Jürgen Heraeus "Banken, die Casino spielen, müssen auch Pleite gehen können"

Ein Unternehmer spricht Klartext: Jürgen Heraeus geißelt die hemmungslose Schuldenpolitik, warnt vor Finanzgeschäften, die keiner mehr versteht und sagt: "Wir werden vielleicht sogar eine Inflation bekommen."

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Dr. Jürgen Heraeus wird bald Quelle: obs/Heraeus Holding GmbH

Wenn Sie zurückschauen auf ihre nunmehr 75 Jahre Lebenszeit, die Bombennächte der Kindheit, den Wiederaufbau, die Begründung der Europäischen Union, schließlich die Wiedervereinigung. Was empfinden Sie angesichts der Schwierigkeiten in der Euro-Zone? Gelassenheit oder Sorge?

Jürgen Heraeus: Man sollte nicht übertrieben aufgeregt sein, es war immer schwierig. Ich habe das Kriegsende miterlebt. Auf dem Gelände, auf dem wir jetzt dieses Gespräch führen, stand nichts außer Ruinen. Als wir dann wieder angefangen haben, hat mein Vater gesagt, wir konzentrieren uns auf Deutschland und überlassen Engelhard, der damals noch mit 15 Prozent Gesellschafter bei Heraeus war, die übrige Welt. Heute gibt es die Firma Engelhard nicht mehr, sie ist Teil von BASF. Und wir sind auf der ganzen Welt tätig.

Ihre eigene Biografie lehrt Sie also Gelassenheit und Demut?

Man lernt zumindest, dass man vorsichtig sein sollte mit Depressionsszenarien. Wer jetzt glaubt, dass in Kürze der Euro, Europa oder gar beides zusammenbricht und deshalb nur noch Gold kauft, der tut sich selbst keinen Gefallen. Ein solcher Fatalismus ist keine Lösung.

Das ist keine Lösung, aber dieser Fatalismus ist derzeit die Stimmung der Menschen..

Einer unserer Aufsichtsräte hat schon 1966 gesagt, dass man den Glauben an Jesus schneller ablegen kann als den ans Gold.

Der Goldpreis zeigt immer auch eine Schwäche des Bestehenden an. Zum Beispiel das geschwundene Vertrauen in das Weltfinanzsystem.

Die größte Katastrophe, die wir seit etwa zehn Jahren erleben, sind in der Tat die nicht realen Finanztransaktionsgeschäfte, die kein Mensch mehr versteht, noch nicht einmal die, die diese Transaktionen vornehmen. Ich glaube, diesen Teil des Geschäfts von Goldman Sachs und anderen Banken braucht man eigentlich nicht. Diese ganzen hypothetischen Verpackungen, die ABS-Strukturen sind überflüssig. Das hat das Vertrauen in die Banken erschüttert.

Also muss die Realwirtschaft stärker von der virtuellen der Finanzwelt getrennt werden?

Das geschieht ja bereits. Wenn zum Beispiel Leerverkäufe verboten werden, finde ich das sehr vernünftig. Schauen Sie, wie mit großen Summen gegen Währungen einzelner Staaten spekuliert wird, ohne dass hinter diesen Geschäften irgendetwas an realen Werten steckt. Das ist nicht nur unglaublich. Das ist vor allem schädlich.

Warum ist die Realwirtschaft, also die produzierende Industrie in Deutschland, nicht früher gegen das Geschäftsgebaren der Banken eingeschritten?

Ich war lange im Aufsichtsrat der IKB als Vertreter der Stiftung Industrieforschung. Die haben einen grundsoliden Eindruck gemacht, wirkten fast schon ein wenig langweilig. Und dann haben sie sich diese strukturierten Geschäfte andrehen lassen. Jeder Vertrag hatte 350 Seiten. Der Verkäufer hat vielleicht geahnt, was er da verkauft, der Käufer hat es nicht gewusst. Die Bank hat es elegant weitergereicht. Dass das geschehen konnte, ist ein Versäumnis der Aufsichtsbehörde, der Politik, aber natürlich auch derjenigen, die diese Finanzprodukte gekauft haben.

Was würden Sie den Kontrolleuren oder Politikern, die über ihre Hilflosigkeit klagen, empfehlen?

Es ist schwierig geworden, der Finanzindustrie Grenzen aufzuzeigen. Deutschland könnte das noch am ehesten vorantreiben, weil hier noch immer 25 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus der Industrie stammen. Aber in Großbritannien sind es nur noch neun Prozent, das Land lebt von den Finanzmärkten. Ich habe keine Lösung. Ich glaube aber, die ersten Ansätze wie etwa den Eigenhandel zu reduzieren, ihn mit mehr Eigenkapital zu unterlegen, führen in die richtige Richtung.

Gehört zur richtigen Richtung, auch mal eine Bank pleitegehen zu lassen?

Keiner weiß wirklich, wie teuer eine Pleite von Lehman Brothers geworden wäre. Aber die Geschäfte müssen von der Politik so getrennt werden, dass man die, die Casino spielen, auch pleitegehen lassen kann.Gilt das auch für Staaten, die Casino spielen, die deutlich mehr Geld aufgenommen haben, als sie zu Lebzeiten zurückzahlen können…

…das ist kein Casino, das ist Unverantwortlichkeit. Jeder Familienvater weiß, dass er nicht jedes Jahr neue Schulden aufnehmen kann, damit er besser lebt. Und die Unverantwortlichkeit geht ja weiter, auch in Deutschland. Die Steuern fließen, aber statt den Haushalt endlich zu sanieren, wird wieder mehr ausgegeben.

Steuersenkungen passen also Ihrer Ansicht nach nicht in die Landschaft?

Ich würde erst einmal die Schulden reduzieren. Ich glaube schon, dass es richtig ist, nach Ansätzen zu suchen, wie die kalte Progression beseitigt werden kann. Aber Steuerreduzierungen auf breiter Front sind nicht sinnvoll. Für die Wohlhabenden müssen wir die Steuern nicht reduzieren.

Sie finden Gefallen an der Idee etwa von Wohlhabenden in Frankreich, mehr Steuern zu zahlen?

In Deutschland zahlen wir bereits ordentlich Steuern. Es wird immer kolportiert, dass wir nur 40 Prozent zahlen als Wohlhabende. Aber mit der Kirchensteuer, dem Solidaritätszuschlag und der Reichensteuer zahlen wir auch 47 Prozent. Ich argumentiere andersherum: Es ist unangebracht, eine Steuerentlastung durchzusetzen, bei der die Reichen am meisten entlastet werden.

Die Politik kommt erkennbar nicht mit dem Geld aus, das sie den Steuerbürgern abknöpft.

Das ist doch lächerlich, dass es in einem riesigen Bundeshaushalt nicht möglich sein soll, drei bis fünf Prozent einzusparen. Das schaffen die Unternehmen alle paar Jahre. Deshalb bin ich gegen Steuererhöhungen, die immer der leichteste Weg sind.

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