Karl Lagerfeld im Interview Der Klassiker

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Karl Lagerfeld besichtigt auf Quelle: AP

Es grenzt an ein Wunder, dass Ihnen mit all Ihren Kollektionen, den Bucheditionen und der Seitenkarriere als Fotograf Zeit zum Lesen bleibt.

Darum will ich auch weniger Häuser und Personal. Ich mag das Abhängigkeitsverhältnis nicht. Dass sie von mir und ich von ihnen abhänge. Beim Room Service drücken Sie auf den Knopf. Bei mir darf das Personal nie in die Räume kommen, in denen ich bin, solange ich nicht geklingelt habe. Ich will ungestört sein. Ich plaudere sonst sehr gern, aber ich kann zwei Tage allein zu Hause sein, ohne den Mund aufzumachen. Das ist mit Telefon schwierig, aber ich habe ja auch kein Handy und nichts. Ich sende auch nur Faxe, weil ich die Leute nicht stören will. Ein Fax können Sie lesen, wann Sie wollen, das macht keinen Lärm. Aber wenn ich etwas zeichne oder lese, vor allem, wenn es in einer anderen Sprache ist, dann bin ich manchmal so weit weg, dass ich gar nicht mehr weiß, wer...

Das Gespräch wird von der Ankunft eines jungen Mannes unterbrochen, den Lagerfeld herzlich begrüßt:

Ah, Monsieur Baptiste! Ça va? Dieser junge Mann, von dem sie alle sagen, dass er so aussieht wie ich, als ich 18 war. Er ist Dorian Gray und ich bin sein Gemälde. Ich dachte mir, dass er für meine Marke ganz gut wäre. Er ist wahnsinnig begabt als Fotomodel. Worüber haben wir gesprochen? Ja, Glauben muss man haben, aber keinen Aberglauben.

Sie glauben an Ihren guten Stern...

Ja, an Zufall. Mein ganzes Leben basiert auf dem Zufall.

Aber wir leben in einer Zeit, in der man Glück und Zufall weitmöglichst auszuschalten versucht, um Gleichheit, Gerechtigkeit und Sicherheit zu garantieren.

Ich will Ihnen mal was sagen: Das Leben basiert auf Ungerechtigkeit. Die soziale Ungerechtigkeit ist noch die einzige, die man arrangieren kann, aber wenn Sie dumm sind, bleiben Sie dumm, wenn Sie hässlich sind, bleiben Sie hässlich. Sie kennen die Geschichte von Winston Churchill, eine Frau, die sehr hässlich war, sagte zu ihm: Sie sind ja betrunken heute Abend! Ja, sagte er, aber wenn ich morgen früh aufwache, bin ich nicht mehr betrunken, und Sie sind immer noch hässlich. Wenn Sie nicht im Voraus akzeptieren, dass alles auf Ungerechtigkeit basiert, dann werden Sie besser Beamter. In die Mode kommen Sie nicht, weil Ihre Mutter sagt: Meine Tochter wird die neue Claudia Schiffer!

Obwohl Mode gerade auch Menschen, die an sich nicht so interessant sind, interessant machen kann. Oder nicht?

Es kann helfen, aber um in der Mode zu arbeiten, muss man die richtige Begabung und Mentalität mitbringen. Ich spreche nicht vom Look, ich spreche von allem anderen.

Trotz des vorherrschenden Gleichheitsideals sind Sie, der nicht daran glaubt, ein Vorbild der Jugend.

Komischerweise scheinen die jungen Leute mich so zu sehen. Ich glaube an mich selber, das heißt, ich erwarte nicht, dass die anderen alles für mich tun. Dann wird man bevormundet, und das ist das Schlimmste, was einem passieren kann. Aber Freiheit ist Luxus. Früher wollten die Kinder – und auch heute noch – immer wie die anderen Kinder sein. Das habe ich nie gewollt. Ich wollte anders sein, wahrscheinlich war ich es auch, was weiß ich.

Sie sprechen von Ihrer Eitelkeit, so als wollten Sie sagen: Ich bin Narziss, aber sie ist ja auch eine Form der...

Ja, bei mir ist Eitelkeit im Grunde ein Höflichkeitsreflex der Selbsterhaltung.

Also das Gegenteil von Narzissmus.

Genau, ich finde das Wort Eitelkeit ganz gut, man muss nur sehen, ob es noch irgendwie präsentierbar ist. Natürlich in dem alten barocken Sinne.

Wann wurde Ihnen klar, wie perfekt der Kopf das Verlorene speichert? War das ein Erkenntnisprozess, und wurde das Loslassen mit jedem Mal leichter?

Ja. Und am leichtesten habe ich mein Übergewicht abgenommen. Was ich aber nur aus einer gewissen Gleichgültigkeit angenommen hatte, durch Umstände und so etwas. Und ich wusste ja, wie es vorher war. Aber ich wusste nicht, dass man im Leben zu seinem alten Ich beinah zurückkommt.

Zu dem Ich mit 18.

Genau, genau, darum ist er ja so amüsant, der Battiste, der aussieht wie ich mit 18.

Wo haben Sie Ihn gefunden?

Ich habe ein Bild irgendwo in einer italienischen Zeitung gesehen. Vor sechs Monaten arbeitete er noch in einer Hubschrauberfabrik. Aber er hat eine Eleganz, das ist unglaublich. Bei der Verleihung der "Bambis" dachten alle, ich hätte einen Neffen oder Großneffen mitgebracht.

Würden Sie, wenn Sie unsichtbar wären, in Paris mit dem Bus fahren?

Gern, nur meine Kartenleserin hat mir gesagt, ich dürfte keinen Bus und keine Metro in Paris nehmen. Das letzte Mal, dass ich einen Bus genommen habe, ist der in einen Wagen gefahren, und ich hätte mir beinah das Knie gebrochen. Ich gehe auch nicht mehr alleine über die Straße. Denn die Leute wollen immer etwas von mir, und wenn man alleine ist, dann kann man die Leute nicht loswerden. Ich gehe auch vom Quai Voltaire wieder weg. Die Seine-Barkassen, die sagen ja an: Hier wohnt Madame Chirac und hier wohnt Karl Lagerfeld. Das höre ich, wenn ich am Fenster sitze. Ich habe mir jetzt ein Haus gekauft, das in der Rue de Lille im Innenhof liegt. 

Wird das Ihre nächste Wohnung?

Ja, und die Einrichtung ist eine ganz eigentümliche Mischung aus Neuestem und Altem.

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