Im Ergebnis musste Volkswagen eine international anerkannte Spitzenkraft und deren Team fallen lassen, hundert Millionen Dollar als Vergleich zahlen und zudem Zulieferteile in Milliardenhöhe bei General Motors beziehen. General Motors hatte den Höhenflug des deutschen Konzerns erfolgreich für mehr als ein Jahrzehnt zurückgeworfen.
Die heutige Situation ist vergleichbar. Volkswagen hat es zwischenzeitlich nicht nur geschafft, sich auf dem amerikanischen Markt als wichtiger Akteur zu positionieren, sondern hat es erreicht, weltweit zur Nr.1 nach Verkaufszahlen aufzusteigen. Diese Dominanz weckt Begehrlichkeiten, die wiederum das Risiko für den Konzern erhöhen.
Die rechtliche Lage
Tatsächlich sind nach US-Recht mehrere Aspekte des Abgas-Skandals strafrechtlich relevant. Zum einenkann die Manipulation der Software als betrügerische Handlung und eine eventuelle hausinterne Zusammenarbeit als Bildung einer verbrecherischen Organisation im Sinne des RICO-Acts gewertet werden. Dabei handelt es sich um ein US-Bundesgesetz zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität. Hinzu kommen evidente Verstöße gegen den Sarbanes-Oxley-Act, der im Jahre 2002 als Reaktion auf Bilanzskandale von Unternehmen wie Enron oder Worldcom verabschiedet wurde. Verstöße gegen den Sarbanes-Oxley Act können sich für Volkswagen als fatal erweisen, da durch ihn das juristische Risiko im Falle einer Verurteilungim Vergleich zu 1996 nochmals dramatisch steigt. Die Geschichte könnte sich daher hier wiederholen. Vor diesem Hintergrund kann und darf die deutsche Regierung Volkswagen nicht im Regen stehen lassen und muss Wolfsburg durch eine aktive, gestaltende Politik unterstützen.
Dessen ungeachtet geht die deutsche Debatte nach wie vor davon aus, dass die derzeitige Situation weitgehend national beherrschbar ist. Grundlage hierfür ist die Überlegung, dass Volkswagen durch vernünftiges Krisenmanagement, Kooperation mit den Ermittlungsbehörden, Aufklärung der Hintergründe und Entschädigung der Opfer in der Lage sein dürfte, den aktuellen Prozess zu managen und in die richtige Richtung zu steuern.
Betrachtet man die Situation hingegen aus der Sicht eines Wirtschaftskriegs, ändert sich das Bild schlagartig. Ohne ein radikales Umdenken in der Krisenkommunikation und ohne Ergreifen strategischern Maßnahmen im Rahmen des Krisenmanagements riskiert die Volkswagengruppe eine Perpetuierung der Angriffe und letztendlich einen deutlichen, dauerhaften Einbruch der Geschäftszahlen.
In diesem Falle könnte die Software-Affäre tatsächlich zu einer Krise für den ganzen deutschen Automobilsektor werden. Sollte es dazu kommen, wären die Gründe hierfür nicht systemisch und dem Makel am „Made in Germany“ geschuldet, sondern erklärten sich aus der mangelnden Verteidigungsbereitschaft und der Führungsschwäche der angegriffenen Industrie.
Wirtschaftskrieg passt nicht zur deutschen Industriekultur
Das Konzept des Wirtschaftskriegs passt traditionell nicht in das Selbstverständnis der deutschen Industrie. Das hat kulturelle wie auch historische Gründe.
Was bei der Rückruf-Aktion auf VW-Besitzer zukommen könnte
Das Kraftfahrtbundesamt hat angeordnet 2,4 Millionen VW-Diesel-Fahrzeuge in die Werkstätten zurückzurufen. Laut Plan sollen im Januar 2016 die ersten Autos in die Werkstätten. Bis zum Ende des kommenden Jahres könnten dann alle betroffenen Autos überholt sein. In einem Interview in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ hatte VW-Chef Matthias Müller aber zuvor auch nicht ausgeschlossen, manche Autos komplett auszutauschen, anstatt sie umzurüsten: „Das muss man im Einzelfall prüfen.“
Es geht bei den Nachbesserungen nicht nur um die Manipulations-Software. Für die meisten Motoren genüge es zwar, wenn ein neues Programm aufgespielt werde, sagte Müller. Manche Autos könnten aber auch neue Einspritzdüsen und Katalysatoren bekommen. Die Umrüstung ist auch deshalb kompliziert, weil der betroffene Motortyp EA 189 in zahlreichen Kombinationen und Ländervarianten verbaut ist. Motorenexperte Prof. Jörn Getzlaff von der Hochschule Zwickau hält es aber für möglich, dass Volkswagen keine komplett neue Technik entwickeln muss: „Es kann durchaus sein, dass VW auf eine Lösung zurückgreift, die der Konzern schon heute in seine neue Motorengeneration einbaut.“ Diese neuen Aggregate erfüllen die strengeren Umweltauflagen der Euro-6-Norm.
Das ist möglich. Durch die Umrüstung könnten sich die Leistung und der Spritverbrauch ändern, sagt Getzlaff. Es müsse aber nicht unbedingt so sein, dass das Auto dann langsamer wird und mehr verbraucht. VW-Chef Müller sagte, es sei wichtiger, „das CO2-Ziel zu halten und dafür vielleicht auf 3 bis 5 km/h Höchstgeschwindigkeit zu verzichten“.
Autokäufer müssten sich vermutlich zunächst mit dem Verkäufer des Autos streiten - in den meisten Fällen also mit dem Händler, nicht mit dem VW-Konzern, erklärt Thomas Rüfner, Rechtsprofessor an der Universität Trier. Es sei möglich, dass der Händler Autos zurücknehmen müsse. Dafür müssten aber einige Voraussetzungen erfüllt sein: erhebliche Mängel, also dass das Auto nach der Umrüstung zum Beispiel deutlich langsamer fährt oder viel mehr Sprit verbraucht. Der Kauf darf auch nicht länger als zwei Jahre zurückliegen. „Der Autokäufer würde vermutlich den kompletten Kaufpreis zurückbekommen, müsste aber wohl nachträglich für die Nutzung des Autos zahlen“, sagt Rüfner. Wenn sich die Fahreigenschaften des Autos nur in geringem Maße ändern, könne aber der Kaufpreis gemindert werden.
Eine VW-Kundin, die ihr Auto im Jahr 2010 gekauft hat, versucht das bereits. Sie hat eine Klage direkt gegen den VW-Konzern eingereicht, unter anderem wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung. Die Frau sehe sich in ihrer Erwartung enttäuscht, ökologisch unterwegs zu sein, teilte ihr Anwalt mit. Ein VW-Sprecher wollte sich zu der Klage zunächst nicht äußern, der Vorgang sei ihm nicht bekannt.
Dazu hat sich VW bislang nicht geäußert. Autohersteller sind dazu jedenfalls nicht gesetzlich verpflichtet, sagt Gabriele Emmrich von der Verbraucherzentrale Sachsen-Anhalt. Andere Autohersteller wie Toyota hatten einen solchen Service bei Rückrufen in der Vergangenheit schon angeboten, allerdings ging es da um weniger Autos als bei Volkswagen. Emmrich zufolge stellen Händler und Hersteller nur in Ausnahmefällen ein Leihauto zur Verfügung.
Die deutsche Industrialisierung hat zu einem Zeitpunkt begonnen, als ein nationaler Wirtschaftsraum, der Zollverein, noch in den Kinderschuhen steckte. Anders als in Frankreich, Großbritannien oder die USA hatte Deutschland im 19. Jahrhundert weder rohstoffreiche koloniale Besitzungen oder Territorien noch vor Konkurrenz geschützte Absatzmärkte für seine Produkte. Hinzu kommt, dass – anders als zum Beispiel bis heute in Frankreich - die deutsche Wirtschaft von Anfang an liberalisiert und nie ein regierungsgesteuertes Mittel der nationalen Politik war. Die Tatsache, dass Deutschland binnen 50 Jahren von einem zersplitterten Agrarstaat zu einer industriellen Weltmacht – zeitweise der größten Volkswirtschaft überhaupt – aufsteigen konnte, war nicht das Ergebnis einer Entwicklung im Glashaus sondern das Ergebnis einer gesunden Konkurrenz von nationalen Akteuren, die von einer auf Qualität und Innovation fixierten Unternehmerschicht geleitet wurden. Die hierbei entstandenen Produkte waren dann so hochwertig, dass es der deutschen Wirtschaft gelang, trotz aller Schranken und Barrieren in geschützte Märkte einzubrechen und die örtlichen Marktführer in Bedrängnis zu bringen.