Studien von Unternehmen Lobbyarbeit oder Wissenschaft?

Ob Glück oder Ängste: Immer neue Studien sollen Aufschluss geben über die Befindlichkeiten der Menschen in Deutschland. Unternehmen lassen sich die Untersuchungen einiges kosten - nicht ganz ohne Eigennutz.

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Seit 2011 beschäftigt sich die Deutsche Post mit dem Glück der Gesellschaft. Quelle: dpa

Berlin Die Deutschen fürchten sich vor Terror, sind aber auch zufriedener als noch vor einigen Jahren: Studien wie „Die Ängste der Deutschen“ der R+V Versicherung oder der „Glücksatlas“ der Post und viele andere sollen Jahr für Jahr neue Erkenntnisse über die Befindlichkeiten der Menschen liefern. Viele finden medial ein großes Echo. Die Umfragen, meist erstellt von renommierten Forschungsinstituten, kosten mitunter fünfstellige Summen und werden aufwendig präsentiert. Warum betreiben Unternehmen diesen Aufwand?

Aus Sicht des Werbe-Experten Jörg Forthmann geht es vor allem darum, Kompetenz, Seriosität und Sympathie zu vermitteln und indirekt auch zu werben. „Wenn ich ein Produkt habe, das ich aufregend in Szene setzen kann, brauche ich keine Studie“, sagt Forthmann. Für Unternehmen mit komplexeren und abstrakteren Produkten wie Geldanlagen oder Versicherungen, die sich nicht mit einem Bild oder kurzen Spot erklären ließen, sei eine Studie schon eher das Mittel der Wahl, „um das Thema auszukleiden“.

Auch der Dortmunder Statistik-Professor Walter Krämer, der jeden Monat eine „Unstatistik des Monats“ unter die Lupe nennt, geht davon aus, dass Firmen Studien veröffentlichen, „damit sie mal positiv in die Medien kommen“. „Ich hoffe aber nicht, dass sie auf den Ausgang der Untersuchungen Einfluss nehmen. Sie wollen nur mit der Studie zusammen genannt werden, als Kultursponsoren sozusagen“, sagt der Forscher.

Die R+V hat 1992 ihre erste „Angststudie“ veröffentlicht. „Wir haben überlegt, wie wir das Thema Sicherheit einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen können - und eine Studie ist ein gutes Mittel, um Informationen verständlich darzustellen“, erläutert Sprecherin Rita Jakli. Die Begriffe „Angst“ und „Sicherheit“ lägen ja sehr dicht beieinander. Inzwischen sei die Studie ein Seismograph für die Befindlichkeiten der Bürger, so die Unternehmenssprecherin.

Dass sich die Deutsche Post seit 2011 mit dem Glück der Deutschen beschäftigt, erklärt Post-Sprecher Alexander Edenhofer mit dem Selbstverständnis des Konzerns. Dazu gehöre es, „Beiträge zu wichtigen gesellschaftlichen Themenstellungen zu leisten“. Außerdem verbinde die Post über ihre Brief- und Paketzusteller Menschen und übermittle ihnen damit ein Gefühl der Zufriedenheit.

Eine der wohl ältesten von Unternehmen finanzierten Studien ist die Shell-Jugendstudie. Die erste kam bereits 1952 heraus. Nach dem Ende des Nationalsozialismus hätten Informationen über die Meinungen und Einstellung der jungen Generation gefehlt - „für Shell war das der Anlass, eine erste groß angelegte wissenschaftliche Jugendstudie in Auftrag zu geben“, sagt Sprecher Axel Pommeränke. Das Unternehmen beschränke sich auf die Finanzierung. „Inhaltlich nehmen wir keinen Einfluss auf die Studie“, beteuert der Sprecher.


„Es gibt nichts Vergleichbares“

Der Verein Lobbycontrol hat sich mit Studien beschäftigt, mit denen Unternehmen auch ein spezifisches Eigeninteresse verbinden. So habe beispielsweise ein Ölkonzern eine Studie zu Bürgerprotesten in Auftrag gegeben, von denen er selbst betroffen war, erläutert Christina Deckwirth. Hier sei zu befürchten, dass mit dem Eigeninteresse des Auftraggebers die Unabhängigkeit der Wissenschaft gefährdet sei. „Das halten wir für eine sehr problematische Verwischung der Grenzen zwischen Lobbyarbeit und Wissenschaft.“

PR-Experte Forthmann sagt aber: „Es ist falsch, Studien pauschal zu verurteilen.“ Oft leuchteten sie Themenfelder aus, über die man sonst keine Klarheit hätte. Die Shell-Jugendstudie zeige zum Beispiel, wie sich die Einstellungen und Werte der Jugend in den vergangenen Jahrzehnten verändert hätten. „Da gibt es eigentlich nichts Vergleichbares“, sagt Forthmann.

Genutzt wird diese Studie von vielen Wissenschaftlern und Verbänden und auch in der Politik. „Die vergangenen Ausgaben der Studie wurden von den jeweiligen Bundesministerinnen für Jugend und Familie bei einer Pressekonferenz vorgestellt, ihre Ergebnisse waren Gegenstand von Plenarsitzungen des Deutschen Bundestages“, betont Shell-Sprecher Pommeränke.

Auch für den Statistiker Krämer sind die Untersuchungen, die Hochschulen allein gar nicht finanzieren könnten, mitunter sehr nützlich. Für eines seiner Bücher habe er beispielsweise die „Angststudie“ der R+V genutzt. „Viele Studien sind seriös gemacht“, findet er.

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