Krankenversicherung Wie krank ist ihre Kasse?

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Grafik: Wie funktioniert die Rettung der Kassen? (bitte klicken)

Kassen stehen dank ihres Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts unter staatlichem Schutz. Sie sind nicht gewinnorientiert, die Gesundheit von 70 Millionen dort versicherten Bürgern soll nicht nach Soll und Haben organisiert werden. Eine ehrenwerte Haltung. Aber keine Begründung dafür, dass Versicherte nur sparsame Auskünfte über den wirtschaftlichen Status ihrer Kasse bekommen, die sie mit ihren Beiträgen finanzieren und auf die sie sich im Krankheitsfall verlassen müssen.

Keine Kasse muss ihre Bilanzen im Internet veröffentlichen – es hindert sie aber auch keiner daran. Nur rund 20 der 147 Anbieter praktizieren das. „Bei den anderen hat der Kunde keine Ahnung von der Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit seiner Kasse“, beklagt Ernst & Young-Experte Leiding. Hans Unterhuber, Chef der Siemens Betriebskrankenkasse SBK, ergänzt: „Selbst Kassenvorstände mahnen seit Jahren im Gesundheitsministerium und bei der Versicherungsaufsicht mehr Transparenz an, aber die Publizitätspflicht wurde von der Lobby verhindert.“ Aufsicht und Politik sträuben sich.

Die Beitragszahler der GKV müssen sich mit der Summe der Einnahmen, Ausgaben, Verwaltungskosten, den Vorstandsgehältern, Kosten für Leistungsausgaben, der Zahl der Mitglieder und wenigen anderen Angaben begnügen. „Daran erkenne ich nicht mal als Profi, wie solide eine Kasse wirklich aufgestellt ist“, sagt Thomas Thierhoff, Leiter des Finanzbereichs bei der Techniker Krankenkasse. „Und dann kann den Abschluss auch noch die interne Revision prüfen. Sinnvoller wäre die Pflicht zu einem unabhängigen Wirtschaftsprüfer.“

14 Milliarden Euro kreativ ausgewiesen

Experten schätzen, dass rund 14 Milliarden Euro jährlich in einer Form kreativ ausgewiesen werden, wie es das Handelsgesetzbuch verbieten würde. „Jeder GmbH-Geschäftsführer stünde bei dieser Buchhaltung mit einem Bein im Gefängnis“, beschreibt SBK-Chef Unterhuber den Status quo. Er kritisiert zudem das Bundesversicherungsamt als Aufsichtsbehörde und den GKV Spitzenverband als Träger des Haftungsverbundes der Kassen: „Nur das Amt und der GKV Spitzenverband haben die völlige Transparenz, aber sie greifen nicht rechtzeitig durch und werden nicht ausreichend präventiv tätig.“

Ein hessischer BKK-Chef klagt: „Das Bundesversicherungsamt segnet seit Jahren Haushaltspläne ab, die kein Wirtschaftsprüfer testiert hätte.“ Das Amt hält die Vorwürfe für unberechtigt: Die Bilanzierungsregeln seien ausreichend, bei Forderungen nach weiteren Veröffentlichungspflichten sei in erster Linie der Gesetzgeber gefragt, antwortete die Bundesbehörde knapp auf Anfrage der WirtschaftsWoche.

Nach lange überhörtem Flehen fortschrittlicher Kassenmanager nach mehr Transparenz erwägt die Berliner Regierungskoalition nun doch zu handeln. Jens Spahn, gesundheitspolitischer Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, zur WirtschaftsWoche: „Wir wollen, dass die Bilanzen gesetzlich vorgeschrieben offengelegt werden müssen. Die daraus resultierende größere Transparenz nützt auch den Versicherten.“ Nach Informationen der WirtschaftsWoche wird darüber in der Koalition verhandelt. Noch in diesem Jahr könnte eine solche Vorschrift Gesetz werden.

Man mag es kaum glauben: Bisher kennen nicht einmal die Haftungsverbünde der AOKs, IKKs, BKKs und Ersatzkassen alle Zahlen im Detail aus dem eigenen Lager – obwohl die im Pleitefall für Kassen aus dem gleichen Lager zahlen müssen. „Mangels Transparenz haben wir kein ausreichendes Frühwarnsystem, um -Pleiten zu verhindern“, beklagt der hessische BKK-Chef. Er zweifle gelegentlich am Vorteil der Solidargemeinschaft, wenn die für ihn vor allem bedeutet, seine Überschüsse zur Rettung tricksender Konkurrenz einsetzen zu müssen. Zwölf fortschrittliche BKK-Chefs verhandeln seit Monaten über ein solides Finanzcontrolling für alle BKKs, die zusammen knapp 13 Millionen Menschen versichern. Zwei sind schon wieder ausgestiegen.

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