Werner knallhart

Lesen Sie wirklich die Leserkommentare?

Die Online-Redaktionen deutscher Medien rackern sich ab, um die Kommentare von Nutzern auf unzumutbare Stammtisch-Frechheiten zu durchforsten - und geben mitunter überfordert auf. Aber stören geschlossene Diskussionsforen überhaupt jemanden?

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Safer Sex für Ihre Daten Quelle: dpa/Picture Alliance

"Liebe Leser, leider erreichen uns zu diesem Artikel im Diskussionsforum derartig viele Kommentare, die gegen die Etikette verstoßen oder strafrechtlich relevant sein könnten, dass wir dieses Forum leider schließen müssen."

So oder ähnlich klingt es, wenn Moderatoren von Leserforen verzweifelt aufgeben. Man könnte auch sagen: Wenn man den Fehler gemacht hat, Menschen auf seiner mit viel Mühe aufbereiteten Website die Möglichkeit gibt, mitzudiskutieren.

Denn neben vielen interessanten, inhaltlich fundierten Beiträgen von Lesern, die sich zum jeweiligen Thema gut auskennen und die anderen Leser aber auch uns Journalisten mit ihren Texten weiterbringen, gibt es noch die anderen:

  1. Die, die nichts zu sagen haben, sich aber trotzdem äußern, weil sie noch Ausrufezeichen übrig haben.

  2. Die, die absichtlich oder tollpatschigerweise falsche Tatsachen behaupten.

  3. Die, denen es darauf ankommt, andere Menschen klein zu machen, weil sie keine Chance sehen, selbst zu wachsen.

Das trifft dann entweder die Journalisten (Motto: "Lieber Chefredakteur, wann schmeißen Sie diesen Schmierfink endlich raus?" - oder, Zitat: "Ich hoffe, Sie sterben bald") oder andere Leser. Der Wunsch, ein anderer möge bald sterben, mag ja vielleicht einfach nur eine sehr unfreundliche Meinungsäußerung sein, gegen die strafrechtlich nichts einzuwenden ist. Aber was bringt so etwas anderen Lesern?

Ich kenne Redaktionen, da werden Kollegen mit vielen Jahren Berufserfahrung dazu eingesetzt, die Diskussionsforen auf unverschämte und strafrechtlich bedenkliche Kommentare hin zu durchsuchen. Anstatt Artikel für die Leser zu recherchieren oder Fernsehbeiträge zu produzieren.

Im Forum einer großen deutschen Nachrichtenseite schreibt ein Leser unter einen Beitrag zu nach Deutschland eingewanderten Tierarten, es kämen ja zurzeit genügend menschliche Schmarotzer ins Land, die man einfach mal rücksichtslos ausmerzen müsste. Besagter Kommentar stand dort tagelang, bevor er gelöscht wurde. Um sicherzugehen, dass so ein menschenverachtender Müll nicht nur eine Sekunde andere herabwürdigt und die Marke des eigenen journalistischen Angebots beschädigt, müssen also die Redaktionen auch unter Garten- und Gesundheitstipps und Sportberichten jederzeit mit versteckten Mord-Aufrufen rechnen, um sie aufzuspüren und zu löschen.

Verhängnisvolle Posts, die den Job kosten können
Ein Auktionator bei einer Kunstauktion mit dem Hammer den Zuschlag. Quelle: dpa
Wer seinen Ausbilder als Menschenschinder und Ausbeuter bezeichnet, fliegt Quelle: Fotolia
Hamburger Band Deichkind Quelle: dpa
„Ab zum Arzt und dann Koffer packen“Urlaub auf Rezept? Eine Auszubildende aus Nordrhein-Westfalen schrieb bei Facebook: "Ab zum Arzt und dann Koffer packen." Das las der Ausbilder und fand es gar nicht komisch. Er kündigte der Auszubildenden fristlos. Sie zog vor Gericht. Das Argument der Verteidigung lautete übrigens, dass die Auszubildende wegen ihrer Hautkrankheit Neurodermitis Urlaub bräuchte. Spätestens als die aber sagte: "Ich hätte eh zum 31. Mai gekündigt" war klar, woher der Wind weht. Beide Parteien einigten sich auf eine Zahlung von 150 Euro ausstehenden Lohn und ein gutes Zeugnis. Quelle: dapd
Facebook-Nutzung trotz Kopfschmerzen Quelle: Fotolia
"Speckrollen" und "Klugscheißer" Quelle: AP
Eine Lehrerin bezeichnete sich als "die Aufseherin von künftigen Kriminellen" Quelle: dpa

Aber wollen Sie, dass dafür Ihre Rundfunkgebühren eingesetzt werden? Wollen Sie, dass Print- und Onlineredaktionen auch der privatwirtschaftlichen Medienhäuser dafür Personal zusammenziehen? Um es als journalistische Müllwerker durch die Seiten ziehen zu lassen?

Man könnte sagen: Ja. Wenn das Angebot mit besagtem Aufwand besser ist, als es ganz ohne Diskussionsforen wäre.

Gerade lese ich im Internet einen Artikel zum Gedankenspiel, ob zum Beispiel Claudia Roth Chancen auf den Posten der Bundespräsidentin hätte. Bitte urteilen Sie selbst, ob Sie die Beiträge darunter weiterbringen:

"Claudia Roth ? Soll das n Witz sein ? Falls ja, ist es ein ganz mieser."

"Das wäre ja nicht zu ertragen, die Roth als Präsidentin, schlimmer geht's nimmer.."

"Sie kann es, und es wäre schade, wenn sie es nicht wird."

Und nu? Alles im Rahmen. Alles harmlos. Kann man alles so sagen. Nichts davon ist unerträglich. Aber: Sind Sie jetzt schlauer? Oder zumindest gut unterhalten? Würden Sie diese Leser-Bauchgefühle emotional an das Medium binden?

Eigene Meinung kundtun? Ja, aber nicht auf einer Nachrichtenseite

Mich persönlich nicht. Und trotzdem billige ich jedem zu, auf diese Weise seine Meinung kundzutun. Auf seiner eigenen Facebook-Seite! Dort können dann die Mitarbeiter der milliardenschweren sozialen Netzwerke selber dafür sorgen, dass alles mit rechten Dingen zugeht, wenn es um Flüchtlinge geht, die alle unsere Kinder entführen und auffressen, oder darum, dass die Bundesregierung uns mit den Kondensstreifen der Flugzeuge alle systematisch vergiften möchte.

Aber auf einer Nachrichtenseite, auf der ich eine inhaltliche Aufbereitung von Fakten und deren Einordnung suche, helfen mir die vielen Ausrufe von jedermann mit den vielen Ausrufezeichen nicht weiter.

Nun könnte man sagen: So mancher kommentierende Leser hat als Fachmann genauso viel Ahnung vom jeweiligen Thema, wie der jeweilige Journalist nach seiner Recherche. Das mag ja stimmen.

Aber auch wenn ich im Restaurant auf meinen Teller blicke und mir denke: "die Pampe hätte ich selber aber leckerer hingekriegt", ist das für mich noch lange kein Grund, nach hinten in die Küche zu stürmen und zur Bratpfanne zu greifen. Wenn ich meine Kochkünste für so unwiderstehlich halte, dass ich sie keinem vorenthalten will, dann steht es mir frei, mein eigenes Restaurant zu eröffnen.

Und so steht es jedem frei, sich als Journalist in Redaktionen zu bewerben, als Blogger sein Glück zu versuchen (wie es einige Fachleute erfolgreich getan haben) oder eben ein Facebook-Star zu werden.

Eindeutige Identifizierung nötig

Trotzdem gäbe es eine Möglichkeit, wie Verfasser von wirklich fairen und fundierten Beiträgen in Diskussionsforen auf Medienseiten zu Wort kämen. Zugunsten der anderen Leser und damit auch zugunsten der Medienmacher. Raus aus der Anonymität! Schluss mit den Fake-Profilen mit Fantasie-Namen. Wer gut schreibt und es nicht darauf anlegt, andere zu diskreditieren, der kann dann sogar persönlich von seiner Leistung als Kommentator profitieren.

Was Betreiber von Unternehmensseiten beachten müssen
Facebook-Profil Quelle: dpa
Facebook-Zeichen Quelle: dpa
Malerin mit Pinsel Quelle: Fotolia
Schild: Werbung, nein danke! Quelle: dapd
Katzennachwuchs Quelle: dpa
Mann und Frau streiten sich Quelle: Fotolia
Frau wischt Boden Quelle: dpa

Dafür braucht man die Möglichkeit, sich persönlich als Forumsmitglied eindeutig zu identifizieren. Etwa per einmaliger Registrierung über Skype mit vor die Cam gehaltenem Personalausweis (per E-Mail alleine reicht nicht aus, das lässt sich alles zurechtlügen). Die Mühe zu dieser aufwändigen Registrierung nähmen nur die Leute auf sich, die wirklich das Interesse haben, mit ihrem Namen zu ihren Wortbeiträgen zu stehen. Viel weniger wäre hier aber viel mehr. Denn wer sich dann im Tonfall vergreift, steht damit dann persönlich gerade. Da reißt man sich gerne zusammen. Auch dann, wenn der Name nicht im Forum erscheint. Denn der Redaktion wäre die Identität des Autoren bekannt.

Erste Ansätze für so etwas gibt es. Aber es müsste sich massenhaft durchsetzen. Das würde vielen den Spaß am Kommentieren zwar versauen, dafür vielen anderen den Spaß am Lesen und Videos schauen steigern. Und das ist doch das Ziel der Medienseiten. Hunderte Redakteure könnten sich dann wieder ans Recherchieren, Interviewen, Schreiben und Schneiden machen.

Für die Ad-Hoc-Kommentare nach Lust und Laune wäre dann weiterhin Facebook zuständig - und leider auch für die ohne Sinn und Verstand.

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