Konzernumbau Das Trauma bei der Deutschen Post

In Kürze stellt Vorstandschef Frank Appel seine Umbaupläne für die Deutsche Post vor. Die letzten Jahre unter Vorgänger Klaus Zumwinkel wurden zur schweren Belastung für den Konzern. Milliardenverluste, unzufriedene Mitarbeiter, mangelhafte Qualität, schwindende Gewinne – nur ein Neuanfang kann die Wende bringen.

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8 Milliarden Euro versenkte Quelle: dpa/dpaweb

Wer die Nöte von Post-Chef Frank Appel aus der Nähe erleben will, muss den schlaksigen 1,91-Meter- Mann bei einem seiner spontanen Auftritte an der Unternehmensbasis begleiten. Als im vergangenen Herbst wegen Personalmangels Hunderttausend Briefe und Päckchen liegen blieben, nutzte Appel eine Lücke im Terminkalender, um unangemeldet die Post-Niederlassung im Hamburger Süden zu besuchen, wo die Probleme offenkundig kulminierten. „Ich wollte mit den Leuten reden und nicht mit Führungskräften und Betriebsräten“, begründete er seinen Trip an die Alster.

Appel bekam die Breitseite, die er befürchtete. „Wenn ich flott arbeite, kriege ich als Dank eine Straße mehr“, klagte ein Zusteller über das explodierende Arbeitspensum, bei dem Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit auf der Strecke blieben. Für die Vorgaben der Konzernzentrale, trotzdem die Qualität und Kundenorientierung zu steigern, erntete Appel nur Hohn. „Von euren Programmen in Bonn“, spottete ein Mitarbeiter, „sind wir so weit entfernt wie Hamburg von Hawaii.“

Viele Brennpunkte bei der Deutschen Post

Auf Brennpunkte wie in Hamburg stößt Appel bei der Post fast nur noch, seit er im April vergangenen Jahres Konzernchef Klaus Zumwinkel beerbte, der wegen Steuerhinterziehung zurücktreten musste. Das Ergebnis des 55 Milliarden Euro Umsatz schweren Konzerns hängt entscheidend von der Briefbeförderung ab, bei der die Post dank des jahrzehntelangen Monopols noch immer den Markt beherrscht. Standardbriefe und Werbesendungen steuern mehr als 80 Prozent zum operativen Konzerngewinn bei — so viel wie beim Börsengang vor acht Jahren. Doch die Renditen werden nicht halten, Wettbewerber und Stagnation beim Briefaufkommen rücken unaufhaltsam näher.

Richtig krank ist das Paket- und Expressgeschäft. In Europa sind klassische Paketdienste geradezu übermächtig. In den USA bringen eilige, termingebundene Sendungen horrende Verluste, ohne dass ein überzeugender Ausweg greifbar ist. Und die weltweite Wirtschaftskrise zieht jetzt auch noch den Logistikbereich nach unten. In den kommenden Monaten drohen dort Rückgänge bei der Sendungsmenge von bis zu 20 Prozent.

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Doch nun, knapp ein Jahr im Amt, holt Appel aus zur großen Volte. Unter höchster Geheimhaltung bastelt er seit Wochen an einem neuen Konzept mit dem Arbeitstitel „Strategie 2015“. Der Plan soll die fast 19-jährige Ära Zumwinkel besiegeln und den 31-prozentigen Staatskonzern zu neuen Ufern führen. Einzelheiten sollen Führungskräfte auf einer Strategiesitzung Anfang März erfahren. Erste Hinweise wird Appel vermutlich bei der Vorstellung der 2008er-Zahlen kommende Woche geben.

Für Appel ist die neue Strategie überlebenswichtig. Nur bei Erfolg kann er sich von seinem Vorgänger abkoppeln, dem er seinen eigenen Aufstieg, aber auch die gegenwärtige Misere zu verdanken hat. Die letzten zehn Jahre unter Zumwinkel haben den einstigen Brief- und Paketbeförderer in Staatshand zwar durch mehr als 100 Firmenübernahmen zum weltweit größten Logistikkonzern gemacht. Auffälligstes Ergebnis der Expansion ist jedoch der erste, dazu milliardenschwere Verlust seit Börsengang im vergangenen Jahr. „Keiner der Zukäufe“, so das vernichtende Urteil von Ulrich Horstmann, Analyst der BayernLB, „war günstig oder hat die Post profitabler gemacht.“

Klar ist für Insider deshalb: Appel muss zuallererst die Geburtsfehler des zusammengeschusterten Konzerns beseitigen. „Noch immer laufen sowohl einzelne Geschäftsfelder als auch innerhalb der Sparten die Ländergesellschaften nebeneinander her mit unterschiedlichen Prozessen“, sagt ein Weggefährte. In kleinem Kreis im November bei einem Besuch einer Tochtergesellschaft in der Türkei ließ Appel bereits durchblicken: „Wir müssen endlich das Potenzial unseres Portfolios heben.“ Dies sei eine „historische Chance“.

Konkret muss Appel endlich die einzelnen Geschäftsfelder synchronisieren. „Das ist nach Zukauf und Zusammenführung“, weiß Appel, „der überfällige dritte Schritt.“ Dazu wird Appel, so viel zeichnet sich ab, an vielen Stellen gleichzeitig zupacken. Über allem steht der Zwang zu sparen, wo es nur geht, und zwar deutlich mehr als die eine Milliarde Euro, die er für dieses Jahr bereits anvisiert. „Das“, weiß Appel, „ist ja nicht mal ein Prozent unserer Kostenbasis.“ Damit scheinen tiefe Einschnitte programmiert, auch beim Personal.

Zudem wird Appel nicht umhinkommen, die Unternehmenskultur zu modernisieren. Bislang waren Entscheidungsprozesse streng hierarchisch auf Zumwinkel zugeschnitten — ohne ihn und das Okay seines Bonner Machtzentrums lief nichts im Konzern. Dafür ist Appel überhaupt nicht der Typ. Er wird Verantwortung nach unten delegieren und Innovationen forcieren, sagen Berater, damit das Kerngeschäft belebt wird.

Die Briefbeförderung etwa, die Ende 2007 ihr Monopol verlor, lebte in den vergangenen Jahren vor allem von ihren Pfründen, nicht aber von Innovationen und pfiffigen Geschäftsideen. Inzwischen arbeitet ein Projektteam an einem Angebot, das die Briefzustellung an fünf und – gegen einen Aufpreis – an sieben Wochentagen ermöglicht. Das erfuhr die WirtschaftsWoche aus unternehmensnahen Kreisen.

Vorstandsvorsitzende der Quelle: dpa

Viel Zeit hat Appel für sein Programm nicht. Denn die Post steht finanziell weniger solide da, als sie es bisher glauben machte. Zwar ging die Postbank unlängst für 4,9 Milliarden Euro an die Deutsche Bank. Doch das Risiko, Geld einzuschießen, bleibt vorläufig bei Appel. Die Postbank hat so wenig Eigenkapital, dass sie laut Analysten bald eine Kapitalerhöhung braucht. Auch der Mutterkonzern selbst schwimmt nicht gerade in Geld, sondern spürt gewaltige Schulden. „Sie sind größer, als sie auf den ersten Blick erscheinen“, sagt Menno Sanderse, Analyst bei Morgan Stanley. „Das Unternehmen hat auch neun Milliarden Euro Pensionsverbindlichkeiten und Leasingverträge im Wert von sieben Milliarden Euro.“ Diese Kosten belasten das laufende Geschäft jedes Jahr zusätzlich.

Vor diesem Hintergrund wird Appel versuchen, aus der überragenden Profitquelle Brief herauszuholen, was nur geht. Und das, obwohl es in der Sparte rumort wie kaum sonst wo im Konzern. So reduzierte die Post die Zahl der Zusteller in den vergangenen neun Jahren von 96 000 auf heute 80 000. Parallel dazu wurden Zustellbezirke, die ein Briefträger bedienen muss, um bis zu 30 Prozent vergrößert. Als die Belastung des Personals zu überborden drohte, stellte Appel befristet bis Mai 1000 neue Zusteller ein und bot 1300 Auszubildenden Voll- statt Teilzeitstellen an. Doch der flächendeckende Erfolg blieb aus.

Mitarbeiter beschweren sich über hohe Belastung

In Düsseldorf klagen Zusteller noch immer über 250 000 Überstunden aus dem Jahr 2008 — das sind rund 120 Stunden oder gut drei Wochen pro Person. 75 neue Mitarbeiter seien inzwischen hinzugekommen. Aber „uns fehlen immer noch 125 Leute“, sagt Betriebsratschef Norbert Moll. Wie groß der Druck inzwischen ist, beweist ein internes Schreiben von Brief-Vorstand Jürgen Gerdes an die Mitarbeiter zum Jahresende 2008, das der WirtschaftsWoche vorliegt. Anlass war eine konzernweite Befragung, bei der sich mehr als 100 000 Mitarbeiter über die hohen Belastungen beschwerten. Die Stimmungslage ist „insgesamt kritischer geworden“, gestand Gerdes, der „Rückgang der allgemeinen Zufriedenheit“ beschäftige ihn sehr.

Ein großer Teil der Wut rührt offenbar auch von der mangelhaften Kommunikation zwischen Basis und Zentrale. Kaum eine Entscheidung in der Region, so der weitverbreitete Eindruck, läuft ohne Bonner Segen. Der Leiter einer Niederlassung mit rund 4000 Beschäftigten musste kürzlich die Entfristung eines Mitarbeiters in der Zentrale genehmigen lassen. Bei manchem Postler heißt der Konzerntower in Bonn nur noch „Tempel des Wahnsinns“.

Brief-Vorstand Gerdes ficht das bisher wenig an. Stattdessen spart er, wo er nur kann. Im Vertrieb schaltet Gerdes konsequent auf konzernfremde Postagenturen und Post Points um – meist in Kleinstädten und Gemeinden. Kioskbesitzer, Autohändler oder Supermarktbetreiber nehmen Pakete an, verkaufen Briefmarken und bearbeiten Einschreiben. Doch die Fluktuation ist groß, im Düsseldorfer Stadtteil Vennhausen wechselte der Standort der Post-Filiale innerhalb von fünf Jahren gleich viermal: von einer Lotto-Annahmestelle über einen Buch- und Billigwarenladen und eine Autowerkstatt hin zu einem Getränkemarkt, wo Kunden jetzt zwischen Kartoffelsäcken und Bierkästen Briefe aufgeben und Postbank-Geschäfte erledigen können. Die Konsequenzen sind ein Qualitätsverlust und deutschlandweiter Groll von Bürgermeistern, Abgeordneten und Verbrauchern.

Gleichzeitig kündigt sich Ungemach an, der die Briefsparte in ihrem Kern treffen würde. Der Mindestlohn in Höhe von 8 bis 9,80 Euro pro Stunde, der Wettbewerber bislang vom großangelegten Einstieg in das Geschäft abhielt, wurde in der jetzigen Form für ungültig erklärt. Nun muss das Bundesverwaltungsgericht entscheiden. Kippt der Mindestlohn, stehen Wettbewerber wie die niederländische Post bereit, deutschlandweit im Briefgeschäft anzugreifen. Gleiches muss Post-Vorstand Gerdes fürchten, wenn er die exklusive Umsatzsteuerbefreiung verliert, über die gerade die Politiker beraten. Und schließlich droht das Geschäft mit Behördenbriefen wegzubrechen. Die Ämter tüfteln an einem Projekt namens „De-Mail“. Dahinter verbirgt sich eine gesicherte E-Mail-Adresse für jeden Bundesbürger, über die er künftig Behördengänge online erledigen soll. Ein Pilotprojekt läuft ab Sommer in Friedrichshafen am Bodensee. 2010 will das Bundesinnenministerium mit dem Serienstart beginnen. Ein Erfolg wäre für die Post ein Fiasko.

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Ähnlich düster wie im Briefgeschäft sind die Prognosen für das klassische Paketgeschäft, das unter dem Unvermögen der Post-Manager in den vergangenen Jahren leidet. Weil die Post hier keinen staatlichen Schutz genoss, trotzten ihr Wettbewerber wie der DPD, der heute zu einer Tochter der französischen Post gehört, GLS, inzwischen eine Tochter der britischen Post, sowie Hermes, ein Ableger des Handelsriesen Otto, mehr als die Hälfte des Marktes ab. Für Hermes nehmen inzwischen rund 13.500 Kioskbesitzer, Getränkemärkte oder Lotto-Toto-Annahmestellen Pakete an, mehr als die Post Filialen unterhält.

Das Paketnetz der Deutschen Post „hat große Schwierigkeiten“, sagt der Hamburger Unternehmensberater Horst Manner-Romberg. Seit Jahren kämpft die Post gegen rote Zahlen in dem personal- und fixkostenintensiven Geschäftszweig innerhalb Deutschlands. Der Wettbewerb zwang sie vor drei Jahren zu Preissenkungen um rund 30 Prozent. Ein Versuch, die Kosten zu drücken, sind die mittlerweile rund 1500 Packstationen, deren Einführung Appel einst selbst verantwortete. Doch es sieht nicht danach aus, dass sich die hohen Anschaffungs- und Betriebskosten bald amortisieren. Eine Unternehmensberatung hatte im Herbst 2008 eine Woche lang die Anzahl der Abholungen in Hamburg und Mainz ausgewertet. Ergebnis: Am Tag kamen nur 19 Kunden, die ein Paket abholten — die Kapazität liegt bei 100 Paketen pro Packstation. Wettbewerber verzichten auf diesen Aufwand und seien „viel schlanker aufgestellt“, sagt Berater Manner-Romberg.

Gilt die Deutsche Post bei der Paketbeförderung im Heimatmarkt noch als Marktführer, hat sie nach Schätzung von Experten in Europa das Nachsehen. In Großbritannien etwa kommt Hermes auf 24 Prozent Marktanteil gegenüber fünf Prozent der Post. Erst kürzlich, fast neun Jahre nach Zumwinkels großer Einkaufstour in den Nachbarländern, schuf die Post einen neuen Geschäftsbereich, der zusammen mit den nationalen staatlichen Postgesellschaften ein funktionierendes europäisches Paketnetz aufziehen soll.

Wirtschaftskrise belastet Kuriergeschäft

Auch das Expressgeschäft, also die Beförderung termingebundener Sendungen, die als erhoffte stabile Säule die erwarteten Gewinnrückgänge im Briefgeschäft wettmachen sollte, fällt zurzeit aus. Hier ist die Post seit dem Kauf des internationalen Kurierdienstes DHL zu Beginn dieses Jahrzehnts zwar weltweit Marktführer. Doch die Wirtschaftskrise trifft den schnellen Transport von Dokumenten und Paketen mit voller Wucht. Der Geschäftsbereich, der jedes Jahr mehr als 13 Milliarden Euro Umsatz macht, ist mit seiner festen Flugzeug- und Lkw-Flotte besonders kapitalintensiv. Ein Unternehmen, das verspricht, am nächsten Tag auszuliefern, muss auch laufen, wenn wie zurzeit nur wenige Dokumente eingehen. Nach Schätzung von Experten dürfte das Sendevolumen in den vergangenen Monaten im zweistelligen Prozentbereich gesunken sein. Im dritten Quartal 2008 war das operative Ergebnis bereits negativ — und dürfte es bis heute sein.

Damit hat sich Express endgültig zur Problemsparte der Post entwickelt. Im vergangenen Jahr sorgte das US-Geschäft für den ersten Konzernverlust seit dem Börsengang. Beim Expressversand von Dokumenten innerhalb Amerikas, also etwa von Washington nach San Francisco, zahlte der Konzern in den vergangenen Jahren mindestens 7,5 Milliarden Euro drauf. DHL vermochte nicht, die Platzhirsche UPS und FedEx um ihre Pfründen zu bringen.

Für Appel wird das US-Abenteuer nun zum gefährlichen Stolperstein. Denn er entschied im vergangenen Jahr, aus dem inneramerikanischen Expressgeschäft auszusteigen und Sendungen aus Europa oder Asien künftig von UPS an Zielorte in den USA weitertransportieren zu lassen. Doch die erhoffte Kooperation gibt es noch immer nicht. Während Appel überzeugt ist, UPS nehme das DHL-Transportvolumen gerne an, hielt UPS-Chef Scott Davis Anfang Februar eine Übereinkunft für „äußerst schwierig“. Die Transportmenge, die DHL bringe, sei zu gering. Nicht auszuschließen, dass UPS den deutschen Erzrivalen ganz aus dem Heimatmarkt jagen will.

Allein die Logistiklösungen, also die komplette Lagerung, Beförderung und Verteilung von Gütern, gelten im Konzern noch als stabiles Segment. Allerdings sind sich Experten einig, dass der Kauf des britischen Logistikers Exel im Jahr 2005 für 5,5 Milliarden Euro ein teures Investment war. So schrieb Finanzchef John Allan erst vor einem Monat fast eine Milliarde Euro des Firmenwertes ab, mit dem Exel in der Post-Bilanz steht. Damit sorgte er für Nervosität bei den Anlegern. Das sei „ein klares Zeichen, dass es auch dort nicht 100-prozentig rund läuft“, sagt Jochen Rothenbacher, Analyst bei Equinet.

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Dennoch steckt in dem Geschäft Potenzial — selbst in der Krise. „Mehr denn je drücken alle Unternehmen ihre Logistikkosten“, sagt Appel. „Deswegen werden die zusätzliches Geschäft an Dritte auslagern.“ Erst kürzlich bekam DHL den Auftrag für die Auslieferung der Bordverpflegung für Europaflüge von British Airways in Höhe eines dreistelligen Millionenbetrages. In den ersten neun Monaten 2008 verzeichnete DHL sogar weltweit Neugeschäft mit einem jährlichen Umsatzvolumen von rund einer Milliarde Euro. Zudem verlängern 90 Prozent der Kunden ihre Verträge — das Geschäft scheint eine sichere Bank.

Ging Zumwinkel als Konzernschmied und Visionär in die Geschichte ein, wird sich Appel als Kärrner einen Namen machen müssen. Vorboten der neuen Gangart zeigen sich im neuen DHL-Umschlagzentrum am Leipziger Flughafen. Unter Appel ist der graue Alltag eingekehrt. In Leipzig versuchen seine Leute gerade zu erreichen, dass 1000 Mitarbeiter freiwillig ihre Arbeitszeiten von 40 auf 30 Wochenstunden gegen eine Prämie von 6000 Euro senken.

Um Entlassungen wird Appel künftig nicht herumkommen. In der Branche sind „die Personalkosten mit einem Anteil von 60 Prozent der mit Abstand größte Brocken“, weiß Erich Gampenrieder, Experte der Beratung Accenture. Auch das Briefgeschäft mit seinen 150.000 Beschäftigten wird wohl gut 400 Millionen Euro zum Sparvolumen beitragen müssen. Der Vertrieb, der mit rund 3000 Leuten die größten Firmenkunden betreut, soll besonders bluten — noch im ersten Quartal könnte jede zehnte Stelle entfallen. Aber auch im Expressgeschäft und in der Logistik stehen Kürzungen an. „Hier muss weltweit restrukturiert werden“, heißt es in einer Studie der Investmentbank JP Morgan.

Technische Innovationen im Briefgeschäft

Dabei wird Appel weit über das eingeleitete Ein-Milliarden-Sparprogramm hinausgehen. Flexibilisierung sei für ihn eines „der ganz wichtigen Themen“, sagt er. Dazu dürfte laut Insidern auch die Kappung des Ende 2009 auslaufenden Friedensvertrags zwischen Konzern und Gewerkschaften gehören. Der verhindert zurzeit, dass die Post in ihren 53.000 Zustellbezirken auch Subunternehmer anstelle eigener Briefträger einsetzt. Bei der Paketzustellung darf die Post nur in 800 Bezirken fremde Kräfte einsetzen. Appel wird Druck machen, da sind sich Experten einig, mehr Arbeit nach draußen zu verlagern.

Im Gegenzug dürfte endlich neuer Wind in die Briefsparte fahren. Jahrzehntelang vom staatlichen Monopol narkotisiert, könnte das Geschäft unter Appel erstmals von nennenswerten Innovationen profitieren. Das neue Handy-Porto, bei dem die Verbraucher mithilfe von SMS einen Brief frankieren, wird wohl erst der Anfang sein. So gehört zu Appels „Strategie 2015“ auch das Projekt „Hybrid Post 2“. Dabei werden Briefe von Unternehmen zunächst an die Post gemailt und dann per Papierausdruck an den Empfänger weitergeschickt werden. Wie die WirtschaftsWoche erfuhr, hat sich die Post mit ausländischen Postgesellschaften auf einen Übertragungsstandard geeinigt, der den sicheren Versand eines Briefes von Europa etwa nach China statt in acht Tagen in wenigen Stunden ermöglicht – und ein Drittel weniger kostet.

Unter Hochdruck arbeitet Appel offenbar auch an Änderungen beim Brief. Für das bisherige Porto gäbe es dann die Zustellung von Dienstag bis Samstag, gegen ein höheres Entgelt auch am Sonntag und Montag. Allerdings bedürfte es dazu der Änderung der gegenwärtigen gesetzlichen Bestimmungen in Deutschland. Vollends in die Niederungen des operativen Geschäfts wird sich Appel begeben müssen, wenn er Rationalisierungsreserven heben will, die weit in die Vergangenheit zurückreichen. So ließ Zumwinkel vor 15 Jahren 33 Verteilzentren für Paket- und 83 für Briefbeförderung errichten. Berater halten diese Hubs inzwischen für zu teuer und ineffizient. Eine teilweise Zusammenlegung könnte die Kosten entscheidend senken.

Experten trauen Appel zu, dass er mit seiner „Strategie 2015“ die Post voranbringt. In einem Punkt dürfte sich der Ex-McKinsey-Berater und promovierte Neurobiologe aber schwertun: im Umgang mit Politikern. „Hier ist es fast unmöglich aus dem Schatten seines Vorgängers Zumwinkel herauszutreten“, sagt Elmar Müller vom Deutschen Verband für Post, Informationstechnologie und Telekommunikation (DVPT). Appel selbst sieht das pragmatisch. „Wir brauchen die Rückendeckung der Politik, aber auch die Politik braucht unsere“, sagte er unlängst im kleinen Kreis. „Schließlich sind wir in der Logistik hierzulande einer der letzten Arbeitgeber für einfache Jobs, die nicht exportiert werden können.“

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