Korruption Freiwillige Selbstkontrolle der Pharmaindustrie wirkungslos

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Mehr Zeit zu lassen scheint er sich in einem anderen Fall, von dem Mediziner Ludwig berichtet, der im Hauptberuf am Helios-Klinikum in Berlin-Buch arbeitet. Das Pharmaunternehmen AstraZeneca biete den Ärzten der Helios-Kliniken einen Diagnose-Test für Lungenkrebspatienten kostenlos an. Der Test gibt Auskunft darüber, ob AstraZenecas Lungenkrebsmittel Iressa bei Patienten anschlägt.

„Erstmals können Sie damit Lungenkrebspatienten eine personalisierte Therapie anbieten“, wirbt AstraZeneca dazu in einer „Aktuellen Information“ an die Ärzte. Doch das stimme so nicht, sagt Ludwig. Denn tatsächlich existiere mit Tarceva von Roche ein weiteres Medikament, auf das Lungenkrebspatienten mit einem positiven Testergebnis ansprechen. Helios sieht deswegen in dem Angebot von AstraZeneca die „unlautere Beeinflussung einer medizinischen Therapie“ – und einen Verstoß gegen den FSA-Kodex Paragraf 6, Absatz 1 („...dürfen in ihren Diagnose-, Verordnungs- und Beschaffungsentscheidungen nicht in unlauterer Weise beeinflusst werden.“).

„Pharmaindustrie benutzt die Selbstkontrolle zur Imagepflege“

Im Januar bat die Klinik-Einkaufsleiterin Adelheid Jakobs-Schäfer den FSA um Klärung. Viel passiert ist seither nicht. „Die Bearbeitungsdauer hinterlässt den Eindruck, dass eine Aufklärung nicht gewünscht ist“, sagt Jakobs-Schäfer. Der FSA möchte sich dazu – weil es sich um ein laufendes Verfahren handelt – nicht äußern. AstraZeneca betont, dass für diese Behandlung ausschließlich Iressa zugelassen ist.

Folglich hält sich der vortragsreisende Grusa denn auch immer ein Hintertürchen offen: „Ich schließe nicht aus, dass im Einzelfall noch was schiefläuft.“

Am Ende seines Auftritts in Göttingen scheinen Studenten und Professoren nicht wirklich überzeugt zu sein. „Die Pharmaindustrie benutzt die Selbstkontrolle zur Imagepflege“, sagt der Medizinrechtler Gunnar Duttge.

Ein anderer Teilnehmer der Runde regt an, dass die Pharmaunternehmen ein unabhängiges Institut finanzieren sollten, das dann Arzneimittelstudien – vor der Zulassung eines Medikaments – durchführt. Denn bei pharmafinanzierten Studien fallen unerwünschte Ergebnisse schon mal unter den Tisch, wie die Arzneimittelkommission kürzlich wieder nachweisen konnte.

Grusa sieht nicht so aus, als würde ihm dieser Vorschlag gefallen. Der sonst so humorvolle FSA-Geschäftsführer wird ganz ernst: „Es ist wichtig, dass sich Pharmaunternehmen und Ärzte direkt austauschen. Dafür legt der FSA-Kodex die Spielregeln fest.“

Der Selbstkontrollverein möchte sich selbst lieber nicht kontrollieren lassen. 

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