Karl Lagerfeld im Interview Der Klassiker

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Karl Lagerfeld stellt in Paris Quelle: Reuters

Geburt ist Schicksal“. Und daran glauben Sie nicht?

Wir leben nicht in der gleichen Zeit. Ich sehe das nicht auf dem Geburtsniveau, ich sehe das mehr auf einem intellektuellen Niveau. Aber mich interessiert im Grunde nicht, was er schreibt, sondern, wie er schreibt. Wenn es gut geschrieben ist, ist es mir egal. Zum Beispiel François Mauriac, seine Themen finde ich grauenhaft. Neulich bin ich durch Zufall auf einen Satz von ihm gestoßen: "Ich kann keine Landschaft lieben, die nicht von geliebten Augen gesehen worden ist." Ist doch toll!

Und dann Keyserlings Wellen“, die Sie als Vorlage für einen Fotoroman gewählt haben...

Ja, und auch "Schwüle Tage"! Die goldene Spritze mit dem Morphium, mit der sich der Vater dann umbringt. Und wissen Sie, was so toll daran ist: wie kurz das ist, und wie man da plötzlich drin ist. Man riecht die Luft an der Memel, finden Sie nicht auch? Man hört das Geräusch der Insekten im Sommer. Ich erinnere an das Buch von Marion Gräfin Dönhoff, "Namen, die keiner mehr nennt", und plötzlich ist das Land da, nur mit drei Linien. Bei Thomas Mann ist das nicht so.

Was ist der Unterschied zwischen Bücherwissen und einer Kollektion historischer Möbel, die sich anfassen und benutzen lassen? Welche Rolle spielt die Materialität der Dinge, die Sie um sich versammeln?

Wissen Sie, es gibt Leute, die sagen: ich mag kein Geld. Aber um das zu sagen, müssen sie erst mal welches haben, und dann geben sie es weg, und dann wissen sie, wie gern sie es gemocht haben. Da möchte ich Emily Dickinson zitieren, die sagt: "We lost, because we won." Solange Sie nichts gewonnen haben, können Sie nichts verlieren. Ich sammle Musik, Platten, iPods, aber so ein Quatsch ist keine Sammlung. Komischerweise habe ich gemerkt, wenn ich etwas sammle und zusammenstelle, eine Atmosphäre mit Bildern und allem, und das wieder weg- gebe, dann behält man das, was die Essenz davon war. Das gehört Ihnen für immer. Das ist ein ganz eigentümliches Gefühl. Ich kann mit geschlossenen Augen durch alle Räume meines Lebens gehen und genau sehen, wie das war. Wenn Sie aus einem Zimmer gehen, sind Sie ja auch nicht mehr drin. Mein Kopf ist wie ausgelagerte Realität.

Sie sagten einmal, man muss mit den Toten in Verbindung bleiben.

Ja, sicherlich, denn wenn jemand aus dem Zimmer geht: Vielleicht sehen Sie den nie wieder. Ob er tot ist oder nicht, das spielt keine Rolle. 

Aber er ist dort, in der Erinnerung.

Ja, er hat einen Platz.

Diese Sicht der Wirklichkeit hat etwas vom magischen Denken primitiver Kulturen.

Genau, genau, ja, ja. Nur, dass alles dort mehr auf Angst basiert. Die hatten ja auch nicht die wissenschaftlichen Kenntnisse, die wir heute haben, die einen Teil der Angst wegnehmen. Angst und Aberglaube, davon hat die Religion gelebt und ist von da auf was anderes gekommen. Darum interessiert mich auch die Konversion, Leute, die von einer Religion zur anderen gegangen sind. Simone Weil, die Philosophin, die Jüdin war und sich hat bekehren lassen, und da hat sie mit den Christen Krach gekriegt.

Um beim Aberglauben zu bleiben: Sie sammeln keine Objekte aus Afrika, weil darin ein Voodoo-Zauber stecken könnte.

Ja, das ist auch Spaß, das ist gut, nicht? Das ist die ländliche Kindheit, weil die Leute auf dem Land abergläubisch sind. Da lach’ ich drüber im Grunde. Aber ich lache und lache und ernst nehmen tue ich es trotzdem.

Man glaubt nicht dran, aber man geht trotzdem nicht unter einer Leiter durch.

Ja, genau. Und man tut keinen Hut aufs Bett und keinen Schuh auf den Tisch, tut man einfach nicht. Und ein Spiegel darf nicht kaputt gehen. Da kann man drüber lachen, aber das ändert nichts an der Tatsache.

Dann haben Sie kein Bedürfnis, sich in geistigen Dingen festzulegen?

Nein. Weil das alles unwichtig ist.

Gibt es noch Dinge, die Ihren Mut herausfordern?

Da ich schon ein paar Flugstunden habe, wie man so schön sagt, ist das bei mir ein logisches Vorgehen, mehr eine pragmatische Handlung als alles andere. Ich bin wahnsinnig pragmatisch. Das habe ich als Kind an meiner Mutter so bewundert. Sie sagte immer das Richtige, in jedem Moment. Auch wenn sie mal bösartig wurde, aber im Grunde hatte sie immer recht.

Macht nicht gerade der Pragmatismus Sie zu einem Sohn Ihres Vaters?

Ich bin auch ein Hamburger Pfeffersack, doch, doch, doch. Ich habe ja nie verleugnet, dass ich in Deutschland geboren bin, im Gegenteil, das gehört zu meiner Folklore. Da steht immer der Preuße dahinter und der Pfeffersack. 

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