Twitter stagniert Der Zwitscher-Dienst braucht den Richtungswechsel

Seit Tagen tobt ein Kulturkampf im Netz. Nutzer kritisieren die Methoden, mit denen Twitter das Wachstum ankurbeln will. Doch die aktuellen Zahlen zeigen: Es besteht Handlungsbedarf – dringend.

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Das Netzwerk gewinnt keine neuen Nutzer mehr. Quelle: Reuters

San Francisco Wer solche Follower hat, braucht keine Feinde mehr. Seit Twitter ankündigte, Nutzern Tweets künftig nicht länger chronologisch, sondern nach Wichtigkeit geordnet zu präsentieren, tobt eine Art Kulturkampf.

Unter dem Hashtag #RIPTwitter protestieren Alt-Twitterer gegen die Neuerung, mit der Unternehmenschef Jack Dorsey Neu-Twitterer von sich begeistern will. Die sonst jeder Innovation zugewandte Community zeigt sich geradezu konservativ.

Dorsey will den Dienst übersichtlicher machen und den Einstieg für neue Nutzer erleichtern, denen Twitter bisher zu kompliziert ist. Doch die alten Fans zeigen für den radikalen Rettungsansatz kein Verständnis. Twitter riskiere seinen Charme zu verlieren, wettern sie oder schreien „Zensur“.

Twitters erneut schwache Zahlen zeigen deutlich, dass die Neuordnung nötig ist. Das Netzwerk wächst überhaupt nicht mehr. Die Reichweite stagniert bei 320 Millionen aktiven Nutzern. Der Umsatz stieg zwar um 48 Prozent auf 710,5 Millionen Dollar, doch die Verluste lagen mit 90,2 Millionen Dollar, nach 125,4 Millionen im Vorjahr, immer noch sehr hoch.

Dorsey steckt damit in einer schwierigen Lage: Einerseits muss er angesichts der enttäuschenden Zahlen eine neue Richtung einschlagen, andererseits stößt er mit dem neuen Algorithmus bei den bisherigen Nutzern auf Widerstand.

Es steht schlecht um die Firma aus San Francisco. Was die so wichtigen Werbeeinnahmen angeht, liegt sie abgeschlagen hinter der Konkurrenz. Facebook bewegt sich inzwischen quasi in einer anderen Galaxie, und selbst das vier Jahre jüngere Instagram hat mittlerweile mehr Nutzer.


Twitter soll intuitiver werden

Die Stimmung in der Twitter-Zentrale 1355 Market Street ist angespannt, in den vergangenen Wochen verlor die Firma fast die Hälfte der Führungskräfte. Der Preis der Aktie hat sich in den letzten sechs Monaten halbiert. Das alles ist so blamabel, dass Dorsey die Ergebnisse im traditionellen Investoren-Gespräch schon überhaupt nicht mehr erwähnt.

Lieber versucht er, optimistisch in die Zukunft zu blicken. „Wir wollen uns auf das konzentrieren, was Twitter am besten kann: live dabei zu sein“, sagt der Chef. „Wir wollen die wichtigste Plattform für alles werden, was gerade auf der Welt passiert.“ Die Kommunikation rund um kommende Ereignisse wie die Olympischen Spiele oder die US-Wahlen will Twitter ausbauen. „Wir wollen den Menschen die Möglichkeit geben, das noch unmittelbarer zu erleben. Twitter ist mächtig, ist öffentlich und verbreitet die Nachricht 15 Minuten vor allen anderen Diensten. Darauf wollen wir uns konzentrieren.”

Dorsey geht auch auf die kritisierte Neuerung ein. Damit soll der Dienst für seine Nutzer „intuitiver” werden. Erste Tests des neuen Algorithmus, eine Weiterentwicklung der bereits vorhandenen Features „Während Du weg warst …”, seien bereits vielversprechend, hätten „die Nutzung in jeder Beziehung befeuert” und „die Erfahrung bei Twitter massiv verbessert”, zum Beispiel die Zahl der Retweets erhöht.

Weitere Investments in Richtung Nutzerbindung plant die Firma beim Video-Dienst Periscope. Twitter setze eben nicht auf „kurzfristige Aktivitäten”, ergänzt Manager Omid Kordestani, der erst im Oktober von Google zu Twitter gewechselt war. „Wir wollen langfristigen Erfolg.” All das geht in die richtige Richtung. Doch trotz der Nutzer-Kritik muss Twitter neue Wege gehen. Sonst läuft die Firma Gefahr, in Schönheit zu sterben.

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