Streaming-Portal Das Netflix-Prinzip: Reichweite statt Profit

Netflix-Gründer Reed Hastings setzt auf Reichweite statt Profit. Den Erfolg verdankt der Gründer außerdem drei Prinzipien, die er beharrlich verfolgt. Ideen, von denen andere Unternehmen nur lernen können. Eine Analyse.

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Quelle: dpa

Reed Hastings ist an diesem Tag so etwas wie der bewegte Mann des Bewegtbildes. Der Erfolg von Netflix, sagt der Gründer und grinst freudig in die Kamera, sei doch eher das Ergebnis eines grundsätzlichen Trends. „Mehr und mehr Menschen überzeugt die Idee, Fernsehen im Internet zu sehen, ohne Werbung und wann immer sie wollen.“

Der Konzern aus Los Gatos präsentierte den Investoren das größte Nutzerwachstum seiner Geschichte. Im vergangenen Quartal gewann der Dienst 7,02 Millionen neue Mitglieder hinzu, etwa zwei Millionen mehr als von der Wall Street erwartet. Die Mehrheit, 5,12 Millionen neue Fans, stammt von außerhalb der USA. Nachbörslich stieg der Aktienkurs von Netflix um acht Prozent.

Im Januar 2016 war der Dienst parallel in 130 neuen Ländern gestartet und prägt nun das Fernsehverhalten von 93,8 Millionen Menschen. Hastings setzt auf Reichweite statt Profit.

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Den Erfolg verdankt der Gründer außerdem drei Prinzipien, die er beharrlich verfolgt: dem Willen zu Experimenten, einem lokalen Fokus sowie Qualitätsbewusstsein. Es sind Ideen, von denen andere Unternehmen nur lernen können.

Hastings wichtigste Erkenntnis lautet, dass es keine endgültige Kenntnis gibt, allenfalls Annäherungen, Verwerfungen, Korrekturen. Die Welt ist unübersichtlich geworden, nicht nur politisch. Auf Chef-Prognostizierer und Wahrheitskonzeptler kommt es nicht mehr an, sondern darauf, auszuprobieren, neu zu erfinden, anzupassen.

In der Netflix-Konzernzentrale in Los Gatos lässt sich dieser Experimentiersinn studieren. Eine meterhohe Tafel listet Ergebnisse der Tests auf, die das Unternehmen fortlaufend durchführt, von der Farbe des Startknopfs im Menü bis zum schlechten Charakter des Protagonisten. Auch bei anderen im Valley finden derartige A/B-Tests statt.

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Aber kaum wo wird die eigene Evolution so zelebriert wie bei Netflix. Netflix erfindet das Fernsehen neu, weil es den Zuschauern beim Zuschauen zuschaut.

Außerdem produziert Netflix eigene Inhalte hyperlokal. Nur ein Beispiel dafür ist „3%“, die erste Originalserie aus Brasilien, gedreht in portugiesischer Sprache vom brasilianischen Regisseur Fernando Meirelles. Die Handlung erinnert an den Blockbuster „The Hunger Games“. In einer fernen, dystopischen Zukunft überleben nur drei Prozent der Bevölkerung ein drastisches Spiel auf Leben und Tod. Die Ausstrahlung begann in Brasilien, inzwischen schauten „Millionen“ internationale Zuschauer die Serie mit englischen Untertiteln, so Netflix-Inhalte-Chef Ted Sarandos. „Die Inhalte reisen um die Welt.“

Die Firma investiert in Qualität. Sechs Milliarden Dollar sollen allein 2017 in die eigenen Original-Serien fließen. Das zahlt sich aus. „The Crown“, ein Drama über das britische Königshaus, gewann einen Golden Globe Award und erfreut sich laut Unternehmensangaben bei den Nutzern besonderer Beliebtheit.

Dazu gehört auch, bestehende Formate neu zu erfinden. Das für 2017 angestrebte Ziel von 1000 Stunden originalem Inhalt sei allenfalls „konservativ“, so Finanzchef David Wells. Zu den selbst produzierten Inhalten gehört das Gefängnisdrama „Orange Is the New Black“, Polit-Thriller „House of Cards“ oder „Stranger Things“, eine Science-Fiction-Serie. „Unsere Nutzer wissen, dass wir bereits existierende TV-Formate nehmen und verbessern“, sagt Netflix-Inhalte-Chef Ted Sarandos. Er hat die Rechte am für den Emmy nominierten Talk-Format „Comedians in a Car Getting Coffee“ mit US-Komiker Jerry Seinfeld eingekauft.

Wie lange Netflix seine Position halten kann, wird davon abhängen, wie solide die Reichweite weiterwächst - und mit ihr Gewinn und Umsatz; zweites blieb vergangenes Quartal mit 2,48 Milliarden Dollar innerhalb der Wall-Street-Erwartungen. Rivale Amazon hat erst im Dezember angekündigt, den Streaming-Dienst Prime in 200 Länder zu expandieren.

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