Medienexperiment Niiu Zeitung für Rosinenpicker

Am Montag startet eines der größten Experimente der Medienbranche: Die erste personalisierbare Tageszeitung. Trotz hochkarätiger Inhalte gefährden Einschränkungen den Erfolg.

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Niiu-Gründer Oberhof

Es soll nichts weniger werden, als die Revolution auf dem Zeitungsmarkt. Ob sie gelingen kann, wird sich ab Montag zeigen, dann wird die weltweit erste personalisierte Tageszeitung in Berlin ausgeliefert.

„Niiu“ nennt sich das Blatt, bei dem der Leser vorher bestimmen kann, welche Teile aus etablierten Medien, wie dem "Handelsblatt", der Bild oder der "New York Times" er lesen möchte.

Hinter dem Projekt stecken zwei junge Burschen, Wanja S. Oberhof und Hendrik Tiedemann, gerade einmal 23 beziehungsweise 27 Jahre jung. Beide studieren an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin. Unabhängig voneinander hatte sie ähnliche Ideen und beschlossen vor zweieinhalb Jahren ihre Vision gemeinsam umzusetzen.

Zukunftsmodell für Medienhäuser?

Wirklich neu ist die Idee einer Zeitung bei der sich der Leser die Inhalte selbst zusammenstellt allerdings nicht. Seit dem Siegeszug des Internet geistert sie immer wieder als Zukunftsmodell durch die Medienhäuser, doch richtig angepackt hatte das Projekt bislang niemand.

Denn die Schwierigkeiten dabei sind vielfältig, wie auch „Niiu“ zeigt. Das Blatt hat 24 Seiten und kostet 1,80 Euro - für Studenten, die insbesondere angesprochen werden sollen, 1,20 Euro.

Dafür kann sich der Leser den Inhalt vorher im Internet auswählen: Die Titelseiten der "Bild"-Zeitung und der "International Herald Tribune", die Kommentare aus dem "Handelsblatt" und der "Frankfurter Rundschau", Politikartikel aus der "New York Times", das Feuilleton der "Taz", Lokales vom "Tagesspiegel" und den Sportteil aus dem "Hamburger Abendblatt" oder der "Abendzeitung" aus München. Die Auswahl wird beibehalten oder kann täglich bis 14 Uhr verändert werden.

Nach der Zusammenstellungen gehen die individuellen "Tageszeitungen" per Datenleitung in die Druckerei und landen morgens in den Briefkästen der Niiu-Abonnenten.

Eingeschränktes Rosinenpicken

Man kann dabei auch bestimmen, wie viele Seiten man jeweils wünscht. Trotzdem sind dem Chefredakteur-Spielen einige Grenzen gesetzt. So ist mit der oben beschriebenen Auswahl der zur Verfügung stehende Seitenumfang bereits gefüllt. Will man zu Wirtschaft, Politik oder Meinung aber jeweils die Artikel aus mehreren Medien, läuft der Füllstand schnell über.

Dabei macht gerade das den Reiz aus. „Ich bin durch das Internet gewohnt, mich pluralistisch zu informieren“, sagt Oberhof. In der Lesezeichensammlung in seinem Internetbrowser stehe die "Bild"-Zeitung neben dem "Handelsblatt". „Tageszeitungen bilden daher nicht mehr das Informationsbedürfnis der jungen Generation ab“.

Niiu

Im Netz kann man sich schon jetzt über RSS-Reader die Blogs und Nachrichten abonnieren, die einen interessieren. Auch bei „Niiu“ gibt es zwei Seiten, die mit Internetinhalten gefüllt werden. Zur Auswahl stehen stehen Blogs wie Netzwertig oder Basicthinking, zudem kann man sich von Kicker.de die Nachrichten zu seinem Lieblingsverein aus der Fußball-Bundesliga wählen.

Die totale Personalisierung ist eigentlich auch die Idee der gesamten Zeitung. Er selbst komme aus einem Zeitungsleserhaushalt, erzählt Oberhof und hatte in seiner ersten Wohnung querbeet eine ganze Reihe Zeitungen abonniert. „Doch nach kurzer Zeit habe ich gemerkt, dass ich den Großteil weggeschmissen habe“, sagt der gebürtige Münchner.

Gerne hätte Oberhof die Streiflicht-Kolumne aus der "Süddeutschen Zeitung", dazu alle Artikel von "Bild"-Autor Graf Nayhauss und Blogger Thomas Knüwer in einem Blatt. Dahin soll die Entwicklung von „Niiu“ auch gehen, doch derzeit lässt sich das perfekte Rosinenpicken technisch nicht umsetzen.

Das Layout ist der Knackpunkt des Erfolges

Die Macher bekommen von den Verlagen komplette PDF-Versionen der frisch produzierten Seiten, diese werden dann auf das Format der Niiu angepasst. Darin dürfte auch der Knackpunkt des Erfolges liegen: Durch die unterschiedlichen Größen und Layouts dürfte die Zeitung ein etwas wirres Erscheinungsbild abgeben. Kleine Schriften werden groß, die verkleinerten Seiten eventuell schwerer lesbar. Die großen Vorteil einer gedruckten Zeitung, Übersichtlichkeit und bessere Lesbarkeit, sind damit in Gefahr. 

Wie die Zeitung letztlich aussieht und bei den Lesern ankommt, dürfte den Ausschlag darüber geben, ob Oberhof und Tiedemann Niiu in die geplante Richtung weiterentwickeln können. Sie peilen an, in einem halben Jahr 5000 Leser in Berlin zu gewinnen. Damit soll die Zeitung profitabel wirtschaften können. „Wenn wir unser Ziel in Berlin erreichen, ist klar anvisiert Niiu in weiteren Städten anzubieten“, sagt Oberhof.

Werbeeinnahmen sollen steigen

Mittelfristig ist geplant, mit Werbeerlösen mehr zu verdienen, als über den Verkauf. Dazu soll den Kunden angeboten werden, die Anzeigen wie im Internet genau auf ihre Zielgruppen abgestimmt, schalten zu können. Bislang ist allerdings nur eine Unterscheidung nach Geschlecht und Postleitzahl innerhalb Berlins möglich. Die Verlage von denen die Inhalte kommen, könnten daran beteiligt werden. Jetzt bekommen sie für jede abgedruckte Seite einen bestimmten Centbetrag und dürften das Experiment mit Spannung verfolgen.

Man muss Oberhof und Tiedemann zu Gute halten, dass sie es geschafft haben, zahlreiche renommierte Medien für ihr Projekt zu gewinnen. Auch das Interesse daran ist sehr hoch, die möglichen Anmeldungen für die erste Testsausgabe waren schnell ausgeschöpft. Die Zahl der  Anmeldungen soll deutlich vierstellig sein, zudem habe es mehr als 1000 Anfragen aus anderen Städten gegeben. Doch bevor diese einmal an dem Experiment teilnehmen können, muss Niiu erst einmal die Erwartungen der Berliner Leser erfüllen.

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