Lebensmittel Die süßen Wunder aus Halle

Seite 3/4

Trotzdem weiß Halloren-Chef Lellé, dass immer mehr Verbraucher nach höherwertigen Naschereien verlangen, sogenannter Premiumware. Dafür hat Halloren in einer neuen Halle Anlagen installiert, von denen es in Deutschlands insgesamt nur zwei gibt. Sie erlauben die Herstellung besonders dünnwandiger Edelpralinen. Mit ihnen produziert Lellé Pralinenmischungen wie Zarte Verführung und Dessert Träume oder Lizenzprodukte für die gehobenen Marken von Mövenpick und Käfer. Gleichzeitig baut Lellé das Geschäft mit den Handelsmarken aus, die er an Billigheimer wie Penny, Plus & Co. liefert.

Gleichzeitig ist Lellé vor wenigen Wochen ein wichtiger Coup gelungen: die Übernahme der insolventen Delitzscher Schokoladen GmbH, die zwischenzeitlich zum Handelsriesen Tengelmann gehörte. Das Sortiment des 1894 gegründeten Billigproduzenten soll gestrafft werden und 2009 rund 20 Millionen Euro zum Umsatz beisteuern. „Delitzscher ist ein Glücksgriff“, sagt Lellé. Der Betrieb sei nur rund 30 Kilometer vom Halloren-Stammhaus entfernt und technisch auf dem neuesten Stand. Das Unternehmen sei der einzige deutsche Hersteller, der das Pfefferminz-Produkt After Eigth von Nestlé kopieren könne, schwärmt Lellé. Darüber hinaus sei Delitzscher stark in der Produktion von Weinbrandbohnen und habe einen hohen Exportanteil von 37 Prozent; zu den Kunden zählten der britische Handelsriese Tesco sowie Aldi UK. Auf längere Sicht will Lellé mit der Halloren AG im Westen Deutschlands eben so viel verkaufen wie im Osten.

Davon ist Kathi weit entfernt. Dafür kommt der 65-jährige Vollblutunternehmer Rainer Thiele einem anderen großen Ziel immer näher. „Ich möchte meinen Kindern das Unternehmen mit warmen Händen übergeben“, sagt Thiele. In wenigen Wochen ist es so weit. Zum Jahreswechsel soll sein 39-jähriger Sohn Marco das operative Geschäft übernehmen. Der Vater will sich dann in einen neugegründeten Beirat mit zwei externen Managern zurückziehen.

Paradebeispiel für gelungenen Neustart

Der Kathi-Slogan „Die Familie feiner Backideen“ ist auch im Unternehmen Programm. Denn die Familie dominiert die Firma. Der künftige Chef Marco ist bereits seit 17 Jahren im Unternehmen. Sein Bruder Thomas Wilhelm, ebenfalls 1991 in den elterlichen Betrieb eingetreten, verantwortet Produktion und Technik. Bis vor knapp vier Jahren leitete Thieles Frau Margret das Marketing. Dann übernahm Tochter Ulrike Petermann das Ressort, eine Theologin und vierfache Mutter, die einmal im Monat am Wochenende in kleinen Gemeinden Südbrandenburgs predigt.

Wenn Thiele senior von der Vergangenheit redet, dann ist er kaum zu stoppen. Denn die Geschichte von Kathi ist ein Paradebeispiel für den erfolgreichen Neustart eines mittelständischen Familienunternehmens nach dem Kollaps der DDR. Dabei begann alles bei Kathi bereits 1949, vier Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. In diesen Jahren des Mangels kommt Thieles Mutter Käthe auf die Idee, Leberwurst zu strecken und daraus einen schmackhaften Aufstrich zu fertigen. Ein anderes Mal sucht sie sich in den Geschäften die Zutaten für einen einfachen Rührkuchen zusammen, zur damaligen Zeit reine Glückssache. Dabei kommt ihr die zündende Idee, die schließlich den Durchbruch bringt: ein fertiges Tortenmehl.

20 Jahre vor Oetker und 19 Jahre vor Kraft bringt die Käthi-Nährmittelfabrik Kurt Thiele, wie das Unternehmen seinerzeit heißt, das Produkt auf den Markt. Suppen, Saucen und Kartoffelklöße runden das Angebot ab. Schon bald folgen die ersten Rückschläge. Die Staatsführung zwingt die Thieles, sich für nur eine Produktgattung zu entscheiden – es werden die Backmischungen. 1958 greift sich der Staat 67 Prozent am Unternehmen. Dennoch wagt Thiele den Einstieg in den elterlichen Betrieb. Doch er muss miterleben, wie die Familie 1972 zu 85 Prozent enteignet wird. Der Name Kathi, zusammengesetzt aus dem Vor- und Nachnamen der Mutter, verschwindet, weil er bürgerlich-kapitalistisch ist. Das Betriebsvermögen geht entschädigungslos auf die DDR über. Fortan heißt das Unternehmen Volkseigener Betrieb (VEB) Backmehlwerk Halle. „VEB – Vatis ehemaliger Betrieb“ buchstabiert Thiele mit einem bitteren Lächeln.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%