Londoner Flughafen Der Horror von Heathrow

Die Eröffnung des Terminals 5 am Londoner Flughafen ist ein Muster für mieses Management. Die Anatomie des Desasters und die 22 größten Fehler.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Neues Heathrow-Terminal Quelle: dpa

Das Lob kam von höchster Stelle. „T5 ist ein Gebäude, an dem sich Superlative erschöpfen“, lobte die britische Verkehrsministerin Ruth Kelly das neue Terminal 5 am Londoner Flughafen Heathrow kurz vor der Eröffnung Ende März.

Sie hat recht – nur anders als erwartet. Das neue Fluggastgebäude setzte die Maßstäbe zunächst nicht für schnelle Abfertigung und persönlichen Service, sondern als Muster für verkorkstes Projektmanagement. Wie der Airbus Superjumbo A380, das Boeing Passagierflugzeug Dreamliner, das Mautsystem Toll Collect und viele andere Großprojekte wurde T5 weder ein einzelner Fehler oder ein unvorhersehbares Ereignis zum Verhängnis. Es war vielmehr eine Folge – teils lächerlich – kleiner Fehler, die der Flughafenbetreiber BAA und die Fluggesellschaft British Airways früh hätten erkennen können.

So waren schon am Eröffnungstag mehrere Hundert Flüge verspätet oder fielen ganz aus, gut Tausend Passagiere schliefen am Flughafen und weit mehr als 10.000 Koffer gingen irgendwo in den Katakomben des Transportpalastes verloren. Da Heathrow schon im Normalfall an der Kapazitätsgrenze arbeitet, war es in den folgenden Tagen schwer, Passagiere und die Koffer auf anderen Flüge unterzubringen.

Erst zwölf Tage nach der Eröffnung am 27. März lief der Terminalbetrieb halbwegs normal. Die Bilanz: Insgesamt gut 500 Flüge fielen aus, knapp 30.000 Koffer blieben im neuen System hängen – und British Airways (BA) auf Zusatzkosten in Höhe von maximal 30 Millionen Euro sitzen. Dazu kommt ein Gesichtsverlust, der die Linie im Kampf mit den Hauptkonkurrenten Lufthansa und Air France zurückwirft, weil gerade bei der besonders zahlungsfreudigen Kundschaft der eiligen Geschäftsreisenden BA nach dem Desaster für „Buche Anderswo“ steht.

Dabei begann alles ganz harmlos.

Donnerstag, 27.März, 2.00 Uhr. Im rund sechs Milliarden Euro teuren Neubau ist es ruhig. Nur einige Wachmänner patrouillieren. Im Umland klingeln die Wecker bei den Mitarbeitern von BA und dem Flughafenbetreiber BAA. Alle haben vom Vorabend noch die Worte von BA-Chef Willie Walsh im Ohr: „Wir starten morgen ohne auch nur einen Schluckauf.“ Bei der letzten Prüfung zweieinhalb Wochen zuvor musste zwar noch jeder siebte der theoretischen Flüge gestrichen werden. Nun sei alles im Griff, sodass gefahrlos gut die Hälfte aller Flüge ins neue Terminal verlegt werden könnten.

FEHLER 1 Bloß weil man alle Fehler erlebt hat, hat man sie noch nicht gelöst.

FEHLER 2 Es ist riskant, ein komplexes unerprobtes System mit hoher Belastung anzufahren.

3.00 Uhr. Die ersten Mitarbeiter treffen ein. Weil um die Zeit wenig U-Bahnen oder Busse fahren, kommen mehr als üblich mit dem Auto. Alle haben zwar Lagepläne. Doch wegen der unklaren Beschilderung verirren sie sich auf dem Weg zu den Personalparkplätzen. Weil im Parkhaus nur vier der zehn Aufzüge arbeiten, nehmen viele die Treppen. Die sind jedoch von Passagieren verstopft, die mangels Aufzügen ihre Koffer zu Fuß hochschleppen.

FEHLER 3 Nicht beachtet wurde, dass sich Menschen in ungewohnter Umgebung anders verhalten als sonst; sie suchen Sicherheit und Orientierung.

FEHLER 4 Mit neuen Systemen tun sich Nutzer schwer. Nur weil Ingenieure die Beschilderung verstehen, versteht sie nicht jeder Mitarbeiter.

3.15 Uhr. Das neue Gepäcksystem startet nicht. Und weil nur 50 der 800 Beschäftigten bei den Praxistests dabei waren, kennt keiner eine Abhilfe. Ohne den Computer haben die Gepäckarbeiter keine Einsatzpläne. Früher verteilte ein Vorarbeiter die Pläne, heute bekommt jeder Arbeiter seinen Plan vom Zentralrechner auf einen kleinen tragbaren Computer gespielt. Nun hat keiner so recht die Übersicht.

FEHLER 5 Neue Systeme haben Kinderkrankheiten und brauchen eine Absicherung.

FEHLER 6 Auch wenn sie funktionieren, überfordern sie die Mitarbeiter. Kurze Einführungskurse sind zu wenig.

4.00 Uhr. Die ersten Schalter zur Gepäckaufgabe öffnen. Doch trotz Schulung tun sich die Mitarbeiter alle noch ein wenig schwer mit den neuen Systemen. Laut Plan sollten mehr als zwei der 96 Check-in-Schalter offen sein. Doch das Personal fehlt.

FEHLER 7 Gerade weil am ersten Tag oft unerwartete Probleme auftreten, braucht man deutlich mehr Personal als im Normalbetrieb.

4.15 Uhr. Die Schlangen werden länger. Eigentlich sollten 80 Prozent der Passagiere im Internet oder an einem der Automaten in der Halle einchecken. Tatsächlich geht nach Ansicht von Beobachtern knapp die Hälfte zum Schalter. Dazu wollen mehr Leute als erwartet Gepäck aufgeben.

FEHLER 8 Auch Kunden verhalten sich in einer neuen Umgebung anders als gewohnt. Dafür braucht man eine Personalreserve.

4.30 Uhr. Die Belegschaftsparkplätze sind voll. Die Beschäftigten werden nun in andere Ecken des Flughafens umgeleitet. Dort müssen sie angeblich bis zu einer halben Stunde auf Busse zum Terminal warten, weil die Busgesellschaft nicht Bescheid weiß.

FEHLER 9 Für Einzelprobleme gibt es Lösungen, durchgängige Plan-B-Lösungen fehlen aber.

4.40 Uhr. Der Personalmangel stört das ganze System. An der Sicherheitskontrolle für Personal kann keine zusätzliche Spur öffnen, weil die Kontrolleure noch unterwegs sind. Zudem dauert die Prüfung länger, weil die Kontrolleure die neuen Durchleuchtungscomputer noch nicht beherrschen und einige Geräte kleine Fehlfunktionen haben.

FEHLER 10 Jede Kette ist nur so stark wie das schwächste Glied. Für jeden möglichen Engpass muss es eine Lösung geben. Notfalls müssen Mitarbeiter kurzfristig umdisponiert werden.

4.42 Uhr. Der erste Flug landet früher als geplant. Weil an den Passkontrollen Leute fehlen, gibt es Schlangen, die sich den ganzen Tag nicht mehr auflösen. Sogar Briten warten oft gut 40 Minuten.

FEHLER 11 Die Kapazität sollte nicht nur größer sein als erwartet, sondern auch früher als erwartet zur Verfügung stehen. Lieber im Lauf des Tages abbauen als nachordern zu müssen.

5.10 Uhr. Der erste Schnellzug des Heathrow Express verlässt den Bahnhof Paddington in der Londoner Innenstadt in Richtung Flughafen. Weil am Bahnsteig der Hinweis auf einen Halt am Terminal 5 fehlt, zögern viele Passagiere und Beschäftigte. Einige suchen einen anderen Weg zum Flughafen und kommen dann später als erwartet.

FEHLER 12 Beim Neuanlauf wurde nur an den eigenen Bereich gedacht. Man muss aber auch die angrenzenden Systeme vorbereiten.

5.30 Uhr. In den Lounges fehlen die Tageszeitungen. Unten am Check-in und vor den Sicherheitskontrollen wachsen die Schlangen. Einige Schalter werden nach technischen Problemen geschlossen. Weil nur ein Viertel der Aufzüge und Rolltreppen funktioniert, gibt es auch dort Staus. In der Gepäckhalle wird es hektisch. Beim abgehenden Gepäck stapeln sich mehrere Hundert Koffer, die auf Sprengstoff durchleuchtet werden müssen, bevor sie ins Flugzeug gehen. Doch ohne das Computersystem geht das nicht. Weil die Fahrer für die Gabelstapler zum Ausladen der Gepäckcontainer aus dem Flugzeug fehlen, holen auch Führungskräfte die Koffer von Hand aus den Fliegern.

FEHLER 13 In Krisen darf sich das Management nicht verzetteln, sondern muss stattdessen durchgängige Lösungen organisieren.

6.00 Uhr. Die ersten Flüge sind bereit zum Einsteigen. Doch ohne Gepäcksystem kommen keine Koffer an Bord. Das erfahren vor allem Umsteiger erst, als sie nach der Landung lange gewartet haben. So muss der serbische Außenminister Vuk Jeremic den EU-Gipfel in Slowenien ohne Kleider zum Wechseln beginnen.

Inhalt
  • Der Horror von Heathrow
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%