Karl Lagerfeld im Interview Der Klassiker

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Karl Lagerfeld neben einem Quelle: dpa

Können wir noch einmal auf die Kunst des Loslassens zurückkommen? Viele Leute sammeln und sitzen auf ihrer Sammlung.

Ja, aber ich bin nicht viele Leute. Ich bin nur ich. Aber wenn ich sammle, ist es so, als wenn es für 1000 Jahre wäre. Nur plötzlich sind die Leute, die sich verlieben, nicht mehr verliebt. Fürs „Falling in Love again“ muss man erst mal wieder frei sein.

Im Laufe Ihres Lebens und Ihrer Sammlungen scheint der geistige Aspekt der Dinge wichtiger als der materielle geworden zu sein. 

Geistig ist das materiell Schwere ja im Grunde leicht, weil ein Geist, der voll ist, leichter ist als ein schwerer Dummkopf. Das ist ja das Schlimmste, was es gibt! Ich will das alles nicht wissen, um mit anderen darüber zu sprechen, das ist nur für den Hausgebrauch. Normalerweise ist der Smalltalk mit meinen Mitarbeitern perfekt für mich. Ich bin nicht familiär mit dem Team. Ich will nicht, dass die Leute Opfer meines Lebens werden. Die müssen alle ihr eigenes Leben haben.

Was das Materielle betrifft: Macht Ihnen die Wirtschaftskrise zu schaffen?

Mit unseren Firmen geht das noch. Und: So ging es ja nicht weiter – Sie klauen zwei Orangen und kommen ins Gefängnis, und andere lassen Milliarden verschwinden und kriegen noch eine Prämie. Das ist doch unmoralisch, und ich bin, weiß Gott, kein Moralapostel! Aber legale Unehrlichkeit, das ist das Schlimmste auf der Welt. Wenn Sie einen verrotteten Zahn haben, müssen Sie ja auch zum Zahnarzt. Vor allem ist die Krise eine gute Reinigung.

Aber wenn es um Verkaufszahlen geht...

Ich nehme keine Prozente, das ist mir egal.

Und diese Geschichte, wo man Sie einmal bei Chanel bat, doch für den Verkauf noch einige Modelle des kleinen Schwarzen zur Kollektion dazu zu entwerfen?

Die haben sich aber nicht verkauft. Das tun die auch nicht mehr, das haben sie verstanden. Aus Chanel habe ich immerhin das größte Prêt-à-porter-Deluxe-Haus gemacht, das es auf der Welt gibt. Da wird nicht eine Frage gestellt oder gebeten, da wird das genau so gemacht mit den schlimmsten faschistischen Methoden in Bezug auf Kreativität, aber nicht in der Behandlung der Leute. Ich bin faschistisch mit mir selber. Und damit ich es nicht selber zu tun brauchte, hat der Besitzer von Chanel über die Ateliertür geschrieben: "Kreativität ist nicht demokratisch". Das hat der alte Wertheimer gemacht. 

Für Ihre kreative Arbeit ist Ihre Bibliothek von so großer Bedeutung, dass Sie in Panik geraten sollen, wenn Sie ein Buch nicht finden.

Ja, ja, genau. (Lagerfeld atmet tief durch.)

Und wie ist es in solchen Momenten mit der Leichtigkeit des Loslassens?

Das ist ja, weil ich es plötzlich brauche. Zum Schluss finde ich es ja doch, weil ich weiß, wo alles ist. Denn ich habe dafür ein sehr gutes Gedächtnis. Dass ich hier ewig an den Schränken vorbeigehe und gucke, wo alles ist, das ist, wie andere Gymnastik machen. Das sind meine Gehirn-Push-ups.

Stimmt es, dass Sie zu diesem Zweck auch gern Philosophiegeschichte und philosophische Traktate lesen?

Ja, ich liebe das total Abstrakte, ich lese kaum Romane. Ich mag nur Worte, die Art und Weise, wie die Worte benutzt sind, und alles Schreiben, das abstrakte Dinge betrifft. 

Aber auch um konkrete, sinnliche Dinge zu beschreiben, braucht man ein großes Abstraktionsvermögen. Vielleicht mögen Sie deshalb Keyserling so gern. 

Meinen Sie den Philosophen oder den Romancier?

Den Romancier, Eduard von Keyserling.

Ja, das ist mein Lieblingsschriftsteller. Sinnlich, nicht? 

Ja, und natürlich erkennt man auch Sie darin.

Ach, finden Sie? Das finde ich nett, dass Sie das sagen. Nur bei Keyserling bleibt es immer beim Ausgangspunkt. Bei ihm gibt es im Grunde keine Transgression. In der Tiefe gibt es keine Überschreitung. Sie bleiben, was sie sind.

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