Tobit Software Mach mich zur App

Ein IT-Haus im Münsterland verwandelt Facebook-Fanseiten kostenlos in Apps für Smartphones. Eine neue Ära für Kleinunternehmen und Selbstständige im mobilen Internet?

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Der Appetitmacher: Tobit-Chef Groten will 100.000 Apps in zwei Jahren schaffen. Quelle: Dominik Asbach für WirtschaftsWoche

Tobias Groten ist der Typ Gründer, dem es schnell langweilig wird. Eigentlich verdient er sein Geld mit Kommunikationssoftware für Unternehmen. Das Geschäft läuft seit 27 Jahren, und es läuft offenbar gut, bedeutet der Chef von Tobit, einer IT-Schmiede mit 250 Beschäftigten in Ahaus an der niederländische Grenze.

Doch offenkundig reicht das dem 47-jährigen Münsterländern nicht. Erst baute er auf dem Firmengelände am Ortseingang von Ahaus den Prototypen eines vernetzten Hauses, um dort die neuesten High-Tech-Ideen auszuprobieren. Dann ließ er einen Mini-Flughafentower samt Hangar errichten, um darin einen Flugsimulator zu installieren. Noch heute erinnert daran der Hubschrauber auf dem Dach des Gebäudes, in dem Groten inzwischen eine Bar mit Beach Club für die Landjugend betreibt.

Deutschlands beliebteste Apps und Websites
Platz 10: Ebay und Wetter.deWelche Dienste nutzen die Deutschen im mobilen Web? Bei den Apps auf Smartphones liegt laut Comscore die Online-Auktionsseite Ebay auf Platz 10. Bei den per Browser genutzten Diensten schafft es die Wetter-Auskunft Wetter.de auf den zehnten Platz. Laut den Daten der Internet-Marktforschungsfirma nutzen 3,3 Prozent der deutschen Handy-Besitzer die Ebay-App, 4,5 Prozent besuchen die Website von Wetter.de. Befragt wurden Handybesitzer ab 13 Jahren. Quelle: dpa
Mann hält ein Nokia Lumia vor die Kamera Quelle: rtr
Platz 8: Wetter.com und YahooAuf dem achten Platz folgen die Web-Dienste von Yahoo (4,8 Prozent) und die App von Wetter.com. 4,3 Prozent der deutschen Handybesitzer informieren sich laut Comscore per Wetter.com-App über die Wetteraussichten. Quelle: dapd
Platz 7: GMX und Bild.deAuf dem siebten Platz bei den Apps landet der deutsche Mail-Dienst GMX mit 4,5 Prozent der Handybesitzer. 5,2 Prozent nutzen die mobile Website der Bild-Zeitung. Quelle: Screenshot
Platz 6: Amazon und Microsoft-DiensteDer Online-Händler Amazon schafft es bei den deutschen Handy-Nutzern auf Platz sechs. 5,8 Prozent der Handybesitzer ab 13 Jahren nutzen die mobile Website. Bei den Apps landen die Microsoft-Dienste MSN, Windows Live und Bing auf Platz sechs. 4,6 Prozent der deutschen Handybesitzer nutzen die Microsoft-Apps. Quelle: dpa
Startseite der Internetplattform youtube Quelle: AP
Platz 4: Ebay und YahooWieder Ebay: Die mobile Website des Online-Auktionshauses ist noch populärer als die App. 7,4 Prozent der deutschen Handybenutzer surfen die Website an, das reicht für den vierten Platz. Bei den Apps landen die Dienste von Yahoo auf Platz vier, die 6,4 Prozent der deutschen Handybesitzer nutzen. Quelle: dpa

Waren solche Projekte bisher eher Spielereien, hat Groten nun viel Größeres vor, das die Welt auch außerhalb der 40.000-Einwohner-Gemeinde im Westmünsterland verändern soll. Der Mittelständler plant den Einstieg ins Geschäft mit den Apps für Smartphones und will nicht weniger als jedermann zu einer App verhelfen.

„Bisher kostet eine App den Auftraggeber einen fünfstelligen Betrag“, sagt Groten. Denn jede App ist ein besonderes Computerprogramm, das aufwendig von Agenturen oder Softwarehäusern programmiert werden muss. Das können sich viele kleine Unternehmen oder Gewerbetreibende nicht leisten, weswegen sich viele mit einen Eintrag auf Facebook oder einem anderen sozialen Netzwerk zufrieden geben, um Kontakt zu Kunden und Geschäftspartnern zu halten.

So wichtig wie eine Homepage

Um dies zu ändern, hat Groten eine Software namens Chayns entwickelt, die allen Finanzschwachen in der Social-Media-Welt zunächst kostenlos zur eigenen App verhelfen soll. „In dem jetzt beginnenden mobilen Zeitalter ist eine App irgendwann genauso wichtig wie heute eine Unternehmens-Homepage“, wirbt Groten für seine Idee.

Die neue Software des Münsterländers macht die individuelle App-Programmierung überflüssig. Stattdessen verwandelt Chayns mit wenigen Mausklicks eine Facebook-Fanseite in eine Smartphone-App – und zwar für alle vier großen Mobilplattformen Apple, Android, Windows Phone sowie Blackberry gleichzeitig. Dadurch erscheint jedes Posting auf der Facebook-Fanseite eines Unternehmens, Gewerbetreibenden oder Selbstständigen, ob Fotos, Videos oder Links zu Webseiten, automatisch auch auf der App.

Millionenmarkt Smartphone Apps (zum Vergrößern bitte anklicken)

Dank Chayns kann fortan jedermann mit einer Fanseite, vom Friseur über den Restaurantbesitzer bis zum Arzt und Sportverein, seine eine eigene App bauen. Er muss dazu nur Chayns über die Tobit-Homepage installieren, ein Logo sowie einen möglichst kurzen Namen für die App auswählen – alles weitere inklusive der Anmeldung der Apps in den vier Stores übernimmt die Software.

Der Vorteil für die neuen App-Besitzer liegt im ersten Schritt darin, dass sie auf diese Weise einen direkten Draht zu ihren Kunden, Patienten, Mandanten oder Mitgliedern aufbauen können, ohne dass diese dazu über Facebook oder ein anderes Netzwerk gehen müssen. Die App auf dem Display erspart den Nutzern, also den Fans, unnötiges Suchen, Antippen und Scrollen - nach dem Motto: Wisch und schon da.

Superlativen

Welche IT-Unternehmen am schnellsten wachsen
Platz 10: ShutterflyGanz unscheinbar kommt dieses Angebot daher, das immer mehr Kunden für sich begeistern kann. Um nichts weiter als Fotos geht es auf der Plattform Shutterfly. Hier können Nutzer ihre Fotos teilen, ausdrucken oder einfach speichern. Auch das Bearbeiten der Bilder ist über ein eingebautes Tool möglich. Und natürlich lassen sich auch Tassen, Fotobücher und Co. über die Plattform bestellen. Quelle: Screenshot
Platz 9: Cognizant Technology SolutionsDas Gesamtpaket zur Datenanalyse für verschiedene Industriebereiche bietet das Unternehmen aus New Jersey an. Außerdem ist es in diesem Bereich als Berater unterwegs. Wichtigster Standort ist allerdings nicht New Jersey, sondern Chennai in Indien, wo insgesamt 137.000 Angestellte arbeiten. Seit März 2008 kooperiert das Unternehmen mit der Telekom-Sparte T-Systems. Geplant ist eine gemeinsame globale Service-Offensive für Systemintegration. Quelle: Screenshot
Platz 8: Riverbed TechnologyRiverbed Technologies ist auf Netzwerklösungen für weite geographisch Flächen, sogenannte WAN-Systeme, spezialisiert. Außerdem bietet das Unternehmen private Datenzentren an - cloudbasiert. Dabei verspricht das Unternehmen einen besonders schnellen Datenverkehr. Quelle: Screenshot
Platz 7: Aruba NetworksDas Unternehmen verbindet Menschen virtuell - mit Hilfe kabelloser Netzwerke sogar kilometerweit. Mit der Technik lässt sich zum Beispiel ein Campus oder ein großes Industriegelände mit kabellosem Highspeed-Internet ausstatten. Quelle: Presse
Platz 6: EbixOn-Demand und E-Commerce - das sind die Felder auf denen sich Dienstleistungen von Ebix international profiliert haben. Das Unternehmen bietet vor allem Software für die Versicherungsbranche an und führt mehr als 30 Büros in den USA, Australien, Singapur, Neuseeland, Kanada, China, Japan und Indien. Quelle: Screenshot
Platz 5: EquinixDas Unternehmen bringt alle Beteiligten eines Geschäftsvorganges zusammen: Die Idee, die Partner und die Kunden - und das weltweit. Equinix hat bereits 4000 Unternehmen aus den Bereichen Cloud, Digitale Inhalte und Finanzen zusammengeführt. Quelle: Screenshot
Platz 4: AthenahealthDem Unternehmen ist die Schnittstelle zwischen der Administration mehrerer Kliniken und der Arbeit der Mediziner gelungen - alles cloudbasiert. Die Firma bietet ein Programm an, über das eine Art elektronisches Krankenblatt der Patienten erstellt werden kann. Die Erkenntnisse aus jedem Patientenvorgang werden so in einer gemeinsamen Datenbank abgelegt. Durch geschickte Analyse können so Krankheitsfälle schneller bearbeitet und Diagnosen genauer getroffen werden. Quelle: Presse

„Der Ansatz von Tobit, mittels Facebook eine App zu bauen, klingt vielversprechend“, sagt Nicole Dufft, Senior-Analystin mit Fokus auf das Mobilgeschäft beim Marktbeobachter PAC in Berlin.

Geld verdienen will Groten weniger mit Chayns, sondern viel mehr mit Zusatzfunktionen in der App, die Tobit in einem eigenen Online-Store anbietet. So kann beispielsweise ein Restaurantbetreiber seine App mit wenigen Klicks um ein mobiles Tisch-Reservierungs-Modul erweitern oder ein Kino den Ticket-Verkauf per App anbieten. Für solche Erweiterungen verlangt Tobit bis zu 8,50 Euro im Monat.

Groten gibt sich jedenfalls kämpferisch. „Unser Ziel ist, dass innerhalb von 24 Monaten 100.000 Firmen und Vereine mit Hilfe von Chayn eine eigene App auf den Markt bringen“, sagt Groten. Geht seine Rechnung auf, würde Tobit einen Rekord aufstellen und binnen zweier Jahre indirekt zum größten App-Hersteller der Welt aufsteigen.

Groten schweigt zu seinen Geschäftszahlen. Den Hauptumsatz macht Tobit mit mit David, einem Softwarepaket für die integrierte Telefon-, E-Mail-, Fax- und SMS-Kommunikation in Unternehmens. Laut Bundesanzeiger setzte Tobit 2011 knapp 16 Millionen Euro um und erzielte einen Nettogewinn von fast zwei Millionen Euro.

Der Endvierziger scheint zu spüren, dass Chayns sein größter Coup werden könnte. Sein Büro im Tobit-Hauptgebäude direkt gegenüber dem firmeneigenen Beach Club ist seine Steuerzentrale. Die äußere Glas- und Aluminiumverkleidung gibt dem Unterfangen die passende futuristische Aussehen Fassade. An der Wand in Grotens Büro hängt ein riesiger Flachbildmonitor mit 2,5 Meter Diagonale, der eine Deutschland-Karte zeigt, auf der die neuesten Zahlen für seine Apps auflaufen.

Und es sind Superlativen. In der vergangenen Woche, nur gut acht Wochen nach der Freigabe der Software Anfang Oktober, hat Tobit die Marke von 10.000 Apps überschritten, die mit Hilfe von Chayns erzeugt und in den App-Stores der Konzerne Apple, Google (Android), Microsoft (Windows Phone) sowie Blackberry angemeldet wurden. In der Spitze kommen inzwischen 250 App-Anmeldungen am Tag hinzu.

Zwar spüren das Apple und Google mit den jeweils rund eine Million Apps in ihren Stores noch nicht. Doch für Microsoft und Blackberry, die jeder nur knapp 200.000 Apps im Angebot haben, ist die Vermehrung der Miniprogramme made by Tobit durchaus bemerkenswert.

Groten ist zuversichtlich, mit seinen Apps in gigantische Größenordnungen vorstoßen zu können. In Jeans und Sneaker sitzt er vor seinem Flachbildschirm und erläutert das Potenzial für seine Erfindung. Allein in Deutschland gibt es aktuell rund 750.000 Facebook-Fanseiten. Die großen Marken darunter wie VW oder Adidas, die bereits eine eigene App haben, seien jedoch in der Minderheit. Der ganz große Rest stehe jedoch ohne da.

Digitale Werbemittel

Den großen Run auf Chayns verspricht sich Groten von einer besonderen Fähigkeit seiner Umwandlungssoftware. Bisherige, individuell programmierte Smartphone-Anwendungen leiden darunter, dass sie bei jeder Änderung des mobilen Betriebssystems angepasst werden müssen. Für die Betreiber der Apps ist das ein enormer Aufwand, vor allem wenn sie eine App für alle vier Plattformen Apple, Android, Windows Phone und Blackberry im Programm haben. Diese Anpassungen entfielen bei Tobit, verspricht Groten. Chayns sei eine Art Standardsoftware: „Notwenige Änderungen programmieren wir, somit sind alle Apps automatisch auf dem neuesten Stand.“

Einzige Voraussetzung, die der Betreiber einer Facebook-Fanseite zu erfüllen hat, um mit Hilfe von Chayns eine eigene App generieren zu können: Er muss mindestens 100 „gefällt mir“-Buttons auf der Facebook-Seite sowie jeweils drei veröffentlichte Bilder und Statusmeldungen vorweisen können. Mit solchen Vorgaben will Groten deine Inflationierung der Apps verhindern, „damit nicht jeder eine Spaß-App baut“.

Werbemittel für Heineken

Groten ist nicht darauf angewiesen, schnell viel Geld mit seiner App-Maschine zu verdienen. Als Hauptanteilseigner – er hält laut Handelsregisterauszug knapp 83 Prozent der Firmenanteile – hat er keine Aktionäre im Nacken, die ständig nach neuen Erlösquellen und mehr Einnahmen verlangen. „Es begeistert mich, Dinge zu machen, die noch nicht da waren“, sagt Groten entspannt.

So kann sich der Tobit-Chef leisten, statt auf Einnahmen zunächst massiv auf Reichweite zu setzen, also auf eine möglichst hohe Zahl verschiedener Apps, die per Chayns erzeugt werden. Um zum Erfolg zu kommen, schaltet Groten gezielt auch namhafte Unternehmen wie den niederländischen Bierbrauer Heineken oder den französischen ein, um Chayns unter die Leute zu bringen.

Das funktioniert so: Groten verkaufte Heineken unlängst für einen fünfstelligen Betrag Lizenzen einer Version von Chains, in die eine Art trojanisches Pferd einprogrammiert hat. Heineken verschenkt nun Lizenzen dieser Chayns-Version schick verpackt an Clubs und DJs. Basteln die daraus ihre App, erscheint in dieser das Heineken-Logo. Ebenso kann Heineken auf diesen Apps zum Beispiel Werbebotschaften oder Gewinnspiele schalten. Wenn in kurzer Zeit 1.500 Clubs und DJs eine eigene App bauen und jede dieser Apps 50 Smartphone-Nutzer findet, erreicht Heineken auf einen Schlag 75.000 Leute. „Diese Apps sind für Heinken also eine Art digitales Werbemittel“, sagt Groten.

Ähnliche Partnerschaften ist Tobit mit L’Oreal und Schalke 04 eingegangen. Anders als Heineken zahlt L’Oreal pro installierter App, nach Angaben von Groten einen hohen zweistelligen Betrag.

Auch die Internationalisierung hat der Tobit-Chef bereits im Blick. In den nächsten Wochen erscheint eine englische und eine niederländische Version von Chayns. „Damit“, sagt Groten, „ fahren wir das Tempo weiter hoch.“

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