Kaviar Deutsche Züchter graben der Kaviar-Mafia das Wasser ab

Der Handel in Russland war bislang ein Mafia-Monopol. Jetzt lockert die russische Regierung das Importverbot – und öffnet den Markt für Zuchtkaviar aus Deutschland und dem Iran.

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Ossietra-Zuchtkaviar Quelle: dpa

Wenn die Dekadenz in Russland irgendwelche Grenzen kennt – an Silvester dürfen selbst diese überschritten werden. Am wichtigsten Feiertag des Jahres ließen es die Russen auch dieses Jahr wieder richtig krachen. In Moskauer Luxushotels und Sterne-Restaurants rammen langbeinige Schönheiten den Perlmuttlöffel tief in die Porzellanschale, füllen ihn randvoll mit goldschimmerndem Imperial-Kaviar und schieben sich umgerechnet gut 100 Euro in den Mund. Der Rogen platzt zwischen Zunge und Gaumen und erzeugt den wohligen Geschmack. Nachgespült wird mit einem Schluck Schampus.

Indes, an wirklich guten Kaviar zu kommen, ist seit einigen Jahren in Russland nicht ganz einfach, wo die teuren Fischeier zur Zarenzeit als lukullisches Statussymbol kultiviert wurden. Um dem Raubbau der schwindenden Stör-Bestände im Kaspischen Meer vorzubeugen, erhob die russische Regierung vor einigen Jahren das Monopol auf den Handel mit Kaviar. Das Experiment ging schief: Fester denn je ist das Kaviargeschäft unter der Kontrolle der russischen Mafia, die im Kaspischen Meer illegal fischen lässt, Lizenzen fälscht und die zuweilen korrupten Kontrolleure mit Schmiergeld bei Laune hält.

Russische Regierung lockert Importverbot

Nun lockert die russische Regierung das Importverbot. Wenn die organisierte Kriminalität den Druck des Wettbewerbs spürt, so das Kalkül, wird ihr Einfluss im Delikatessenhandel schwinden. Damit kommt der Kreml auch der Organisation Cites entgegen, die unter dem Dach der Vereinten Nationen die Konvention über den Handel mit gefährdeten Arten überwacht. Seit Jahren beklagen die Aufseher in Genf, dass die Anrainer des Kaspischen Meers zu wenig gegen Schwarzfischer unternehmen, was zuweilen mit Exportsanktionen für Kaviar quittiert wurde. In der Tat haben illegale Fischer mit ihren rücksichtslosen Fangmethoden etwa den bis zu neun Meter langen Beluga-Stör fast zum Aussterben gebracht.

Der Fall des Staatsmonopols hinterlässt eine Lücke – und in die stoßen neue Händler, die der Kaviarmafia Konkurrenz machen: Die staatliche iranische Fischerei Shilat liefert Imperial-Kaviar vom Ossietra-Stör nach Russland, der Kilopreis liegt derzeit bei etwa 8000 Euro. Und der Bedarf ist da: Experten schätzen das Marktvolumen im Segment des Edelkaviars auf 500 Millionen Dollar.

Auch deutsche Unternehmen schicken sich an, den russischen Markt aufzurollen. Der jüngste Versuch ging noch schief: Im vorpommerischen Demmin baute der windige Geschäftsmann Frank Schäfer die weltweit größte Stör-Fischfarm – mit rund 50 Millionen Euro, die er Investoren abgeknöpft hatte. Doch die Spitzenköche der Welt verschmähten dessen industriell hergestellten Kaviar, der im Geschmack eher muffig gewesen sein soll. Der Börsengang von Schäfers Caviar Creator platzte, das Unternehmen ging insolvent. Mittlerweile hat ein russischer Investor die Farm übernommen, Schäfer wurde kurz vor Weihnachten wegen Betrugs verurteilt.

Träge Störe

Die Kaviar-Zucht steckt voller Tücken. Das weiß auch Dirk Schmelz, 45, dessen International Caviar Corporation (ICC) in der Oberpfalz Störe züchtet. Schmelz züchtet kleinere Bestände unter Bedingungen, die so naturähnlich sein sollen, wie es eben geht. Das heißt, dass Temperatur und Qualität des Wassers nicht reguliert werden. Wenn der Teich im Winter zufriert, dann müssen die Fische damit leben. Bei Aquakultur-Anlagen, auf die die meisten Züchter schwören, wird die Temperatur auf Knopfdruck angepasst, womit sich die Produktionsmenge steuern lässt. Nicht aber die Qualität.

Der Stör wird träge, wenn die Temperatur immer gleich bliebe, meint Schmelz. Die Fische setzen Fett an, der Kaviar schmeckt muffig. "Wir gehen mit unserem Zuchtkonzept das Risiko ein, dass es auch einmal zu schlechten Ernten kommt", sagt Schmelz, "aber die Qualität des Rogens ist immer erstklassig." Im Herbst war die Ernte hervorragend: Mehr als 500 Kilogramm schwarzen Kaviars stehen zum Verkauf, dazu 100 Kilo vom Rogen des seltenen weißen Albino-Sterlets, den ICC als "Zarenkaviar" für rund 17.000 Euro pro Kilo verkauft.

Golden Ossetra-Kaviar Quelle: AP

Trotz der hohen Preise ist die Kaviarproduktion kein Geschäft fürs schnelle Geld, denn der Stör schert sich nicht um Produktivitätsansprüche seiner Schlachter: Nur alle zwei bis drei Jahre tragen Stör-Weibchen Eier. Und bis sie überhaupt geschlechtsreif sind, vergehen mindestens drei Jahre. Dann müssen die Fischer per Ultraschall feststellen, ob es sich bei den Tieren um Männlein oder Weiblein handelt: Für das bloße Auge sind Störe ein lebendiges Fossil, eine 250 Millionen Jahre alte Fischart, die wie ein Überbleibsel der Steinzeit daherkommt.

Kaviarhandel ist denn auch nicht das Hauptgeschäft von Dirk Schmelz. In Gelsenkirchen betreibt er mit seinem Bruder ein Ingenieurbüro. Nebenbei ist er als Deutschland-Chef der ICC Teil einer Troika, die sich anschickt, den russischen Kaviarmarkt zu erobern.

Russen schmeckt der eigene Kaviar nicht mehr

Kopf der in Bukarest registrierten Holding ICC ist Roland Schröder. Der ehemalige Aral-Manager ist in Rumänien bestens verdrahtet. Mit dem einstigen Boris Becker-Manager und Lokalmatador Ion Tiriac hat er einen Investor ins Boot geholt, der die Expansion finanziert. In der rumänischen Provinz züchten die Deutschen ihre Störe. Ein Teil wird in der Donau ausgesetzt, schließlich sei die ICC 2006 aus dem Naturschutzbund Eurosturio hervorgegangen, der sich der Aufforstung der Stör-Bestände in der Donau widmet, sagt Schröder. Die meisten Fische landen allerdings beim Schlachter in der Oberpfalz – und dann übernimmt Co-Gesellschafter Stephan Fittkau den Rogen.

Fittkau lebt seit drei Jahren in Russland und schwimmt buchstäblich wie ein Fisch in der High Society der russischen Metropole. Irgendwann hat der 44-Jährige festgestellt, dass "den Russen der russische Kaviar nicht mehr so richtig schmeckt". Als im Herbst die Importbeschränkungen für Kaviar gelockert wurden, gründete Fittkau in Moskau die ICC-Schwestergesellschaft Imperskaja Ikra Russia (IIR), die insbesondere den Vertrieb des teuren Zarenkaviars aus der Oberpfalz übernimmt.

Zuchtkaviar wird in Deutschland salonfähig

"Der Stör ist ein Ferkel", erklärt Fittkau bei Degustationen, "er frisst alles, was ihm in den Kiefer kommt." Deswegen sei Wildkaviar aus dem schmutzigen Kaspischen Meer nicht zwingend besser als Zuchtkaviar. Zumal viele russische Hersteller eine starke Prise Salz in den Kaviar mischen, was nicht jeden Gourmet begeistert. Mittlerweile hat Fittkaus Kaviar-Marketing Erfolg: Zumindest westeuropäisch geführte Fünf-Sterne-Hotels wie das Kempinski-Baltschug bestellen ihren Kaviar bei IIR.

Ungefährlich ist Fittkaus Vertriebsjob freilich nicht, denn im Grunde legt er sich mit der russischen Mafia an, die den Kaviarhandel bislang unter ihrer Kontrolle hat. "Wir operieren in einem anderen Qualitäts- und Kundensegment als die russischen Wettbewerber", sagt der Deutsche, der sich nicht in Gefahr für Leib und Leben wähnt. Trotzdem ist er in Moskau zumeist mit einem Personenschützer unterwegs.

Den Deutschen kommt zupass, dass der Zuchtkaviar mittlerweile salonfähig ist, allein die First-Class-Passagiere der Lufthansa verzehrten 2009 achteinhalb Tonnen eines italienischen Produzenten. Auch in der Moskauer Top-Gastronomie ist er akzeptiert. Nico Giovanoli, Director Food and Beverages im Fünf-Sterne-Hotel Kempinski Baltschug, kennt die unterschiedliche Qualität bei Kaviar von wilden Stören. Konsistenz und Zustand der Eier seien unterschiedlich, je nachdem in welchem Bereich des Eierstocks sie sich befinden, erklärt der Gourmet. Russische Produzenten aber rühren den Rogen zusammen. Natürlich gebe es auch bei Zuchtkaviar Qualitätsunterschiede, aber "meistens ist er geschmacklich näher dran an den Wünschen der Kunden", sagt Giovanoli, der es für einen Mythos hält, dass wilder Kaviar generell besser schmeckt als jener aus europäischen Zuchtbetrieben.

Obacht beim Wildkaviar

Es ist aber nicht nur die Qualität, deretwegen Gourmet Giovanoli die Finger von Wildkaviar lässt. Vielmehr sorgt sich Giovanoli darum, dass der Kaviar legal bezogen wurde. „In Moskau kann ich auf jedem Markt problemlos schwarzen Wildkaviar kaufen, der offiziell als Zuchtkaviar deklariert ist“, sagt Giovanoli, „meist stammt der Rogen aber aus illegaler Fischerei.“ Und das kann zum Verhängnis werden. Denn regelmäßig sind Staatsgäste zu Besuch, deren Sicherheitsleute in den Kühlschrank schauen. „Und wenn die Beluga-Kaviar ohne Cites-Zertifikat finden, dann können die uns die Küche dichtmachen.“

Hoffen auf den Kaviar-Boom

Durchaus erleichtert ist Giovanoli, dass sein Hotel neuerdings exklusiven Kaviar legal importieren kann. Mit dem goldenen Zarenkaviar aus der Oberpfalz hat er kürzlich zur Silvesterparty einen Testlauf gestartet. In seiner elitären Herberge, die der Fluss Moskwa vom verschneiten Roten Platz trennt, servierte Giovanoli dieses Jahr Kaviar in großem Stil: Statt etwas Rogen auf die Häppchen zu träufeln, konnten die Gäste die Luxuskost mit dem Perlmuttlöffel aus der Schale löffeln.

In den oberen Etagen des Kempinski Baltschug hofft man auf eine Rückkehr des Kaviar-Booms der Neunzigerjahre. Damals setzte das Hotel sogar jenseits der Küche rund 100 Kilo Kaviar pro Woche an – ein lukullisches Mitbringsel für deutsche Geschäftsleute, die im damals noch exotischen Moskau unterwegs waren. In den letzten zwei, drei Jahren kaufen die Kunden noch zehn Kilo Kaviar pro Woche, selbst kurz vor dem Jahreswechsel war der Kaviar-Einzelhandel für die Hotels nur ein Nischengeschäft.

Doch der Trend geht in Richtung Kaviar, glaubt der Kempinski-Einkäufer Nico Giovanoli. Spätestens nächstes Jahr will er in der Bibliothek, wo Besucher einen exklusiven Blick auf den Kreml genießen können, eine Kaviar-Bar einrichten. "Die Gäste sind bereit, für den Rogen sehr viel Geld auszugeben." Und Kaviar ist die Luxusdelikatesse der Russen, die sie sich nicht nur zu Silvester gönnen.

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