Wer in Miami nach einer Silvesterparty nach Hause möchte, sollte besser seine Kreditkarte dabei haben. Selbst für eine Fahrt von nur rund zehn Minuten mussten einige Einwohner im vergangenen Jahr mehr als 100 Dollar zahlen – zumindest wenn sie für die Heimreise den Fahrdienst Uber nutzten. Eigentlich ist Uber vor allem deswegen beliebt, weil die Preise günstiger sind als die der klassischen Taxis. Doch das kann sich schnell ändern: Gibt es mehr Fahrgäste als Fahrer, erhöht Uber automatisch die Preise. An Silvester oder nach Großereignissen geht es besonders schnell nach oben. „Surge Pricing“ nennt das Unternehmen dieses Vorgehen.
Team Ubernomics
Entwickelt wurde der Mechanismus von Ökonomen. Uber hat die mehr als elf Milliarden Dollar Investorenkapital, die das Unternehmen seit seiner Gründung 2009 eingesammelt hat, nicht nur genutzt, um Softwareentwickler und Experten für selbstfahrende Autos anzuwerben. Das Unternehmen leistet sich auch eine eigene volkswirtschaftliche Abteilung. „Ubernomics“ heißt das Team, in dem Wirtschaftswissenschaftler und Datenanalysten daran arbeiten, ökonomische Theorien und Experimente für Uber nutzbar zu machen. Bei Facebook, Ebay und Airbnb gibt es ähnliche Abteilungen. Amazon schickt seine Recruiter mittlerweile sogar regelmäßig an US-Universitäten, um die besten VWL-Doktoranden anzuwerben.
Wirtschaftswissenschaftler, so scheint es, sind das neue Must-have im Silicon Valley. Ausgelöst hat den Trend der Suchmaschinenkonzern Google. Im Jahr 2007 richtete das Unternehmen die Position eines Chefökonomen ein. So etwas gab es vorher nur bei Banken oder Institutionen wie dem Internationalen Währungsfonds. Doch Google zeigte von Anfang an, wie ernst es die neue Position nahm, und holte ein echtes Schwergewicht: den berühmten Mikroökonomen Hal Varian, vorher Wirtschaftsprofessor an der Universität Berkeley. Zunächst sollte Varian vor allem den Auktionsmechanismus, mit dem Google Werbeflächen neben den Suchergebnissen verkauft, optimieren. Inzwischen sind viele neue Aufgaben dazugekommen: Der Google-Chefökonom und sein Team helfen bei Umsatzprognosen, der Verbesserung der Suchalgorithmen und beraten den Konzern sogar bei politisch heiklen Regulierungsthemen.
Mehr Daten für die Forscher
„In einigen Technologieunternehmen wird inzwischen gearbeitet und geforscht wie an Topunis“, lobt Axel Ockenfels, Ökonomie-Professor an der Universität Köln und der bekannteste deutsche Ökonom, der Wirtschaftswissenschaft mit Technologie verbindet. Schon 2008 verwendete Ockenfels für Studien Datenmaterial des Onlineauktionshauses Ebay. Seitdem hat er beste Kontakte ins Silicon Valley. 2015 war Ockenfels für sechs Monate in Kalifornien, arbeitete an der Stanford-Universität und traf unter anderem auch die Google-Ökonomen.
Die Daten und Plattformen der Technologiefirmen bieten Ökonomen völlig neue Möglichkeiten, ihre Theorien und Hypothesen zu testen. Auktionsdesign, Spieltheorie, Preismechanismen – all das lässt sich plötzlich live beobachten und ausprobieren. „Das erlaubt uns, die Lücke zwischen Laborforschung und realer Wirtschaftswelt zu schließen“, schwärmt Ockenfels. Und es helfe auch dabei, Ideen für eine effektivere Regulierung der Internetwirtschaft zu entwickeln. Denn um die Marktmacht der großen Technologiekonzerne einzuschätzen, muss man verstehen, wie deren Produkte genutzt werden und welche Faktoren dabei eine Rolle spielen.
Muster erkennen
Umgekehrt haben auch die Ökonomen den Techfirmen viel zu bieten: „Ökonomen kennen sich damit aus, das Verhalten von Menschen zu analysieren und Muster zu erkennen. Das ist gerade für Internetportale mit Millionen von Nutzern wertvoll“, sagt Ökonom Ockenfels. Er selbst fand mit zwei Kollegen bei spieltheoretischen Experimenten mit Probanden heraus, dass Onlinebewertungssysteme dazu animieren können, allein aus strategischen Gründen schlechte Noten zu vergeben.
Herkömmliche Theorien werden widerlegt
Ein gutes Beispiel dafür, wie Wissenschaft und Techfirmen voneinander lernen, ist auch der britische Computerspielehersteller King Digital. Dieser erklärte sich im vergangenen Jahr zu einem Experiment bereit: Die drei Ökonomen John List, Steven Levitt und Susanne Neckermann (alle Universität Chicago) durften über drei Monate lang das Verhalten von 14 Millionen Spielern auf der Plattform von King Digital beobachten. Die Forscher wollten herausfinden, ob Mengenrabatte tatsächlich so gut funktionieren, wie ökonomische Modelle vorhersagen: Kaufen also Kunden mehr, wenn sie dafür einen Preisnachlass bekommen?
Die meisten Spiele von King Digital lassen sich kostenlos spielen, doch um schneller voranzukommen, kann man spezielle Gegenstände kaufen (Freemium-Modell).
Mit den Preisen für diese digitalen Güter durften die Ökonomen experimentieren. Die überraschende Erkenntnis: Egal, welches Modell die Ökonomen ausprobierten, der Umsatz für das Unternehmen blieb nahezu gleich. Teilweise sank die Zahlungsbereitschaft sogar, wenn für Großeinkäufe Rabatte gewährt wurden. „Das ist das Gegenteil dessen, was die ökonomische Theorie voraussagt“, stellten die Forscher überrascht fest. „Solche Experimente, bei denen sich ökonomische Theorien in einer realistischen Umgebung testen lassen, sind eine einzigartige neue Möglichkeit für Ökonomen“, schreiben sie im Fazit der Studie.
Auch jenseits der USA setzt sich die Erkenntnis durch, dass Ökonomen in Techfirmen gute Dienste leisten können. Beispiel: der deutsche Spielehersteller Wooga. „Wir helfen unseren Entwicklern, Spielelemente zu gestalten“, sagt die Ökonomin Maija Marinčenko, Leiterin des Bereichs Analytics bei Wooga. Marinčenko leitet ein Team von acht Analysten, darunter neben Ökonomen auch Mathematiker.
Deutschsprachige Ökonomen und Soziologen des 20. Jahrhunderts
Der österreichische Ökonom und Sozialphilosoph gehörte zwar nicht zur Freiburger Schule, hat Erhard aber dennoch stark beeinflusst. In einem waren sie sich weitgehend einig: Das Wort "sozial" ist in Verbindung mit "Markwirtschaft" unsinnig, weil der Markt an sich Sozialität herstellt. Die Ökonomen Röpke, Eucken und Müller-Armack sahen das ganz anders.
Der Nestor des Ordoliberalismus sorgte mit seinen "Grundlagen der Nationalökonomie" 1939 dafür, dass Erhard nach dem Zweiten Weltkrieg ein theoretisches Konzept vorlag. Wegweisende Gedanken, vor allem über den Zusammenhang von Macht und (Un-)Freiheit.
Als Mitglied der NSDAP erhoffte sich der Ökonom und Kultursoziologe einen starken Staat mit stabiler Wirtschaftspolitik. 1946 entwickelte das CDU-Mitglied in "Wirtschaftslenkung und Marktwirtschaft" den Begriff der "sozialen Marktwirtschaft". Später wirkte er als Leiter der Grundsatzabteilung im Bundeswirtschaftsministerium von Ludwig Erhard.
Der wortmächtigste unter den geistigen Vätern der sozialen Marktwirtschaft war bereits mit 24 Jahren Professor. Der Ökonom und Sozialphilosoph lehnte den Nationalsozialismus als "Massenaufstand gegen die Vernunft" ab und verfasste nach dem Krieg eine Reihe von glänzenden Büchern, in denen er unter anderem den Markt als Kulturform konturierte und ein frühes Lob der Ökologie sang.
SPD-Chef von 1946 bis 1952, wollte "aus Deutschland noch ein sozialistisches Land auf wirtschaftlichem Gebiet" machen. Im Godesberger Programm der SPD (1959), das Karl Schiller maßgeblich mitgestaltete, hieß es: "Wettbewerb soweit wie möglich, Planung soweit wie nötig." Erst 1963 war die SPD so weit, dass der spätere Wirtschaftsminister jede Art von Planung ablehnte.
Helmut Schelsky hat den Erfolg der sozialen Marktwirtschaft bereits 1953 auf den soziologischen Begriff gebracht. Erhard hat ihn vier Jahre später mit "Wohlstand für alle" ins Volksdeutsche übersetzt. Gemeint ist die Herausbildung einer breiten Mittelschicht mit gut bezahlten Angestellten.
Ökonomie der Spielwelten
Wooga produziert Spiele für Smartphones und Tablets, die ebenfalls nach dem Freemium-Modell funktionieren: Sie können kostenlos heruntergeladen und gespielt werden, im Spiel lassen sich aber Gegenstände kaufen. Wie Konjunkturforscher beobachten Marinčenko und ihr Team die Entwicklung der digitalen Ökonomie der Spielwelten und entscheiden, ob Eingriffe nötig sind. „Wir analysieren auch, ob es bestimmte Stellen im Spiel gibt, an denen Spieler hängen bleiben, damit die Spiele weiter verbessert werden können“, sagt Marinčenko. Die Arbeit mit den Daten aus den Spielen liefere „neue Perspektiven auf klassische ökonomische Konzepte wie Preissetzung und das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage“.
Hilfe für Start-ups
Selbst junge Start-ups arbeiten inzwischen mit Ökonomen zusammen. Als Martin Trenkle vor drei Jahren mit seinen Studienkollegen Matthias Geis und Jannik Keller die Firma Campusjäger gründete, wollten sich die drei Wirtschaftsingenieure bewusst nicht nur auf ihre Programmierkenntnisse verlassen. Sie holten auch Ökonomen mit ins Boot. Campusjäger will Unternehmen bei der Personalsuche helfen, mit einem vollautomatischen System, das Stellenanzeigen direkt online stellt, Kandidaten auf Karrierenetzwerken anspricht und Informationen über Bewerber sammelt. Um den Umsatz des jungen Unternehmens besser vorherzusagen, entwarfen die Firmengründer mit Ökonomen der Universität Karlsruhe einen neuen Algorithmus. „Der hilft uns nun, genauer zu planen“, sagt Trenkle.
Ökonom Ockenfels ist sich sicher, dass diesem Beispiel bald weitere folgen werden. Er beobachtet, dass immer mehr Absolventen der Volkswirtschaftslehre zu Technologiefirmen gehen – oder gleich eigene Start-ups gründen. „Der Technologiesektor bietet faszinierende Möglichkeiten für Ökonomen“, sagt er. „Für mich gibt es nichts Aufregenderes.“