Werbung im Jahr 2016 Früher war mehr Lametta?

Sieben Trends durchziehen das Werbejahr 2016: Werbetreibende Unternehmen suchen ungewöhnliche Maßnahmen, setzen auf kleinteilige Kampagnen – und entdecken ihre Liebe zum großen Weihnachtswerbespot.

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Die Nachfrage war höher als das Angebot – Ritter Sport entschuldigte sich anschließend dafür. Quelle: dpa

Düsseldorf Das Werbejahr 2016 geht zu Ende. Werbe-Überflieger wie einst „Supergeil“, „#heimkommen“ oder „Darth Vader” waren nicht dabei. Dafür steigt die Kleinteiligkeit der Kampagnen – und es wird technisch. Aber so richtig. Eine Übersicht über die sieben wichtigsten Trends – die die Branche auch 2017 begleiten dürften.

Trend 1: Hauptsache anders

Eine der ungewöhnlichsten Werbekampagnen in Deutschland ereignete sich kurz vor Jahresschluss: Der Onlinehändler Amazon kaufte sämtliche Werbeplätze rund um die ersten Teil der neuen dreiteiligen „Winnetou“-Verfilmung auf. Der TV-Sender RTL zeigte den Spielfilm am ersten Weihnachtstag und erreichte mehr als fünf Millionen Zuschauer.

In einem vorgeschalteten 60 Sekunden langen Spot erklärte Markenbotschafterin Nazan Eckes, warum der knapp zweistündige Film ohne jede Werbeunterbrechung zu sehen ist: ein Geschenk von Amazon Prime. Der US-Konzern wies mit der Werbeaktion auf seinen eigenen Streamingdienst hin, der in Konkurrenz ausgerechnet zu RTL steht: Denn bei Amazon Prime Video können die Nutzer Filme und Serien ohne Werbeunterbrechung schauen. Günstig dürfte die Kampagne nicht gewesen sein: Bereits ein 30-Sekünder kostet bei dem Sender mehr als 50.000 Euro brutto.

Trend 2: Klassische Werbung lebt

Fernsehen und Print sind nach Berechnungen des Zentralverbands der deutschen Werbewirtschaft (ZAW) noch immer die meist genutzten Werbeträger. Auch ein anderer Tech-Konzern nutzte in diesem Jahr  - ganz altmodisch – die klassischen Werbekanäle: Das soziale Netzwerk Facebook startete Mitte November in Deutschland eine groß angelegte Imagekampagne und nutzte dabei TV-, Print- und Plakat-Werbung, um seinen Dienst vorzustellen. Unter dem Motto „Mache Facebook zu deinem Facebook“ wollte die Kampagne die Nutzer über die verschiedenen Funktionen der Plattform aufklären, sie von ihren Datenängsten befreien und vor allem auch Nicht-Nutzer ansprechen und zum Mitmachen animieren. Relevante Themen wie Hasskommentare oder Falschmeldungen umschifft Facebook in seiner aufwendigen Reklame allerdings gekonnt.

Trend 3: Der große Weihnachtsspot

Nicht umschiffen, sondern sich tapfer seinen Vorweihnachtsgefühlen stellen – das haben dieses Jahr viele Marketingentscheider in den Unternehmen getan. So viel Lametta wie dieses Jahr war noch nie. Vorbild ist die britische Kaufhauskette John Lewis, die jedes Jahr einen tränenreichen Spot auf Sendung schickt. 2015 wagte sich der Lebensmittelhändler Edeka an das Weihnachtsgenre und erzählte in dem Werbefilm #heimkommen die Geschichte eines einsamen alten Mannes, der seinen eigenen Tod fingiert, damit er endlich seine Familie wiedersehen kann. Der Film wurde mehr als 50 Millionen Mal auf dem Videoportal Youtube angeklickt, die beiden Moderatoren Joko und Klaas drehten wenige Tage nach Erscheinen des Spots eine Persiflage auf den Werbefilm, und die Branche war sich einig: Auch Deutschland kann Weihnachtswerbefilme.

2016 eiferten viele werbetreibende Unternehmen dem Vorbild von #heimkommen nach. Es müssen viele Agenturen ein solches Briefing auf dem Tisch gehabt haben, argwöhnt die Kreative Britta Poetzsch, die demnächst ihren neuen Chefposten bei der Agentur Track antritt. Die Deutsche Telekom zeigte mit dem „Magischen Adventskalender“ die Geschichte eines kleinen Jungen, der die Vorzüge des Teilens lernt. Die Keksmarke Bahlsen fabulierte in ihrem Weihnachtsspot ebenfalls eine Geschichte um einen kleinen Jungen, der einem fremden Mädchen erklärt, was überhaupt Weihnachten ist. Und Edeka erinnerte die Zuschauer daran, was an den Weihnachtstagen wirklich zählt, nämlich #zeitschenken. Einen Kontrapunkt zu den rührseligen Weihnachtsspots setzte der Discountriese Aldi, der mit „Frohe Einfachten“ für einen entspannten Umgang mit einer allzu erwartungsvollen Familie rät. Kuriosum am Rande: Aldi Nord und Aldi Süd schalteten 2016 erstmals gemeinsame Imagespots im Fernsehen.

Trend 4: Kleinteiligkeit kommt

Die Mediennutzung wandelt sich rasant, gerade junge Menschen nutzen verstärkt Onlineplattformen wie Instagram, Snapchat, Whatsapp und Youtube, und konsumieren weniger klassische Medien. Dementsprechend wandert auch die Werbewirtschaft dorthin, wo die Kunden von morgen sind. Die Zersplitterung der Werbebudgets in immer mehr Werbekanäle – und zielgenauere Werbebotschaften – führt dazu, dass es immer weniger kollektiv bekannte Kampagnen gibt. „Positiv betrachtet ist das eben alles individueller. Skeptiker würden sagen, es geht aber auch etwas Verbindendes verloren“, kommentiert dies Torben Hansen, Chef der Werbeagentur Philipp und Keuntje. Der Werber sieht eine Bewegung „von einer mehr oder weniger homogenen – oder universellen – Popkultur zu vielen zersplitterten Teil-Universen“.

Trend 5: Social Media bleibt

Die deutschen Social-Media-Teams gewinnen allmählich an Lockerheit und an Witz. Lidl lieferte sich beispielsweise unterhaltsame Auseinandersetzungen im Netz mit dem Rivalen Penny und der Keksmarke Leibnitz. „Da ist jemand ganz dicht dran an den Menschen und macht es charmanter, als man es von Unternehmen sonst so kennt. Und dass Social Media keine so ganz einfache Disziplin ist, hat ja auch die Einhorn-Edition von Ritter Sport gezeigt“, meint Hansen von Philipp und Keuntje. Ritter Sport brachte kürzlich eine pastellfarbene Glitzer-Einhorn-Variante auf den Markt, bewarb die limitierte Auflage im Netz – und konnte die überbordende Nachfrage schließlich nicht bedienen. Die Schokoladenmarke musste sich bei den Einhorn-Fans für die Aktion entschuldigen („Sorry für die Probleme mit den Online-Bestellungen! Sorry für die umsonst investierte und nervenaufreibende Zeit.“).

Trend 6: Der Star von der Straße

Die neuen Markenbotschafter sind nicht mehr nur hoch bezahlte Top-Fußballspieler, talentierte Schauspieler oder gutaussehende Models, sondern ganz normale Menschen von der Straße – ohne großartige Ausbildung, ohne erkennbare Talente. Das heißt: Ein Talent haben sie durchaus – sie können sich selbst inszenieren. Die neuen Stars haben einen eigenen Kanal auf Youtube, einen Account auf Instagram oder auch Snapchat.

Sie dokumentieren ihren Alltag, ihre Hobbies, ihr Leben. Und die Zuschauer finden das spannend. Wenn sie ausreichend Fans und Follower um sich geschart haben, nennen sie sich Influencer – und werden entsprechend von der Werbeindustrie umgarnt. Zu den Top-Influencern der neuen Werbewelt zählen junge Frauen wie Bibi, Dagi Bee und Pamela Reif, aber auch der Nachrichtenkommentator LeFloid und Gamer wie Gronkh.

Trend 7: Technik, Technik, Technik

Mit der Digitalisierung ändert sich die gesamte Werbewirtschaft. Die neuen Schlagworte heißen Virtual Reality, künstliche Intelligenz, Chatbots und Programmatic Advertising. Durch den Erfolg des Smartphone-Spiels „Pokémon Go“ im vergangenen Sommer beispielsweise haben Marken erkannt, wie sie die digitale und die analoge Welt miteinander verschmelzen können. Sie kreieren Apps, die virtuelle Dinge in die reale Welt integrieren. Ohne technologisches Verständnis ist die Marketingberatung heutzutage fast sinnlos. Das Zusammenspiel von Kreation und Technik gehört zum guten Ton. Statt zum ADC-Festival oder zum Werbefestival in Cannes reisen moderne Werber inzwischen gerne auch zur Computermesse CES in Las Vegas oder zur Mobilfunkmesse in Barcelona.

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