halten und auch iPhones und iPads langfristig als Entertainment-Angebote zu etablieren.

Bislang wenden sich Monat für Monat Zehntausende „Cord Cutter“ genannte US-Kunden, die ihre Kabel-TV-Angebote kündigen, um zu Streaming-Diensten zu wechseln, Netflix oder Amazon Prime zu und nicht Apple TV. Ein geplanter Einstieg in das Geschäft mit Abos für TV-Sender sei am massiven Widerstand der TV-Industrie gescheitert. Die wollte sich nicht, so wie damals die Musikindustrie mit iTunes, von Apple vorführen lassen.

Auf der Entwicklerkonferenz 2017 musste Cook zähneknirschend den Start von „Amazon Prime Video“ auf Apple TV als große Neuigkeit verkünden, um die Attraktivität zu steigern. Im Januar hatte er noch gesagt, man habe in Punkto Original-Inhalte „den großen Zeh ins Wasser gehalten und gelernt. Jetzt werden wir weitersehen“. Die Frage ist, wie schnell? Potenzial ist vorhanden: Insgesamt zählt Apple mehr als 150 Millionen Abo-Kunden für seine zahlreichen Dienste und Angebote. Ein guter Teil ließe sich sicher in zahlende Streaming-Kunden umwandeln.

Vorerst erntet aber Reed Hastings die Früchte des frühen Markteintritts. Das zweite Quartal gilt traditionell als ein schwaches für Netflix, doch die jetzt vorgelegten Zahlen zeigen erstmals keine Anzeichen der typischen Frühjahrsmüdigkeit.

Erstmals verzeichnet der Dienst mehr als 100 Millionen Abonnenten insgesamt und schließt damit langsam zu Apple auf, mehr als 50 Prozent der Kunden befinden sich im Ausland. Für das laufende Quartal gibt sich Netflix verhalten optimistisch und schätzt 3,65 Millionen internationale und 0,75 Millionen US-amerikanische Neukunden. Man habe im zweiten Quartal „klar die Stärke unserer Programme unterschätzt“, heißt es weiter, aber man wolle sich mit den Zahlen nicht zu weit aus dem Fenster lehnen.

Hier sieht man einen weiteren Unterschied zu Apple. Während dort immer von neuen Rekorden berichtet wird, heißt es in Hastings Aktionärsbrief lapidar: „Es war ein gutes Quartal.“

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