VW-Dieselgate Volkswagen steckt im Wirtschaftskrieg

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Dominanz weckt Begehrlichkeit

Im Ergebnis musste Volkswagen eine international anerkannte Spitzenkraft und deren Team fallen lassen, hundert Millionen Dollar als Vergleich zahlen und zudem Zulieferteile in Milliardenhöhe bei General Motors beziehen. General Motors hatte den Höhenflug des deutschen Konzerns erfolgreich für mehr als ein Jahrzehnt zurückgeworfen.

Das sind die Sündenböcke in der Abgas-Affäre
Martin WinterkornDer erste, der in der Abgas-Affäre den Hut ging, war der Chef selbst: Der Vorstandsvorsitzende Martin Winterkorn übernahm am Mittwoch die Verantwortung für den Skandal und trat zurück. Sein Rücktritt geschehe "im Interesse des Unternehmens, obwohl ich mir keines Fehlverhaltens bewusst bin", sagte Winterkorn in seiner Rücktrittserklärung. Nach seinem Rücktritt als VW-Konzernchef neigt sich für Martin Winterkorn wohl auch seine Zeit als Vorsitzender der Dachgesellschaft Porsche SE dem Ende entgegen. Quelle: REUTERS
Ulrich HackenbergMit Hackenberg muss einer der Chefentwickler des VW-Konzerns seinen Hut nehmen. Der 65-Järhige besetzte über den gesamten Zeitraum über den sich die Manipulationen erstreckten Schlüsselpositionen: Er war seit Juli 2013 bei Audi für den Bereich Entwicklung zuständig und bis 2007 bei VW. Zudem verantwortete er Technologieentwicklung übergreifend  für alle Marken im  Konzern. Quelle: dpa
Heinz-Jakob NeußerNach Hackenberg der zweite Chefentwickler im Konzern der gehen muss. Seit dem 1. Juli 2013 verantwortete Heinz-Jakob Neußer im Vorstand der Marke Volkswagen den Geschäftsbereich Entwicklung. Zuvor kümmerte er jahrelang sich um die Antriebsentwicklung bei Porsche. Quelle: REUTERS
Wolfgang HatzGehen wird auch Porsches Forschungs- und Entwicklungsvorstand Hatz. Das muss nichts mit Ungereimtheiten bei der prestigeträchtigen VW-Tochter zu tun haben. Der heute 56-Jährige verantwortete lange als oberster Motorenentwickler bei Volkswagen genau den Bereich, der jetzt für die Krise sorgt. Quelle: dpa
Michael HornMit dem Satz "Wir haben Mist gebaut" fasste Michael Horn die Krise anfangs noch etwas flapsig zusammen. Unklar, ob der Chef des US-Geschäfts da schon wusste, dass sie ihn den Job kosten wird. Weil die Affäre in den Vereinigten Staaten ihren Anfang nahm und die Manipulationen vor allem darauf zielten, die Motoren durch die strengeren Stickoxid-Kontrollen in den USA zu bringen, ist sein Aus nur konsequent. Quelle: REUTERS

Die heutige Situation ist vergleichbar. Volkswagen hat es zwischenzeitlich nicht nur geschafft, sich auf dem amerikanischen Markt als wichtiger Akteur zu positionieren, sondern hat es erreicht, weltweit zur Nr.1 nach Verkaufszahlen aufzusteigen. Diese Dominanz weckt Begehrlichkeiten, die wiederum das Risiko für den Konzern erhöhen. 

Die rechtliche Lage

Tatsächlich sind nach US-Recht mehrere Aspekte des Abgas-Skandals  strafrechtlich relevant. Zum einenkann die Manipulation der Software als betrügerische Handlung und eine eventuelle hausinterne Zusammenarbeit als Bildung einer verbrecherischen Organisation im Sinne des RICO-Acts gewertet werden. Dabei handelt es sich um ein US-Bundesgesetz zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität. Hinzu kommen evidente Verstöße gegen den Sarbanes-Oxley-Act, der im Jahre 2002 als Reaktion auf Bilanzskandale von Unternehmen wie Enron oder Worldcom verabschiedet wurde.  Verstöße gegen den Sarbanes-Oxley Act können sich für Volkswagen als fatal erweisen, da durch ihn das juristische Risiko im Falle einer Verurteilungim Vergleich zu 1996 nochmals dramatisch steigt.  Die Geschichte könnte sich daher hier wiederholen. Vor diesem Hintergrund kann und darf die deutsche Regierung Volkswagen nicht im Regen stehen lassen und muss Wolfsburg durch eine aktive, gestaltende Politik unterstützen.

Dessen ungeachtet geht die deutsche Debatte nach wie vor davon aus, dass die derzeitige Situation weitgehend national beherrschbar ist. Grundlage hierfür ist die Überlegung, dass Volkswagen durch vernünftiges Krisenmanagement, Kooperation mit den Ermittlungsbehörden, Aufklärung der Hintergründe und Entschädigung der Opfer in der Lage sein dürfte, den aktuellen Prozess zu managen und in die richtige Richtung zu steuern.

Das neue Who is Who im VW-Konzern
Stefan Knirsch Quelle: Audi
Hinrich Woebcken Quelle: dpa
Neuer Generalbevollmächtigter für die Aggregate-Entwicklung: Ulrich EichhornVolkswagen hat einen neuen Koordinator für die Aggregate-Entwicklung auf Konzernebene. Der WirtschaftsWoche bestätigte Ulrich Eichhorn, dass er im Frühjahr zu VW zurückkehrt. Der 54-Jährige kommt vom Verband der Deutschen Automobilindustrie (VDA), wo er die Verantwortung für die Bereiche Technik und Umwelt inne hatte. Zuvor war Eichhorn neun Jahre lang Entwicklungsvorstand bei der VW-Tochter Bentley. Eichhorn wird nicht Mitglied des Vorstands, sondern berichtet als Generalbevollmächtigter direkt an VW-Chef Matthias Müller – ähnlich wie der neue Chef-Stratege Thomas Sedran. Quelle: Presse
Der neue Generalbevollmächtigte für Außen- und Regierungsbeziehungen: Thomas StegEs ist kein Wechsel der Funktion, sondern der Zuordnung: Thomas Steg ist seit 2012 Generalbevollmächtigter des Volkswagen-Konzerns für Außen- und Regierungsbeziehungen. Bislang war dieser Bereich Bestandteil der Konzernkommunikation. Jetzt ist das Team um Steg als eigenständiger Bereich in das Ressort von VW-Chef Matthias Müller zugeordnet, an den Steg persönlich berichtet. Der diplomierte Sozialwissenschaftler wird zusätzlich das Thema Nachhaltigkeit verantworten. „Mit der Bündelung der Konzernzuständigkeiten und der neuen Zuordnung des Themas Nachhaltigkeit trägt Volkswagen dessen wachsendem Gewicht Rechnung“, teilte der Konzern mit. Steg begann seine berufliche Laufbahn 1986 als Redakteur der Braunschweiger Zeitung. Danach war er Pressesprecher zunächst des DGB Niedersachsen/Bremen, ab 1991 des Niedersächsischen Sozialministeriums und ab 1995 der SPD-Landtagsfraktion Niedersachsen. 1998 übernahm er im Bundeskanzleramt die stellvertretende Leitung des Büros von Bundeskanzler Gerhard Schröder, ab 2002 war er stellvertretender Regierungssprecher, ab 2009 selbstständiger Kommunikationsberater. Quelle: Presse
Der neue VW-Entwicklungsvorstand: Frank WelschKurz nach dem Bekanntwerden von Dieselgate wurde der Entwicklungsvorstand der Marke VW, Heinz-Jakob Neußer, beurlaubt. Bei der Aufsichtsratssitzung am 9. Dezember ernannte das Kontrollgremium Frank Welsch zu seinem Nachfolger. Der promovierte Maschinenbau-Ingenieur ist seit 1994 im Konzern. Über verschiedene Stationen in der Karosserie-Entwicklung, als Entwicklungsleiter in Shanghai und Leiter der Entwicklung Karosserie, Ausstattung und Sicherheit der Marke Volkswagen arbeitete er sich zum Entwicklungsvorstand von Skoda hoch. Diesen Posten hatte Welsch seit 2012 inne.Sein Vorgänger Neußer verlässt den Konzern allerdings nicht, sondern steht laut VW-Mitteilung "dem Unternehmen für eine andere Aufgabe zur Verfügung". Quelle: Volkswagen
Der neue VW-Beschaffungsvorstand: Ralf BrandstätterRalf Brandstätter wird Vorstand für Beschaffung der Marke Volkswagen. Der 47-Jährige folgt in seiner neuen Funktion auf Francisco Javier Garcia Sanz, der die Aufgabe als Markenvorstand in Personalunion zusätzlich zu seiner Funktion als Konzernvorstand für den Geschäftsbereich Beschaffung wahrgenommen hatte. In Zukunft wird Garcia Sanz zusätzlich zu seinen Aufgaben als Konzernvorstand Beschaffung die Aufarbeitung der Diesel-Thematik betreuen. Brandstätter kam 1993 in den Konzern. Seit dem ist der Wirtschaftsingenieur in verschiedensten Posten für die Beschaffung verantwortlich gewesen, zuletzt als Leiter Beschaffung neue Produktanläufe. Zwischenzeitlich war er auch Mitglied des Seat-Vorstands. Seit Oktober 2015 ist Brandstätter auch Generalbevollmächtigter der Volkswagen AG. Brandstätter berichtet wie der ebenfalls neu berufene Entwicklungschef Frank Welsch direkt an VW-Markenvorstand Herbert Diess. Quelle: Volkswagen
Neuer VW-Personalvorstand: Karlheinz BlessingMitten in der größten Krise der Konzerngeschichte bekommt Volkswagen mit dem Stahlmanager Karlheinz Blessing einen neuen Personalvorstand. Der Aufsichtsrat stimmte am 9. Dezember bei seiner Sitzung dem Vorschlag der Arbeitnehmerseite für den vakanten Spitzenposten bei Europas größtem Autobauer zu. Blessing folgt damit auf den bisherigen Personalvorstand Horst Neumann, dieser war Ende November in den Ruhestand gegangen. Der Ernennung war eine lange Suche nach einem geeigneten Kandidaten vorausgegangen. Blessing (58) ist seit 2011 Vorstandsvorsitzender der Stahlherstellers Dillinger Hütte. Zuvor war er Büroleiter des damaligen IG Metall-Vorsitzenden Franz Steinkühler und Anfang der 1990er Jahre Bundesgeschäftsführer der SPD. 1993 ersetzte er als Arbeitsdirektor bei der Dillinger Hütte Peter Hartz, der damals zu VW nach Wolfsburg ging. Blessing sei gut in der IG Metall vernetzt, habe aber auch unternehmerische Erfahrung, hieß es in den Konzernkreisen. Quelle: dpa

Betrachtet man die Situation hingegen aus der Sicht eines Wirtschaftskriegs, ändert sich das Bild schlagartig. Ohne ein radikales Umdenken in der Krisenkommunikation und ohne Ergreifen strategischern Maßnahmen im Rahmen des Krisenmanagements riskiert die Volkswagengruppe eine Perpetuierung der Angriffe und letztendlich einen deutlichen, dauerhaften Einbruch der Geschäftszahlen.

In diesem Falle könnte die Software-Affäre tatsächlich zu einer Krise für den ganzen deutschen Automobilsektor werden. Sollte es dazu kommen, wären die Gründe hierfür nicht systemisch und dem Makel am „Made in Germany“ geschuldet, sondern erklärten sich aus der mangelnden Verteidigungsbereitschaft und der Führungsschwäche der angegriffenen Industrie.

Wirtschaftskrieg passt nicht zur deutschen Industriekultur

Das Konzept des Wirtschaftskriegs passt traditionell nicht in das Selbstverständnis der deutschen Industrie. Das hat kulturelle wie auch historische Gründe.

Was bei der Rückruf-Aktion auf VW-Besitzer zukommen könnte

Die deutsche Industrialisierung hat zu einem Zeitpunkt begonnen, als ein nationaler Wirtschaftsraum, der Zollverein, noch in den Kinderschuhen steckte. Anders als in Frankreich, Großbritannien oder die USA hatte Deutschland im 19. Jahrhundert weder rohstoffreiche koloniale Besitzungen oder Territorien noch vor Konkurrenz geschützte Absatzmärkte für seine Produkte. Hinzu kommt, dass – anders als zum Beispiel bis heute in Frankreich - die deutsche Wirtschaft von Anfang an liberalisiert und nie ein regierungsgesteuertes Mittel der nationalen Politik war. Die Tatsache, dass Deutschland binnen 50 Jahren von einem zersplitterten Agrarstaat zu einer industriellen Weltmacht – zeitweise der größten Volkswirtschaft überhaupt – aufsteigen konnte, war nicht das Ergebnis einer Entwicklung im Glashaus sondern das Ergebnis einer gesunden Konkurrenz von nationalen Akteuren, die von einer auf Qualität und Innovation fixierten Unternehmerschicht geleitet wurden. Die hierbei entstandenen Produkte waren dann so hochwertig, dass es der deutschen Wirtschaft gelang, trotz aller Schranken und Barrieren in geschützte Märkte einzubrechen und die örtlichen Marktführer in Bedrängnis zu bringen.

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