Konzernumbau Das Trauma bei der Deutschen Post

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Vorstandsvorsitzende der Quelle: dpa

Viel Zeit hat Appel für sein Programm nicht. Denn die Post steht finanziell weniger solide da, als sie es bisher glauben machte. Zwar ging die Postbank unlängst für 4,9 Milliarden Euro an die Deutsche Bank. Doch das Risiko, Geld einzuschießen, bleibt vorläufig bei Appel. Die Postbank hat so wenig Eigenkapital, dass sie laut Analysten bald eine Kapitalerhöhung braucht. Auch der Mutterkonzern selbst schwimmt nicht gerade in Geld, sondern spürt gewaltige Schulden. „Sie sind größer, als sie auf den ersten Blick erscheinen“, sagt Menno Sanderse, Analyst bei Morgan Stanley. „Das Unternehmen hat auch neun Milliarden Euro Pensionsverbindlichkeiten und Leasingverträge im Wert von sieben Milliarden Euro.“ Diese Kosten belasten das laufende Geschäft jedes Jahr zusätzlich.

Vor diesem Hintergrund wird Appel versuchen, aus der überragenden Profitquelle Brief herauszuholen, was nur geht. Und das, obwohl es in der Sparte rumort wie kaum sonst wo im Konzern. So reduzierte die Post die Zahl der Zusteller in den vergangenen neun Jahren von 96 000 auf heute 80 000. Parallel dazu wurden Zustellbezirke, die ein Briefträger bedienen muss, um bis zu 30 Prozent vergrößert. Als die Belastung des Personals zu überborden drohte, stellte Appel befristet bis Mai 1000 neue Zusteller ein und bot 1300 Auszubildenden Voll- statt Teilzeitstellen an. Doch der flächendeckende Erfolg blieb aus.

Mitarbeiter beschweren sich über hohe Belastung

In Düsseldorf klagen Zusteller noch immer über 250 000 Überstunden aus dem Jahr 2008 — das sind rund 120 Stunden oder gut drei Wochen pro Person. 75 neue Mitarbeiter seien inzwischen hinzugekommen. Aber „uns fehlen immer noch 125 Leute“, sagt Betriebsratschef Norbert Moll. Wie groß der Druck inzwischen ist, beweist ein internes Schreiben von Brief-Vorstand Jürgen Gerdes an die Mitarbeiter zum Jahresende 2008, das der WirtschaftsWoche vorliegt. Anlass war eine konzernweite Befragung, bei der sich mehr als 100 000 Mitarbeiter über die hohen Belastungen beschwerten. Die Stimmungslage ist „insgesamt kritischer geworden“, gestand Gerdes, der „Rückgang der allgemeinen Zufriedenheit“ beschäftige ihn sehr.

Ein großer Teil der Wut rührt offenbar auch von der mangelhaften Kommunikation zwischen Basis und Zentrale. Kaum eine Entscheidung in der Region, so der weitverbreitete Eindruck, läuft ohne Bonner Segen. Der Leiter einer Niederlassung mit rund 4000 Beschäftigten musste kürzlich die Entfristung eines Mitarbeiters in der Zentrale genehmigen lassen. Bei manchem Postler heißt der Konzerntower in Bonn nur noch „Tempel des Wahnsinns“.

Brief-Vorstand Gerdes ficht das bisher wenig an. Stattdessen spart er, wo er nur kann. Im Vertrieb schaltet Gerdes konsequent auf konzernfremde Postagenturen und Post Points um – meist in Kleinstädten und Gemeinden. Kioskbesitzer, Autohändler oder Supermarktbetreiber nehmen Pakete an, verkaufen Briefmarken und bearbeiten Einschreiben. Doch die Fluktuation ist groß, im Düsseldorfer Stadtteil Vennhausen wechselte der Standort der Post-Filiale innerhalb von fünf Jahren gleich viermal: von einer Lotto-Annahmestelle über einen Buch- und Billigwarenladen und eine Autowerkstatt hin zu einem Getränkemarkt, wo Kunden jetzt zwischen Kartoffelsäcken und Bierkästen Briefe aufgeben und Postbank-Geschäfte erledigen können. Die Konsequenzen sind ein Qualitätsverlust und deutschlandweiter Groll von Bürgermeistern, Abgeordneten und Verbrauchern.

Gleichzeitig kündigt sich Ungemach an, der die Briefsparte in ihrem Kern treffen würde. Der Mindestlohn in Höhe von 8 bis 9,80 Euro pro Stunde, der Wettbewerber bislang vom großangelegten Einstieg in das Geschäft abhielt, wurde in der jetzigen Form für ungültig erklärt. Nun muss das Bundesverwaltungsgericht entscheiden. Kippt der Mindestlohn, stehen Wettbewerber wie die niederländische Post bereit, deutschlandweit im Briefgeschäft anzugreifen. Gleiches muss Post-Vorstand Gerdes fürchten, wenn er die exklusive Umsatzsteuerbefreiung verliert, über die gerade die Politiker beraten. Und schließlich droht das Geschäft mit Behördenbriefen wegzubrechen. Die Ämter tüfteln an einem Projekt namens „De-Mail“. Dahinter verbirgt sich eine gesicherte E-Mail-Adresse für jeden Bundesbürger, über die er künftig Behördengänge online erledigen soll. Ein Pilotprojekt läuft ab Sommer in Friedrichshafen am Bodensee. 2010 will das Bundesinnenministerium mit dem Serienstart beginnen. Ein Erfolg wäre für die Post ein Fiasko.

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