Logistik Deutsche Post lernt nicht aus den Fehlern

Die Deutsche Post schreibt rote Zahlen, weil der Logistik- und Briefkonzern nichts aus den US-Desastern anderer deutscher Unternehmen gelernt hat.

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DHL: Rückzug aus dem Quelle: REUTERS

Frank Appel wirkt sichtlich angespannt, als er am vergangenen Montag den Rückzug des Logistikunternehmens DHL aus dem inneramerikanischen Geschäft ankündigt. Die Fotografen, die sich um ihn herum aufbauen, schickt er nach wenigen Sekunden weg. Auf die Frage, wer denn nun die Verantwortung für das desaströse US-Abenteuer trage, geht er erst gar nicht ein. Es bringe nichts, in der Vergangenheit zu suchen. „Ich blicke nach vorn“, sagt der Vorstandschef der Deutschen Post – gereizt, trotzig, genervt.

Kein Wunder: Die rund acht Milliarden Euro Verlust, die aus dem gescheiterten „American Dream“ einen Albtraum machen, sorgen bei der Post für die ersten roten Zahlen seit der Privatisierung vor acht Jahren. Ohne die Profite im Briefgeschäft, bei der die Post ein Beinahe-Monopol besitzt, wäre die Lage dramatisch.

Das DHL-Debakel muss sich auch Appel mitankreiden lassen. Der Rückzug aus den USA ist sein persönliches Waterloo als Manager. Jahrelang unterstützte er – trotz mancher Warnung von Investmentbankern – als Strategiechef die Vorgaben seines Ziehvaters Klaus Zumwinkel, dem er Anfang des Jahres auf den Chefposten folgte. Die Post wollte ein Logistiknetz mit weltweiter Präsenz aufbauen.

Das ist jetzt Makulatur: Die Aufgabe des US-Geschäfts sei nun „alternativlos“, sagt Appel. Insgesamt verlieren knapp 15 000 amerikanische Mitarbeiter ihren Job. Das Netz wird von 412 Niederlassungen auf 103 reduziert, alle 18 nationalen Sortierzentren schließen.

Appel ist nicht der erste deutsche Top-Manager, der Unsummen in den USA verbrennt und anschließend Asche auf sein Haupt streut. Viele haben sich blutige Nasen geholt, weil sie Warnzeichen ignorierten und deutsche Produktqualität überbewerteten. Manche glorreiche US-Dependance endete als Desaster.

Beispiel Daimler. Schon bald nach der „Hochzeit im Himmel“, wie der damalige Daimler-Chef Jürgen Schrempp den Zusammenschluss mit dem US-Autobauer Chrysler nannte, wurde klar, dass die Brautleute nicht zueinander passten.

Chrysler-Manager beschwerten sich über die besserwisserische Art ihrer Stuttgarter Kollegen, während die erkannten, wie wenig ihre Produkte und Kunden mit denen der Amerikaner gemeinsam hatten. Vermutete Synergien zwischen der Nobelmarke Mercedes und der US-Massenmarke Chrysler konnten auch Heere von Beratern nicht heben, weil es fast keine gab.

Dieter Zetsche, der Quelle: dpa

„Das von Größe und Ausstattung einem Mittelklasse-Mercedes vergleichbare Fahrzeug von Chrysler kostete im Handel weniger als die Hälfte. Da konnten Sie nicht dieselben Plattformen, Motoren oder Getriebe verwenden“, erinnert sich ein Manager. Produktionsverfahren und Einkauf waren unmöglich zu vereinheitlichen, weil Chrysler selbst an Blechqualität und Schweißverfahren sparen musste.

2007 beendete der ehemalige Chrysler- und heutige Daimler-Chef Dieter Zetsche das Experiment. Wie viele Milliarden das Abenteuer gekostet hat, ist noch nicht ausgemacht. Noch gehören Daimler 20 Prozent von Chrysler, die immer wertloser werden.

Beispiel Dresdner Bank. Einen veritablen Flop leisteten sich die Frankfurter, als sie im Jahr 2000 die US-Investmentbank Wasserstein Perella für 1,4 Milliarden Dollar kauften. Das US-Institut hatte etwa bei der Fusion von Time Warner und AOL beraten. Kurz darauf platzte die New-Economy- » Blase, der Preis entpuppte sich als viel zu hoch. Der Chef der Investmentbank, Bruce Wasserstein, stieg 2001 aus.

Zum Börsengang der Investmentbank kam es nicht. Stattdessen bereitete der neue Dresdner-Großaktionär Allianz den hochfliegenden Plänen ein Ende und stutzte das Investmentbanking zurecht. 2006 tilgte die Bank den Zusatz Wasserstein aus dem Namen. Seit die Allianz die Dresdner an die Commerzbank abgab, werden die Aktivitäten im Investmentbanking weiter reduziert.

Zu viel zahlte auch die Deutsche Bank unter dem damaligen Vorstandsvorsitzenden Rolf Breuer für das US-Institut Bankers Trust: neun Milliarden Euro. Probleme gab es, weil Top-Manager von Bord gingen und zweifelhafte Steuersparmodelle von Bankers Trust juristisch Ärger machten. Doch strategisch erwies sich der Kauf als sinnvoll: Unter anderem dank Bankers Trust wird die Deutsche Bank heute als einziges deutsche Institut im Ausland ernst genommen.

Beispiel Lufthansa. Die Übernahme des Catering-Unternehmens Sky Chefs bescherte der Airline das einzige Finanzdesaster ihrer Geschichte. Im Überschwang, einen „Aviation-Konzern“ aus Weltmarktführern in allen Bereichen des Fliegens zu bauen, schluckte der damalige Konzernchef Jürgen Weber im Sommer 2001 Sky Chefs, obwohl das Geschäft bereits unter dem Ende des New-Economy-Booms litt.

Als die Airlines nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 die Bordverpflegung strichen, wurde Sky Chefs zum Milliardengrab, das die Lufthansa erst nach fünf Jahren saniert hatte. Webers Nachfolger Wolfgang Mayrhuber geht es nicht viel besser.

Gut ein halbes Jahr nachdem er im Dezember 2007 in Frankfurt auf die Übernahme von 19 Prozent der US-Billiglinie Jetblue anstieß, sackte der Aktienkurs um bis zu 60 Prozent und bescherte Mayrhuber eine Wertberichtigung von rund 100 Millionen Euro. Trotzdem hält Mayrhuber die Linie für ein gutes Investment, weil der gehobene Billigverkehr auf Dauer deutlich zulegen dürfte.

Die Spur des Scheiterns ist so lang wie die Liste der Gründe für den Misserfolg. Nach einer Analyse der Düsseldorfer Unternehmensberatung Droege verkennen deutsche Manager oft, dass US-Konsumenten „keinen Aufschlag für technischen Schnickschnack zahlen“, sagt Björn Röper, Leiter des New Yorker Droege-Büros. Deutsche Ingenieurkunst habe daher Absatzprobleme.

Gleichzeitig „fehlt oft der lokale Einschlag“, sagt Röper. Wenn etwa DHL mit Mercedes-Benz als exklusivem Logistik-Partner werbe, vermissen US-Patrioten die Affinität zu Amerika. Ebenso wichtig seien Manager mit „Wurzeln in den USA“, sagt Röper, damit die Mitarbeiter das Gefühl hätten: „It’s one of us.“ Auch das Lobbying vernachlässigen die Deutschen. Mit Spenden an Parteien und wohltätige Verbände kämpfen US-Firmen um Marktanteile und öffentliche Aufträge. Während DHL rund 300 000 Dollar pro Quartal spendete, gab der Konkurrent UPS gut fünfmal so viel.

Doch statt aus den Fehlern anderer zu lernen, gibt’s immer neue Niederlagen: Der Baukonzern Bilfinger Berger hat sich nach Akquisitionsversuchen und einem defizitären Brückenbau in Ohio vom US-Markt so gut wie verabschiedet: „Ursprünglich hatten wir das Ziel, dort eine bedeutende Marktposition zu erreichen. Das ist uns bisher aber nicht gelungen“, bekannte Vorstandschef Herbert Bodner.

Bei Adidas entwickelt sich der 2005 gefeierte Kauf des früheren Weltmarktführers Reebok aus Massachusetts zur Dauerbaustelle mit schwindendem Umsatz. Auch die Hoffnung des europäischen Luftfahrt- und Rüstungskonzerns EADS, Airbus-Jets und Militärausrüstung an die US Army zu verkaufen, werden wohl endgültig enttäuscht: Denn der US-Staat Illinois ist sowohl Heimatbasis des künftigen US-Präsidenten Barack Obama als auch des Airbus-Konkurrenten Boeing.

Die US-Tochter des Hamburger Otto-Konzerns, das Versandhaus Spiegel, ging 2001 sogar fast pleite: Zur Ankurbelung des Umsatzes hatte Spiegel über die hauseigene First Consumers National Bank massiv Kundenkredite vergeben und dann Mühe, die Schulden einzutreiben; Konzernchef Michael Otto – als Familienunternehmer an selektive Informationspolitik gewöhnt – behielt die Schieflage der börsennotierten Tochter lange für sich und geriet so ins Visier der Börsenaufsicht SEC. Der Milliardär zahlte 100 000 Dollar Strafe und hatte sich als ziemlich naiver Deutscher blamiert.

Auch andere bereuen es inzwischen, dass sie ihre Unternehmen prestigeträchtig an der US-Börse notieren ließen. Für Siemens etwa wird die Aufarbeitung der Korruptionsaffären viel schwieriger und teurer, weil dank der Börsenpräsenz die SEC-Aufseher bei der Aufklärung Regie führen.

Was Zumwinkel und Appel ins Verderben rennen ließ, war wohl eine Mischung aus Ignoranz und totaler Selbstüberschätzung. Die beiden ehemaligen McKinsey-Berater folgten blindlings ihrem Weltbild von der Machbarkeit des Erfolgs, ihrer Vision einer logistischen Weltmacht. Ein Express-Versender müsse auf allen Märkten präsent sein, lautete ihr Credo. Das US-Engagement sei „kein Abenteuer, sondern eine unerlässliche Voraussetzung für den weltweiten Erfolg in unserer Branche“, sagte Zumwinkel 2006.

Nun ist die DHL als Amerika-Gigant mausetot. Post mortem wirken die früheren Entscheidungen extrem stur. Im Jahr 2003 etwa rieten namhafte Investmentbanken vom Kauf des Kuriergeschäfts der US-Fluggesellschaft Airborne — dem Beginn des US-Abenteuers — ab. Airborne hätte man noch kurz zuvor gegen eine Jobgarantie für einen Dollar erwerben können. Die Post-Bosse wollten das nicht hören. Drei Jahre später griffen sie für 1,1 Milliarden Dollar bestgelaunt zu.

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