Werner knallhart

Wegen WhatsApp wird Rechtschreibung langsam Wurscht

Dieser Text ist so geschrieben wie viele ihn bei WhatsApp senden würden: Voller Fehler in Rechtschreibung g und Zeichensetzung. Aber stört uns das eignet Loch* noch? (*eigentlich)

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Früher hat man Tippfehler auf der Schreibmaschine noch akribisch mit Tipp-Ex korrigiert. Wenn heute etwas falsch geschrieben wird, ist eben die eingebaute Fehlerkorrektur schuld. Quelle: dpa

Hach einmal da hab ich mich blamiert. Beim Lektor meines ersten Romans "Waeten auf die Beinhaare".

* Warten

Irgendwo hatte ich von einer "turbolenten" Achterbahnfahrt der Gefühle geschrieben oder so. Und hatte danach den Eindruck, mein Lektor würde an meinen Verstand zweifeln: "Die Gefühle machen den Turbo rein was?"

Turbulent mit o. Hätte ich den Roman damals mit meinem iPhone auf WhatsApp geschrieben, wäre mit der Fehler nicht passiert.

*mir

Das hätte das System automatisch korrigiert. Aber dafür flutschen heute eine Menge anderer Fehler durch, für die man sich damals bei jeder Klassenaeneit und in jedem Brief geschämt hätte. Aber heute fühlt es sich so egal an.

*Klassenarbeit

Früher hat man Tippfehler auf der Schreibmaschine noch akribisch und mit zitternden Fingern mit Tipp-Ex korrigiert.

Wenn heute etwas falsch geschrieben abgeschickt wird, ist eben die eingebaute Fehlerkorrektur schuld.

Macht ja nix, denken viele. Denn mittlerweile wurden wir durch einen drei stufiges Verfahren längst von der Rechtschreibpedanterie entwöhnt:

Stufe 1: Die Rechtschreibreform machte Ahnungslosigkeit salonfähig

Sie war die Ursünde oder der Befriunngsschlag. Je nachdem , auf welcher Seite man steht. Eins ist unbestritten: Plötzlich wurde alles so schön logisch:

Im wesentlichen wurde zu im Wesentlichen, weil es ja "das Wesentliche" ist.

Die Nuß mit ihrem kurzen Vokalt wurde endlich zur Nuss.

Selbständig wurde selbstverständlich zu selbstständig, weil es ja auch nie selbverständlich hieß.

Und heute abend wurde zu heute Abend. Herrlch.

Aber manchmal ist nun die alte und neue Variante erlaubt (Spaghetti/Spagetti), manches wurde in einer Reform der Reform wieder zurückgenommen (oder zurück genommen?): erst Radfahrende, dann Rad Fahrende, dann wieder Radfahrende. Heute kann jeder Legastheniker triumphieren: "ich schreib halt nach der alten Fassung." Und kaum eeiner kann aus dem Stehgreif das Gegenteil bewiesen. Der Duden? Oje, der hat seit dem Reform-Hickhack ohnehin an Autorität eingebüßt.

Stufe 2: Die E-Mail holte die Umgangssprache in offizielle Briefwechsel

Geschäftsbriefe im Smalltalk-Stil - das gab es vorher einfach nicht. Aus "sehr geehrte Damen und Herren" wurde nun aber "hallo zusammen", aus "mit freundlichen Grüßen" wurde "lg" oder "bis denne". Der eigene Name war plötzlich nur Initialen wert: MW. Und Antworten darauf kamen plötzlich sogar ohne Anrede und Grußfloskel aus. Etikette beim Briefeschreiben: das ist seitdem nur noch was fürs Marketing und für Bewerbungsschreiben.

"Ich weiß ja, wie man es schreibt, aber ich habe keine Zeit, es zu beweisen"

Stufe 3: Auf den kleinen Tastaturen ist Schönschrift unzumutbar

Heute schicken viele per WhatsApp und SMS ihre persönliche Phantasie-Orthografie umher. Und erst wenn durch die Fehler der Sinn der Nachricht verfälscht wird, schiebt man noch eben die Korrektur nach.

Der Klassiker:

20 Uhr 07

Tina:  "Ich komme noch nach."

20 Uhr 47

Michael: "alles gut?"

Tina: "Oh Gott scheiße sorry ich meinte: ich komme nicht nach. Habt ihr jetzt lange auf mich gewartet? 😱"

Michael: "Ja."

Bei sowas Zähl jeder Buchstabe. Aber sonst?

Bislang gilt das freie Schießen auf die Orthografie nur in der Kurznachricht: Groß-/Kleinschreibung egal, Kommata zu mühsam, Bindestriche überflüssiges Beiwerk. Twitter trainiert uns sogar Artikel und Personalpromomen ab. Die Kosten nur Buchstaben-Kontingent.

* kosten

Ich bin so hin und her gerissen. Ich bin Schreiberling. Wer wenn nicht jemand wie ich sollte sich am Riemen reißen? Und so fummele ich kurz vormVersenden jeder Kurznachricht mit dem Finger durch die Zeilen und korrigiere jeden Klopper. Ich will nicht, dass jemand denkt: Marcus ist eben ein schlichtes Gemüt. Bei dem reicht es gerade für Herzschlag und Atmung.

Einzig Kunstfehler gönne ich mir: "Komma her." Aber da sind andere natürlich viel weiter vorne: Folgen Sie mal dem Rapper @Dendemann bei Twitter.

Andererseits: Es stört mich nicht, wenn mir andere Leute Fehler senden (solange ich inhaltlich folgen kann). Ist das der erste Erfolg der Anti-Schönschrift-Hirnwäsche?

Gucken Sie sich diesen Txt an. Für jeden Tippfehler würde ich mich gerne bei jedem vom Ihnen persönlich entschuldigen. Ich habe förmlich jeden von Ihnen vor Augen, wie Sie mit hochgezogenen Brauen den Kopfschütteln. Das schmerzt. Aber wie lange noch?

Gerade junge Leute, die mit der Ausbildujg fertig sind, schreiben zum Großteil nur noch in Chats. Dort recht es, wenn die Botschaft rüberkommst.

* reicht

Und so, wie für viele das Auto als Statussymbol ausgedient hat und stattdessen die Wahl des Handy Modells zählt, könnte sich auch die Orthografie als Ausdruck von Bildung erledigen. Motto: Ich weiß ja, wie man es schreibt, aber ich habe keine Zeit, es zu beweisen.

Vielleicht erwarten die Leser der WirtschaftsWoche noch ein paar Jahre eine korrekte Schreibweise, dann sehen sie irgendwann darüber hinweg, dann fällt es ihnen gar nicht mehr auf, und irgendwann wirkt perfektes Schreiben womöglich überkandidelt. Aber arrogant will ich wiederum auch nicht wirken! Was soll ich tun? Schreiben Sie es hier. Achten Sie dabei auf Ihre Rechtschreibung. Aber korrigieren Sie nur, was das Herz Ihnen sagt. Ich bin gespannt.

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