Klinikdirektor Ganser "Der Zusatznutzen für Patienten ist oft null"

Klinikdirektor Arnold Ganser glaubt, dass Patienten nicht leiden würden, wenn manche Medikamente viel weniger kosteten.

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Arnold Ganser

WirtschaftsWoche: Herr Professor Ganser, müssen Medikamente so teuer sein, wie sie es heute sind?

Ganser: Nein, ganz sicher nicht. Jedenfalls nicht alle. In der Onkologie – für die kann ich am besten sprechen – liegen alle neu zugelassenen Präparate zumeist in einer Preiskategorie von 5000 bis 10.000 Euro pro Monat. Deutschland ist das einzige große Land, in dem die Hersteller Preise für patentgeschützte Arzneimittel frei festsetzen können. Sie orientieren sich ausschließlich an der hohen Kaufkraft der Menschen hierzulande.

Der hohe Preis hat also nichts mit den Forschungs- oder Herstellungskosten zu tun?

Nein. Wir haben zum Beispiel sehr alte Medikamente wie das Thalidomid, das in den Sechzigerjahren unter dem Namen Contergan als Schlafmittel zu trauriger Berühmtheit kam. Es ist jetzt erneut als Krebsmedikament zugelassen. Aber es ist weder neu noch teuer in der Herstellung. Dennoch bezahlt der Patient etwa 5000 Euro pro Monat dafür. Oder Arsentrioxid, das bei bestimmten Leukämiearten sehr hilfreich ist. Es kostet Pfennigbeträge in der Herstellung, aber 25.000 Euro im Behandlungszyklus.

Und wie groß sind die Preisunterschiede bei der Behandlung einer Krankheit zwischen bisherigem und neuem Präparat?

Da kann sich der Preis von vorher 200 bis 300 Euro monatlich im Extremfall auf das 20- bis 30-Fache erhöhen.

Sind die neuen Mittel auch 30-mal so gut?

In der Onkologie wird Fortschritt in zusätzlicher Überlebenszeit der Patienten gemessen. In der Regel geht es da aber nur um einen oder höchstens zwei Monate. In ganz seltenen Fällen zeigt ein neues Medikament so gute Wirkung, dass es die Lebenszeit um ein Jahr oder mehr verlängert. Da würde ich mir so einen Preisunterschied schon gefallen lassen.

Hätten die Patienten Nachteile, wenn die Medikamente nicht so teuer wären?

Nein, in der Regel nicht. Natürlich müssen wirklich neue und innovative Medikamente auch einen gewissen Preis haben, der das Risiko, mit einer Entwicklung zu scheitern, genauso abdeckt wie die hohen Kosten, die durch die Sicherheitsvorgaben der Behörden für Tests am Menschen entstehen. Doch das rechtfertigt nicht jeden Traumpreis. Und es gibt jede Menge Scheininnovationen.

Zum Beispiel?

Wenn ein Medikament gegen einen zuvor unbehandelbaren Tumor auf den Markt kommt, folgt meist noch eine Serie ähnlicher Substanzen. Deren Hersteller waren nicht ganz so schnell, wollen aber einen weiteren Preisaufschlag. Der Zusatznutzen für den Patienten ist oft null. Bei nur leicht veränderten Nachfolgeprodukten nach einem Patentablauf ist das ähnlich. Gerade dann fließen riesige Summen ins Marketing.

Rennen Pharmareferenten Ihnen immer noch die Tür ein?

Mir nicht, denn in meiner Abteilung habe ich Vertreterbesuche vor zwei Jahren untersagt. Seit der Klinikapotheker bestätigte, dass er an den verordneten Medikamenten genau ablesen kann, welcher Vertreter auf welcher Station war, gilt das Verbot für die gesamte Medizinische Hochschule Hannover.

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