Videospielmesse E3 in Los Angeles Ego-Shooter treffen auf die Trauer von Orlando

Unglücklicher hätte die Gamingmesse E3 kaum starten können. Die digitale Unterhaltungsindustrie sucht zwischen echten Massakern und virtueller Realität die neue Zukunft. Zwei neue Super-Spielekonsolen sollen sie sichern.

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Videospiele in einer kompletten virtuellen Realität sollen die Konsolenbranche retten. Quelle: AFP

San Francisco Lautlos gleitet die mächtige USS Aegis durch die unendlichen Weiten des Weltraums. Auf der Kommandobrücke des Sternenkreuzers herrscht gespannte Aufmerksamkeit. In jedem Moment ist mit Feindberührung zu rechnen. Jeder kennt die Handgriffe im Schlaf, die es auszuführen gilt, wenn der Commander das Signal gibt.

Die Kommandobrücke ist in Wirklichkeit ein Kommandosofa und es gleitet nicht durchs Weltall, sondern steht auf der Bühne des historischen Orpheum-Kinos in Downtown Los Angeles. Die Star-Trek-Krieger haben große Brillen von Oculus mit Bildschirmen statt Gläsern auf, die sie in eine virtuelle, dreidimensionale Welt entführen.

„Star Trek: Bridge Crew“ von der französischen Spieleschmiede Ubisoft ist das erste Blockbuster-Videospiel das ausschließlich für die virtuelle Realität konzipiert wurde. Es wird im Herbst 2016 auf den Markt kommen und mit Oculus Rift von Facebook, Vive von HTC und Sonys VR-Brille funktionieren, letztere wird ab Oktober für 399 Dollar erhältlich sein wird.

Im Hintergrund werden dann superstarke Windows-Rechner laufen oder Sonys Playstation 4. Apple Computer und Microsofts XboxOne Konsole bleiben außen vor. Doch während es für Apple noch keine Pläne gibt, will Microsoft so schnell wie möglich aufholen. „Projekt Scorpio“ heißt die superstarke Konsole mit besonders schneller Grafik, die am Montag angekündigt wurde und Ende 2017 auf den Markt kommen soll. Sony plant eine PS4 Neo, ebenfalls dramatisch stärker motorisiert als die heutige PS4, um ein atemberaubendes VR-Erlebnis zu garantieren.

Die E3 hat wieder begonnen, die jährliche Leistungsshow der Interaktiven Unterhaltungsindustrie, und zwei Dinge beherrschten die Auftaktveranstaltungen in Los Angeles. Die tragischen Ereignisse vom Wochenende in Florida, wo in einem von Homosexuellen bevorzugten Nachtclub 49 Menschen von einem Massenmörder getötet wurden – und die virtuelle Realität.

Die erstere Katastrophe führte zu der morbiden Situation, dass fast alle Veranstaltungen mit Beileids- und Verbundenheitsbotschaften mit den Opfern begannen, um nahtlos anschließend Ego-Shooter-Spiele mit höchster Detailtreue zu zeigen, die beweisen, wie toll es sein kann, ein Massenmörder zu sein.

Natürlich wird immer für eine gute Sache gemeuchelt, oft sind es Zombies oder Aliens statt Menschen, die endlos verenden, aber das muss nicht sein. Aus der Vor-Donald-Trump-Ära erscheint der Trailer zum neuen Shooter „Tom Clancey’s Ghost Recon – Wildlands“ entsprungen. Spiel und Grafik sind anspruchsvoll, die Handlung simpel: Ein mexikanisches Drogenkartell hat ganz Bolivien und die Kokain-Produktion übernommen. Der Held mit einer Truppe tapferer Mitstreiter fällt per Hubschrauber in das Land ein und danach sterben Mexikaner im Sekundentakt wie die Fliegen.

Ubisoft hatte auch noch das Pech, dass die große und bunte Auftaktnummer der Show ausgerechnet mit der Hymne der Schwulenbewegung „Don’t stop me now“ von Freddie Mercury und den Queen unterlegt war. Zumindest bei den über 30-Jährigen hinterließ das einen schalen Nachgeschmack. Doch Ubisoft, das dieses Jahr den 30. Geburtstag feiert, war es auch, die mit „Steep“, der wohl ultimativen Ski- und Snowboard-Simulation, einen neuen Höhepunkt gesetzt hat, was Spielspaß und Freude am Wettbewerb angeht.


Die neuen Mega-Konsolen

Es ist eine neue Realität, in der sich die Industrie zurechtfinden muss, die sich bereits in der Stagnation befindet. Laut der Marktforscher von NPD Group gaben 2015 die Konsumenten in den USA insgesamt 13,13 Milliarden Dollar für Konsolen-Hardware, Software und Zubehör aus, so viel wie im Vorjahr. Die Gewinne beim Zubehör wurden aber durch Verluste bei der Hardware in Höhe von vier Prozent wieder aufgezehrt.

Microsoft und Sony wollen mit neuen Spielekonsolen das Ruder wieder herumreißen und stellten nicht nur neue Spiele vor, sondern bereiteten die Industrie und die Spieler schon wieder auf neue Konsolen vor. Ein revolutionärer Schritt. Der traditionelle Zyklus zwischen zwei Generationen von Spielekonsolen beträgt zehn Jahre. Diese Sicherheit der Hardware dient Softwareentwicklern als Anreiz, Millionen von Dollar teure Spiele in der Gewissheit zu entwickeln, dass sie über viele Jahre hinweg verkauft werden können.

Doch die XboxOne von Microsoft und die PS4 von Sony sind erst seit 2013 auf dem Markt. Nun werden sie voraussichtlich Ende 2017, also nach nur vier Jahren, durch „Projekt Scorpio“ und die PS 4 Neo „ergänzt“. So proklamieren es jedenfalls die Hersteller. Alle Spiele für alte Konsolen werden auf den neuen laufen und umgekehrt, beteuern sie. Doch der Unmut bei Programmierern und Spielern ist mit der Hand zu greifen. Die neuen, hyper-realistischen Spiele mit den Möglichkeiten der virtuellen Realität werden eben nicht so toll auf den leistungsschwachen Vorgängern funktionieren, die in dem Glauben gekauft wurden, sie bleiben für ein Jahrzehnt State of the Art.

Doch der Markt erzwingt die schnelle Weiterentwicklung der Technik. Virtuelle Realität ist „The next big thing“ für die digitale Unterhaltungsindustrie, die durch den Vormarsch von billigen Smartphone-Spielen und „Free to Play“-Angeboten schwer unter Druck geraten ist. Aber bei der rechenintensiven Anwendungen mit virtueller Realität hat die schwachbrüstige mobile Konkurrenz nichts zu melden. Sony verspricht 50 VR-Spiele bis zum Jahresende auf dem Markt haben, die gerade noch mit der Leistung der alten Konsole PS4 auskommen werden. Das könnte viele der rund 40 Millionen PS-4-Besitzer weltweit dazu bewegen, eine der 400-Dollar teuren Brillen zu kaufen.

Was sich 2016 anbahnt, ist nicht weniger als ein kompletter Bruch mit der Art und Weise, wie mit Spielekonsolen Geld verdient wurde. Am Anfang subventionierter Verkauf der Hardware, um über zehn Jahre oder mehr mit Software und zunehmend auch Online-Angeboten das Geld zu verdienen. Wird die virtuelle Realität zum Erfolg, den sich die Branche erhofft, wird sicher wieder in vier Jahren die nächste Version fällig werden – noch schneller, noch stärker.

Die Frage ist nur, ob die Kunden das mitmachen werden. Smartphonehersteller wie Apple haben es geschafft, ihren Kunden einen Zweijahres-Rhythmus einzureden, in dem sie ihre Geräte erneuern müssen. Ob Sony und Microsoft das ebenfalls schaffen werden, steht in den Sternen.

Ein mahnendes Beispiel gibt es aus der TV-Welt. 3D-Fernseher waren Anfang des Jahrzehnts aus Herstellersicht die Zukunftsrenner. Doch die Kunden kauften einfach nicht. Sie behielten ihre „alten“ Flachfernseher. Heute sind 3D-Fernseher mausetot.

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