Logistik Warum Transportunternehmen von der Pleite bedroht sind

Den Fuhrunternehmern droht eine beispiellose Insolvenzwelle — aufgrund eigener Fehler, der Krise und der hohen Lkw-Maut.

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Spediteur Grewer Quelle: Ingo Rappers für WirtschaftsWoche

Eric Weyand gibt sich wortkarg. „Darüber reden mag ich nicht mehr“, sagt der Unternehmer, „zappenduster sieht’s aus.“ Seit Juni dieses Jahres rollt kein einziger Lkw mehr von seinem Speditionshof in Wermelskirchen östlich von Köln. Am 16. März verschickte er den Insolvenzantrag an das Kölner Amtsgericht. Dann – 77 Tage später – das brutale Aus. Weyands Unternehmen hat keine Chance zu überleben, das Ende der Firma ist besiegelt.

Wieder einer, der den Kampf verloren hat. Der Markt für Fuhrunternehmen ist in einem desolaten Zustand. „Wer ins Schleudern gerät, ist nicht mehr zu retten“, sagt Insolvenzverwalter Stephan Ries aus Wuppertal. Zu Glanzzeiten schickte Weyand 100 Lkws auf die Straße und beschäftigte 110 Mitarbeiter. Nun muss Insolvenzverwalter Ries den Schaden zusammenkehren, den Weyand verursachte, weil er offene Rechnungen von Lieferanten und Beschäftigten nicht mehr begleichen konnte. Auf acht Millionen Euro beläuft sich der Schaden, für einen Teil davon muss Weyand mit seinem privaten Vermögen geradestehen. In amtlichen Statistiken sind solche Schicksale hinter Aktenzeichen versteckt.

Bis zu 80.000 Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel

Wie Weyand ergeht es in diesen Tagen vielen seiner Branchenkollegen. Für 513 der insgesamt 55 000 Fuhrunternehmen in Deutschland war 2008 endgültig Schluss. Und 2009 kommt es noch schlimmer: Um mehr als 30 Prozent stiegen im ersten Halbjahr die Insolvenzanträge im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Bereits 445 Betriebe haben in den ersten sechs Monaten ihr Geschäft komplett eingestellt. Bis Jahresende wird sich diese Zahl möglicherweise verdoppeln (siehe Grafik). Bis zu 80 000 Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel, befürchtet Karlheinz Schmidt, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL).

Schuld daran ist der krasse Nachfrageeinbruch durch die Wirtschaftskrise. Deutschlands Spediteure transportierten von Januar bis August im Vergleich zum Vorjahr 14 Prozent weniger Güter über die Straßen, ermittelte das Statistische Bundesamt. Besonders hart trifft es kleine Transporteure in der zweiten Reihe, die vielfach als Subunternehmen für große Speditionen fahren, die mit Konzernen langfristige Logistikverträge geschlossen haben.

Vom harten Fuhrgeschäft verabschiedet

Diese sogenannten Kontraktlogistiker haben sich längst vom harten Fuhrgeschäft verabschiedet. Statt in riesige Lkw-Flotten zu investieren, organisieren sie mit intelligentem IT-Einsatz komplette Logistikketten und bieten zusätzliche Dienstleistungen wie Lagerhaltung oder Montagearbeiten. Damit unterscheiden sie sich von den einfachen Truckern und können höhere Preise verlangen.

Viele Fuhrunternehmer dagegen hätten es „nicht verstanden, sich ein Stück weit unabhängig von den reinen und letztendlich preisgetriebenen Transportleistungen aufzustellen“, sagt Hans-Christian Pfohl, Logistikexperte an der Technischen Universität Darmstadt. „Wer nur transportiert, ist austauschbar und chancenlos, dem Preisdruck, der von oben nach unten weitergereicht wird, Paroli zu bieten.“

Drohendes Fiasko

Und der Preisdruck ist gewaltig, um bis zu zehn Prozent sind die Frachtraten seit Ende vergangenen Jahres auf Talfahrt gegangen. Im ohnehin margenschwachen Geschäft geraten die Unternehmer dann ganz schnell in die Verlustzone. „Da die Transportkundschaft selbst von der Krise geschüttelt wird und kleine Speditionen keine Verhandlungsmacht haben, sparen sie bei den Transporteuren zuerst“, sagt Logistikprofessor Pfohl. Nahezu alle Fuhrunternehmen in Deutschland stehen auf der Kippe, da sie zu kaum noch kostendeckenden Preisen unterwegs sind. Damit werde sich „der Trend zur Konsolidierung zulasten der Kleinst-anbieter weiter verstärken“.

Überleben werden diejenigen, die frühzeitig die Weichen richtig gestellt haben. Der Gelsenkirchener Spediteur Hermann Grewer etwa wollte mit großen Logistikkonzernen nichts zu tun haben. Er wollte seine Kunden, für die er Waren ausfährt, immer „direkt und nicht als Subunternehmer betreuen“, sagt er. Der Ruhrpottler befolgte den Tipp seines Vaters und spezialisierte sich rechtzeitig.

Hinzu kam das Glück

Der Senior hatte schon 1956 zusammen mit einem Fahrzeughersteller den ersten Silo-Zug für den Transport von Quarzsand gebaut. Der nächste Coup, über den Branchenkollegen staunten, war ein Fahrzeug, das Grewer zum ersten europäischen Spediteur technischer Gase wie Wasserstoff machte. Bisher erledigten die Firmen solche Fahrten im eigenen Werksverkehr.

Hinzu kam das Glück. Der 66-Jährige veräußerte seine Gastransportsparte noch 2007 an Wettbewerber. Der Zeitpunkt sei perfekt gewesen. Weil die Krise noch nicht absehbar war, konnte er attraktive Konditionen aushandeln.

Grewer blickt optimistisch in die Zukunft, weil er sich vom Kilometerfresser zum Problemlöser wandelte. „Wenn es Kunden durch uns gelingt, Kosten zu sparen, wachsen wir mit ihnen“, sagt er. „Wenn die eine achteckige Palette mit lila Schleifchen haben wollen, machen wir das.“ Die Masche hilft ihm vor allem bei Mittelständlern mit speziellen Ansprüchen. „Was nützt denen eine tschechische oder ukrainische Spedition, die über Preisdumping akquiriert, aber deren Disponenten lediglich ihre Heimatsprache sprechen?“ Vor osteuropäischer Billig-Konkurrenz fürchtet sich Grewer nicht.

An der Realität vorbei

Größere Sorgen hingegen bereitet dem altgedienten Fahrensmann die geradezu „existenzvernichtende Erhöhung der Straßen-Maut“ im Januar 2009: „Sie ist deshalb für die Branche ruinös, weil sie uns mitten in der Wirtschaftskrise voll erwischt“, sagt Grewer. Die Mehrausgaben beziffert das Institut der deutschen Wirtschaft (DIW) auf bis zu 57 Prozent. Dumm nur, dass es kleinen Transportunternehmen nicht gelingt, die Kosten an ihre Kunden weiterzugeben, zumal diese selbst von der gegenwärtigen Krise betroffen sind.

Obskur erscheint vielen die Intention der Bundesregierung, den Spediteuren das Umsteigen auf abgasärmere Lkws mit weniger Maut zu „versüßen“. Die Idee geht wegen der Krise an der Realität vorbei: „Sie werden zurzeit nur wenige Fuhrunternehmer finden, die in schadstoffarme Nutzfahrzeuge investieren, nur um eine niedrigere Maut zu zahlen“, sagt Grewer. Vielmehr bekommen die Transporteure ihre „alten Stinker“, wie die schadstoffreicheren Lkws in der Branche heißen, nicht vom Hof und verfügen damit nicht über das nötige Kapital für Neuanschaffungen. Der Verkaufswert der älteren Modelle – sie machen etwa 40 Prozent des Lkw-Bestandes aus – hat sich halbiert. Grewer rechnet für seinen Fuhrpark durch die Mauterhöhung mit 130 000 Euro Zusatzkosten im Jahr.

In einer ähnlichen Größenordnung bewegte sich auch die zusätzliche Mautbelastung des zahlungsunfähigen Transportunternehmers Weyand aus Wermelskirchen. Doch der Wegezoll war nicht die einzige Ursache. Der eigentliche Grund lag in den ausbleibenden Überweisungen der Auftraggeber. „Wenn von vier, fünf großen Kunden jeden Monat eine sechsstellige Summe überwiesen wird und dieses Geld plötzlich immer später oder gar nicht mehr kommt, dann treten ganz schnell Zahlungsschwierigkeiten auf“, erklärt Insolvenzverwalter Ries, Mitglied der bundesweit tätigen Schultze & Braun Rechtsanwaltsgesellschaft für Insolvenzverwaltung.

Natürlich beging Weyand auch Fehler. Er investierte 2008 noch kräftig, obwohl sich die Auftragslage abschwächte. Insolvenzverwalter Ries war anfangs noch optimistisch, Weyand unter dem Schutzschirm der Insolvenzordnung vom Kostendruck zu befreien. Doch es gelang nicht: „Sie merken dann ganz schnell, was Konsolidierung bedeutet“, sagt Ries. Wenn andere umfallen, freue sich die Konkurrenz. „Die haben Weyand gnadenlos zwei Disponenten mitsamt Kunden abgeworben.“ Ein anderer Wettbewerber wollte gleich den ganzen Laden übernehmen, musste dann aber selbst, elf Tage nach Kaufangebot, die Segel streichen.

Ohne Bargeld geht nichts mehr

Dass alles blitzschnell ging, liegt an der Internet-Plattform insolvenzbekanntmachungen.de, die von den deutschen Insolvenzgerichten betrieben wird. Tank- sowie Mautkartengesellschaften registrieren die täglichen Neueintragungen von insolvenzgefährdeten Speditionen: Blitzschnell ist dann die Tankkarte gesperrt und die Mautkarte deaktiviert. Ohne Bargeld geht dann nichts mehr: „Da sitzt dann der Fahrer in Spanien fest und fragt, wie er nach Hause kommen soll“, erinnert sich Ries.

Klar, dass die Wirtschaftskrise jetzt vor allem Unternehmer vom Markt zu fegen droht, um die es ohnehin nicht gut bestellt ist. Peter Lohner im bayrischen Taufkirchen ist so einer. Der 70-Jährige bereut, dass er sich vor 44 Jahren den Stress auflud und Fuhrunternehmer wurde. Wenn es sein muss, setzt er sich noch immer ans Steuer eines seiner 14 Lastwagen. Lohner hat in seinem Leben drei Millionen Kilometer auf der Straße verbracht. Vier seiner Lkws stehen inzwischen abgemeldet herum.

Zum Jahresende soll nun sein 33-jähriger Sohn Klaus die Firma übernehmen. Ob der ein überlebensfähiges oder ein todgeweihtes Unternehmen erhält, weiß der Seniorchef selber nicht so recht: „Ich hab resigniert. Ich sag’s so hart, wie’s ist.“

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