Management-Experte Jahns im Interview "Aus dem Gleichgewicht"

Management-Experte Christopher Jahns über die Risiken nationaler Eingriffe in internationale Lieferketten.

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Christopher Jahns ist Management-Experte

WirtschaftsWoche: Herr Professor Jahns, immer mehr Unternehmen weltweit dehnen ihre Zahlungsziele bis Ultimo aus – im deutschen Handel etwa auf bis zu 180 Tage. Besteht damit das Risiko, dass nicht nur einzelne Zulieferer pleitegehen, sondern ganze Lieferketten zusammenbrechen, weil das Geld ausgeht?

Jahns: Das Risiko eines Dominoeffekts besteht. Eine übermäßige Ausweitung der Zahlungsziele verstärkt das Insolvenzrisiko und gefährdet das Funktionieren der Lieferketten. Um dieser Gefahr entgegenzu-wirken, haben etliche Auftraggeber in der Automobilindustrie zurzeit die Zahlungsziele drastisch verkürzt – auf drei bis zehn Tage. Vor zwölf Monaten ging der Trend zu 60 bis 90 Tagen.

Ab wann sind lange Zahlungsziele unlauter?Das kommt auf das Land und die Branche an. In Italien warteten Unternehmen schon vor 70 Jahren im Schnitt 92 Tage auf ihr Geld, in Frankreich 58 Tage. Es ist kein Geheimnis, dass deutsche Discounter ihre Ware erst bezahlen, wenn sie schon verkauft ist. Trotzdem leben die Zulieferer von Aldi & Co. oft nicht schlecht. Wer sicher ist, dass er sein Geld bekommt, kann mit langen Zahlungszielen leben.

In Frankreich wurden Zahlungsziele über 60 Tage per Gesetz verboten. Muss jetzt auch die deutsche Regierung handeln?Nein. Um die Kreditversorgung zu sichern, ist es richtig, systemrelevante Unternehmen wie Banken zu stützen. Aber zu welchen Bedingungen die Unternehmen ihre Lieferketten gestalten, geht den Staat nichts an. Er sollte nicht die Gesetze der Marktwirtschaft außer Kraft setzen.

Wieso setzt ein Verbot unfairer Zahlungsbedingungen die Marktwirtschaft außer Kraft – ist es nicht eher umgekehrt?Nein – zumindest nicht von der Wirkung. Wenn Zahlungsziele per Gesetz verkürzt werden, würden Unternehmen wie Opel, die selbst kurz vor der Insolvenz stehen, in die Zahlungsunfähigkeit getrieben. Per Gesetz ein faires System schaffen zu wollen ist praktisch nicht umsetzbar. Es wäre extrem komplex und würde am Ende nur zu Wettbewerbsverzerrungen führen.Westeuropa und Nordamerika haben zum Schutz der eigenen Wirtschaft Zollschranken eingeführt, auch China, Indien und Russland schotten ihre Heimatmärkte zunehmend ab.

Wie stark sind internationale Lieferketten durch Protektionismus gefährdet?Mit steigenden Arbeitslosenzahlen könnten solche populistischen Entscheidungen zu einem stärkeren staatlichen Protektionismus führen. Das zerreißt die internationalen Lieferketten nicht ganz, wird sie aber stark beeinträchtigen und verändern.

Ist die Globalisierung damit vorbei?So schlimm wird es nicht kommen. Aber manche Unternehmen fragen sich jetzt, ob es sinnvoll ist, überall den globalen Ansatz zu suchen. Der Beschaffungsansatz „Local for Local“ wird an Bedeutung gewinnen – Vorprodukte werden stärker in den Märkten eingekauft, für die die Güter produziert werden.

So gesehen würde der Protektionismus dem Umweltschutz dienen.Vom Protektionismus profitiert letztlich niemand, das wirft alle zurück. Aber viele Unternehmenslenker haben erkannt, wie hilflos wir sind, wenn das ganze System nicht mehr funktioniert. Diese Erkenntnis hat das Bewusstsein für nachhaltiges Wirtschaften gesteigert. Themen wie Klimaschutz und Corporate Governance, also die gerechte und faire Unternehmensführung, auch in den Lieferketten werden in Einkauf und Logistik ganz oben auf der Agenda stehen, sobald die Finanzkrise überwunden ist.

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