Joachim Scholtyseck im Interview "Günther Quandt war ein geschickter Opportunist"

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"Die AFA wollte die KZ-Häftlinge zunächst nicht"

Von wem ging die Initiative aus für den Bau des Lagers?

Wie die Akten zu Hannover-Stöcken zeigen, von der SS. Die AFA wollte die KZ-Häftlinge zunächst nicht. Es hieß, sie seien unterernährt und arbeiteten nicht effizient, außerdem habe man keine Unterbringungsmöglichkeiten. Ein Sinneswandel trat erst ein, als die Arbeitskräfte knapper wurden und die SS der AFA in betriebsorganisatorischen Fragen entgegenkam.

War der Tod der Häftlinge einkalkuliert?

Ja, allerdings ging es, anders als bei der SS, im AFA-Werk nicht um Vernichtung durch Arbeit, sondern darum, durch minimalen Einsatz an Verpflegung ein Maximum an Leistung herauszuholen. Das war durch und durch ökonomisch gedacht im Sinne einer Moral der Effizienz. Von Günther Quandt wissen wir, dass er spätestens von 1942 an über den massiven Einsatz von Zwangsarbeit informiert war und wahrscheinlich von Beginn an involviert gewesen ist. Als er bei den Großbanken um Rüstungskredite bat, wies er, übrigens in einem Schreiben an Hermann Josef Abs, darauf hin, wie viele „Fremdarbeiter“ in seinem Unternehmen beschäftigt sind.

Sein Sohn Herbert Quandt plante noch gegen Kriegsende ein KZ-Außenlager.

Ja, im schlesischen Sagan hat er trotz seiner Sehschwäche mit den zuständigen Ingenieuren ein geeignetes Gelände inspiziert. Ein Günther Quandt, der sich für alles interessiert hat, selbst für die Höhe der Türen in seinen Fabriken, hat das natürlich gewusst – und trug deshalb auch die Verantwortung dafür.

Hat er nach dem Krieg gelogen?

Sicher, was er in amerikanischer Lagerhaft über die NS-Zeit sagt, trägt durchweg apologetischen Charakter. Er wollte schlicht seine Haut retten. Aber im Spruchkammerverfahren, bei dem es darum ging, ob er als Belasteter oder Mitläufer eingestuft werden müsse, spielte die Zwangsarbeit ohnehin keine Rolle, es ging um Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegstreiberei. Der Todesmarsch der KZ-Häftlinge aus Hannover-Stöcken etwa stand unter der Verantwortung der SS. Aber die Verantwortungskette führt letztlich auch hier bis zur Betriebsführung.

Haben sich die Manager und Unternehmer der NS-Zeit hinter dem Outsourcing an die SS versteckt, um ihre Verantwortung zu verschleiern?

Outsourcing würde ich es nicht nennen. Aber die Unternehmen hatten Handlungsspielräume, etwa im Hinblick auf die Lagerbedingungen. Niemand hätte sie daran gehindert, Häftlinge besser zu behandeln. Dazu hätten manchmal schon ein paar Scheiben Brot genügt. Günther Quandt hat selbst gesagt, dass zumindest in den ersten Jahren des Regimes immer ein freies unternehmerisches Handeln unter marktwirtschaftlichen Bedingungen möglich war. Übrigens ist auch in den Kriegszeiten trotz exorbitanter Besteuerungen für die Unternehmen immer noch genügend abgefallen. Auch für die Quandt-Gruppe.

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