Kunst und Krise Kunst-Leihhäuser verpfänden Schätze der High Society

New Yorks High Society hat Geldsorgen. Bei Kunst-Leihhäusern wie der Art Capital Group verpfändet sie ihre Schätze.

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ACG-Chefs Peck (links) und Baird Ryan: Mit Pfandleihe für Kunst haben sie Erfolge in der Krise Quelle: Laif/Redux

Über Geld reden die besseren Kreise von New Yorks Upper East Side gerne – solange es das der anderen ist. Wenn es um die eigenen Finanzen geht, dann nicht und über akute Geldnöte schon gar nicht. Geld hat man. Aber im Moment eben nicht mehr. Wegen der Finanzkrise sind selbst betuchte Familien oder Personen aus jenem bevorzugten Viertel zwischen dem noblen Plaza-Hotel am Central Park in der 59. Straße bis zum Ende der Museumsmeile in der 96. Straße der gesellschaftlichen Oberklasse plötzlich knapp bei Kasse. „Schon gehört? Annie Leibovitz musste die Rechte an ihren Fotos verpfänden“, tuschelt im Wartezimmer eines Kinderarztes an der Park Avenue eine Mama ihrer Nachbarin zu, während sie ihren einjährigen Sohn auf den Knien wippt. „Hab’ ich in der Zeitung gelesen.“

Die Geschichte über die Verpfändung der Fotorechte der berühmtesten Fotografin der Welt stand nicht etwa in einem der Klatschblätter der Finanzmetropole, sondern in der seriösen „New York Times“. Leibovitz, die mit Aufnahmen von den Rolling Stones und von John Lennon Ruhm erlangte und die Werbekampagnen für American Express und Louis Vuitton schoss, habe die Rechte an ihren Fotografien verpfändet. Sie tat das, um sich bei einer Gesellschaft namens Art Capital Group (ACG) insgesamt 15,5 Millionen Dollar leihen zu können. Nötig wurde das offenbar, weil sie Verpflichtungen wie Hypotheken auf Immobilien abzulösen habe und mit „anderen Finanznöten fertig werden muss“, schrieb das Blatt mit Verweis auf Personen, die Leibovitz gut kennen würden.

Motive für die Kunstverpfändung sind vielfältig

Ihre finanzielle Situation sei „fine“, antwortete die 59-Jährige, die auch als Cheffotografin des amerikanischen Gesellschaftsmagazins „Vanity Fair“ zahlreiche Prominente wie Hillary Clinton fotografierte, per E-Mail so kurz und knapp wie möglich. Doch das Getuschel und die Spekulationen über ihre Finanzlage konnte sie damit nicht beenden. Zunächst machte die Runde, Leibovitz hätte die Kredite aufnehmen müssen, um Erbschaftsteuer zu bezahlen, denn 2004 war ihre langjährige Lebensgefährtin gestorben, die Schriftstellerin Susan Sontag. Doch das sei falsch, recherchierte das New Yorker Schwulenmagazin „Gay City News“. Sontag habe ihr Vermögen ihrem Sohn vererbt. Wahrscheinlicher ist, dass Leibovitz unter anderem wegen mehrerer teurer Rechtsstreitigkeiten und Steuerschulden in finanzielle Not geraten sein könnte.

Die Verpfändung der Leibovitz-Fotos wirft ein Schlaglicht auf ein Geschäft, das sich sonst nahezu komplett im Verborgenen abspielt. Reiche Kunstfreunde, Mäzene, aber auch Galeristen und Museen verpfänden ganze Sammlungen. Sie beleihen berühmte zeitgenössische Künstler, Alte Meister und wertvolle Skulpturen ebenso wie seltene Antiquitäten. „Kunst = Kapital“, heißt eines der bekannten Werke von Joseph Beuys. Doch damit aus Kunst kein totes Kapital wird, vergeben Auktionshäuser, Banken und Gesellschaften wie die Art Capital Group Millionen von Darlehen gegen solche Schätze als Sicherheit.

Die Motive sind vielfältig. „Manche lassen sich Kredite einräumen, um damit mehr Kunst zu kaufen“, sagt Andy Augenblick, Präsident der Emigrant Bank Fine Art Finance, einer Gesellschaft, die sich ebenfalls auf dieses Geschäft spezialisiert hat. Andere hätten in der Vergangenheit das gegen Kunst geliehene Geld in andere Vermögenswerte investiert, sie hätten damit etwa Aktien gekauft, sich an Private-Equity-Gesellschaften beteiligt oder wären bei Hedgefonds eingestiegen. Unternehmer zapfen ihr in Kunst investiertes Geld an, um Kapital ins eigene Geschäft zu stecken. Teils gehe es aber auch nur darum, die Kosten für eine Scheidung zu decken, eine teure medizinische Behandlung zu finanzieren oder die Erbschaftsteuer zu zahlen, ohne den geliebten Warhol gleich unter den Hammer bringen zu müssen.

Die Finanzkrise hat weltweit auch unter denen, die sonst nicht so sehr aufs Geld achten müssen, die Reserven an Barschaft reduziert. Finanzielle Engpässe der Reichen haben das Geschäft mit verpfändeter Kunst deutlich belebt. „Wir haben mehr Anfragen von Kunden bekommen“, sagt Mark Costiglio von der Privatbank Smith Barney, die zur Citibank gehört. Dort bewertet bereits seit 30 Jahren die Spezialabteilung Art Advisory, die erfahrene Kunstexperten beschäftigt, Sammlungen und Einzelstücke vermögender Kunden. Mindestens zehn Millionen Dollar würde ein Darlehen in der Regel betragen, sagt Costiglio.

Ein Grund für die steigende Zahl der Anfragen ist das beliebte amerikanische Gesellschaftsspiel, mit geliehenem Geld zu spekulieren. Wer mit Geld aus einem Kredit aber bei Hedgefonds investierte, erlebte nun unter Umständen ein Desaster.

Leibovitz: Wegen finanzieller Sorgen verpfändete die Fotografin Rechte an ihren Bildern Quelle: REUTERS

Kunden, die ihr Aktienportfolio heftig beliehen haben, bekommen sogenannte Margin Calls von der Bank. Wer dann keine zusätzlichen Sicherheiten einbringen kann, dem droht, dass sein Aktiondepot aufgelöst wird und die Bank die Erlöse behält. Und wie dann noch das Personal bezahlen, die mehrere Tausend Dollar hohe Nebenkostenrechnung für das Apartment am Central Park oder das Schulgeld für die Privatschule der Kleinen?

Die eigenen Immobilien noch höher zu beleihen ist derzeit ebenfalls keine Option: Auch in Manhattan sinken die Immobilienpreise. „Die Situation ist für viele Anleger ein Desaster“, sagt Ian Peck, Gründer und Geschäftsführer der Art Capital Group, „und dann schauen diese Leute an die Wand und sehen den Picasso von der Oma.“ Den könne man doch zu Geld machen. Aber nicht per Notverkauf – das dauert zu lange und bringt nach Abzug von Auktionsgebühren und Steuern oft nur eine enttäuschend kleine Summe.

Der Preisverfall am Kunstmarkt sei „1000-mal schlimmer“ als in den Neunziger jahren, als die von japanischen Käufern aufgeblasenen Preise mangels Nachfrage kollabierten, sagt Peck. Verpfänden – das scheint da für reiche Kunstsammler die Option der Stunde zu sein. Geld gegen Kunst als Sicherheit – das ist das Hauptgeschäft der Art Capital Group, die der ehemalige Mitarbeiter des Auktionshauses Sotheby’s 1999 in New York gründete.

Oft gibt es nur noch bis zu 40 Prozent des Schätzwertes für Kunst

Bis zu rund 50 Prozent des geschätzten Marktwertes von Kunstobjekten oder kompletten Sammlungen vergeben Banken und Spezialisten wie Fine Art Capital oder Art Capital Group üblicherweise als Darlehen. Solange der Schuldner aber die Zinsen bedient und am Ende der Darlehenslaufzeit den Kredit wieder tilgt, löst sich das Pfandrecht wieder auf. Angesichts sinkender Preise für Kunst sind die Spezialverleiher zuletzt vorsichtiger geworden. Oft gibt es nur noch bis zu 40 Prozent des Schätzwertes. Für einen Warhol, der am Markt derzeit nicht mehr so begehrt ist, würde man heute „einen ziemlich heftigen Abschlag ansetzen“, sagt Peck in einem Interview dem Fachblatt „Art Market Monitor“.

Die Laufzeiten für die Rückzahlung des Kredites können wenige Monate oder mehrere Jahre betragen, die Zinsen zwischen recht günstigen Sätzen für beste Kunden bis hin zu Wucherzinsen für schlechtere liegen. Oft können die Eigentümer die Gemälde oder Skulpturen während der Laufzeit der Darlehen sogar in ihren eigenen vier Wänden behalten. Dann merken Besucher nicht, dass plötzlich der Miró weg ist. Für die Gläubiger stellt das allerdings ein höheres Risiko dar, denn teure Kunstobjekte könnten mehrfach verpfändet werden. Soll auch schon vorgekommen sein. Derzeit traut keiner keinem mehr. Und auch in den besseren Kreisen scheint nun alles möglich.

Die Art Capital Group lässt sich die verpfändeten Kunstobjekte oft übergeben. Die Geschäftsräume des Kunstpfandhauses auf der Madison Avenue, nicht weit entfernt von New Yorks Museumsmeile, sehen nun aus wie eine kleine Galerie. Im Februar hingen dort Warhols, ein Gemälde von Rubens und Werke des zeitgenössischen mexikanischen Malers Victor Rodriguez. Das Geschäft brummt angeblich. 2009 will Art Capital Group seine Kreditvergaben um 50 Prozent gegenüber 2008 steigern, auf rund 120 Millionen Dollar.

Ob das klappt, hängt allerdings auch davon ab, ob die Kunst sammelnde Klientel an die Diskretion des Unternehmens glaubt. Und dabei hat der Zeitungsartikel über die Verpfändung der Fotos von Leibovitz unter dem Titel – „Der Alte Meister? Der ist im Pfandhaus“ – dem Unternehmen möglicherweise mehr geschadet als genutzt. Auf den ersten Blick sah es nach perfekter Werbung zur richtigen Zeit im idealen Medium aus. Konkurrenten mutmaßten hinter vorgehaltener Hand, Art Capital Group habe die Informationen über Leibovitz selbst lanciert, um den eigenen Namen in der Szene bekannter zu machen. „Die Story hätte zu keinem besseren Zeitpunkt kommen können“, sagt ein Mitarbeiter eines der großen Auktionshäuser. Auch die Verlegerwitwe Veronica Hearst war als Kundin von ACG entlarvt worden. Sie habe unter anderem ein Rubens-Gemälde verpfändet, um eine Zwangsversteigerung einer Immobilie zu verhindern.

Über eine PR-Agentur lässt ACG mitteilen, die Informationen über Leibovitz seien über öffentlich zugängliche Dokumente einsehbar gewesen. Dennoch werden viele ACG-Kunden nun zittern und hoffen, dass nicht irgendwie noch weitere Informationen durchsickern. Im Frühjahr 2007 tönte Peck gegenüber dem Fachblatt „Art & Antiques“, man kontrolliere bereits Werte von rund 700 Millionen Dollar. Wie viel mehr es nach den Ausschlägen der Finanzkrise ist, bietet reichlich Gesprächsstoff für die Menschen der Upper East Side.

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